Christoph Heinemann: Am 5. Juli 1994 ist Amazon an den Start gegangen. 25 Jahren später, ist das Unternehmen eine Marktmacht, die vielen ein Dorn im Auge ist - Politikern, Wettbewerbsbehörden, Gewerkschaften. Günter Hetzke aus unserer Wirtschaftsredaktion, ist Amazon ein Böser?
Günter Hetzke: Grundsätzlich erst einmal nein. Amazon ist groß und mächtig, hat deshalb Neider, macht möglicherweise auch Fehler oder testet Grenzen aus. Aber in erster Linie hat der Konzern eine Marktlücke entdeckt: Er kann ein Bedürfnis befriedigen, das viele Menschen haben. Viele brauchen nicht mehr das Erlebnis beim Einkaufen, sie müssen nichts mehr anfassen, nichts mehr riechen, nichts fühlen, sie wollen einfach nur haben, besitzen und das möglichst schnell und genau diesen Wunsch erfüllt Amazon. Und viele Sachen bekomme ich ja auch nicht mehr in dem Ort, in dem ich wohne. Auch hier ist Amazon – neben Otto oder Zalando zum Beispiel – ein Lückenfüller.
Heinemann: Ist Amazon somit ein Guter?
Hetzke: Ich kenne keinen großen Konzern, der nicht auch seine Schattenseiten hat und bei Amazon gibt es einige arg dunkle Schattierungen. Sie haben schon ein Beispiel genannt: Arbeitnehmerrechte. Die Gewerkschaft Verdi fordert in ihrem Dauerstreik seit 2013 nicht nur mehr Geld für die Beschäftigten, sondern einen Tarifvertrag, der nach Ansicht der Gewerkschaft eben ein Zeichen für Respekt und Anerkennung der Arbeit ist. Aber diesen Respekt verweigert Amazon, verweist darauf, dass man auch ohne Tarifvertrag ein verantwortungsvoller Arbeitgeber sein kann. Und sie können bei dieser Verweigerungshaltung auch bleiben, weil es den meisten Kunden offensichtlich egal ist, ob Mitarbeiter schikaniert oder übermäßig überwacht werden – wobei wir da ja nur vereinzelt Einblicke bekommen. Was auch immer da dran ist und was berichtet wird, die Kunden kaufen weiter und bleiben treu.
Heinemann: Weil der Preis stimmt?
Hetzke: Das stimmt oft gar nicht mehr. Nur preiswert ist bei Amazon auch gar nicht mehr der Punkt. Der Konzern hat etwas geschafft, hat etwas geschaffen, was beim Einkauf aus einem Guss ist, hat eine hohe Kundenbindung und einen Stellenwert im Handel erreicht, an dem kaum noch jemand vorbeikommt. Wenn wir nur mal auflisten: Sie haben ein Treueprogramm geschaffen, das besonders treue Kunden belohnt. Der jährliche Schnäppchentag für diese Kunden wird jetzt sogar verdoppelt von 24 auf 48 Stunden. Sie haben eine Plattform für Dritthändler, den Marketplace, der für viele kleine und mittelständische Betriebe schlicht existenziell ist.
Das Handelsforschungsinstitut bringt es auf den Punkt mit der Aussage, wer auf Amazon nicht zu finden ist, der existiert für viele Verbraucher schlichtweg nicht. Und um das abzurunden ist der Konzern für viele schon zu einer Informationsquelle oder einer Anlaufstelle für Inspiration geworden, so das Institut. Wer so eine Stellung erreicht hat, der ist oft immun gegen Kritik, die prallt schlicht ab.
Die Bundesbank macht sich Sorgen, dass bei den Bezahlangeboten die großen Technologiekonzerne, wie Amazon, die Kundenbeziehungen übernehmen und die Banken lediglich noch die Rolle des Zahlungsabwicklers im Hintergrund – na und? Und wenn die Wettbewerbshüter in den USA und Europa ermitteln, dann müssen die erst einmal Verstöße gegen das Kartellrecht nachweisen. Das muss man alles nicht gut finden, auch nicht mögen, aber man muss eines anerkennen: Amazon hat derzeit das richtige Rezept, das richtige Konzept gefunden, um Kunden anzusprechen, an sich zu binden, denn nicht umsonst ist man die Nummer eins in Europa und in den USA.