„Er hat eine Brille, sehr zerzauste Haare, eine Blitznarbe“ - und er ist der berühmteste Zauberer aller Zeiten: Harry Potter hat so gut wie alles erreicht, was ihm einst an guten Wünschen mit auf den Weg gegeben worden ist.
„Er wird berühmt werden – eine Legende –, es würde mich nicht wundern, wenn der heutige Tag in Zukunft Harry-Potter-Tag heißt. Ganze Bücher wird man über Harry schreiben – jedes Kind in unserer Welt wird seinen Namen kennen!“ So prophezeit es der Riese Hagrid, als er Harry endlich die Einladung zur Ausbildung im Zauberinternat Hogwarts überreichen kann.
Der steinige Weg nach Hogwarts
Zu diesem Zeitpunkt hat der Junge bereits einen langen Leidensweg hinter sich: Erst überlebte er nur knapp einen Überfall, bei dem seine beiden Eltern ums Leben kamen, dann musste er sein Dasein bei ebenso spießigen wie dummen Verwandten fristen, die nicht das geringste übrig hatten für dieses außergewöhnliche Kind:
„Mr. und Mrs. Dursley im Ligusterweg Nummer 4 waren stolz darauf, ganz und gar normal zu sein. Niemand wäre auf die Idee gekommen, sie könnten sich in eine merkwürdige und geheimnisvolle Geschichte verstricken, denn mit solchem Unsinn wollten sie nichts zu tun haben.“
Man warnte Rowling - von Kinderbüchern könne man nicht leben
Doch seit Harrys elftem Geburtstag ist es mit der Selbstzufriedenheit der Dursleys vorbei – und mit seinem Aschenputtel-Dasein auch. Denn nun ist er ganz offiziell Schüler des Elite-Internats Hogwarts, wo er Freunde und Förderer findet und die schwierigsten Aufgaben meistert – sprich, wo er genau jenes Leben führt, das einem Märchenhelden gebührt.
„Für mich war das damals kein Märchen. Für mich war es eine sehr deprimierende Zeit.“
Joanne K. Rowling
Doch natürlich hat man, was auch immer Joanne K. Rowling selbst dazu sagte, auch ihrem, dem Leben der Harry-Potter-Autorin, den Stempel „märchenhaft“ aufgedrückt. Wie könnte es auch anders sein bei dieser Geschichte: Eine alleinerziehende Sozialhilfeempfängerin sitzt, den Kinderwagen neben sich, in einem Café im schottischen Edinburgh und verfasst dort ihr erstes Buch. Und dann interessiert sich niemand für das fertige Manuskript – zu lang sei es, heißt es, zu wenig kindgerecht.
Endlich, nach mehr als einem Jahr, erbarmt sich Bloomsbury zu einer Auflage von 500 Stück, allerdings verbunden mit der Mahnung an die Autorin, sich jetzt unbedingt eine feste Stelle zu suchen: von Kinderbüchern allein könne man einfach nicht leben. Außerdem sollen auf dem Cover statt Rowlings Vornamen lediglich die quasi geschlechtsneutralen Initialen stehen – Bücher von Frauen hätten deutlich schlechtere Verkaufschancen.
Wie Harry Potter die Generation Playstation zum Lesen brachte
Doch nur drei Tage nach dem 26. Juni 1997, als J.K. Rowlings „Harry Potter and the Philosopher's Stone“ erschien, ist es auch schon vorbei mit dem Vornamen-Geheimnis. Denn ein amerikanischer Verlag erwirbt für 100. 000 Dollar die US-Rechte an dem Roman. Derart viel Geld für den Erstling einer bis dahin völlig Unbekannten – das lässt sich die Presse nicht entgehen. Es ist das erste Mal, dass Joanne K. Rowling in den Schlagzeilen auftaucht, und sie wird sie fortan immer wieder beherrschen.
Denn „Harry Potter und der Stein der Weisen“, wie der deutsche Titel lautet, und die sechs noch folgenden Bände rund um den Zauberlehrling und seine Freunde werden zu den weltweit größten Bucherfolgen der 2000er-Jahre. Sie bringen die Kinder der Generation „Playstation“ und „Tamagotchi“ zum Lesen, die man für den Buchmarkt eigentlich schon abgeschrieben hatte, und prägen für lange Zeit die Themen der Kinderliteratur, wo man sich bald vor Heldinnen und Helden mit magischen Kräften kaum mehr retten kann.
Ein aufregendes Hoch auf das Anders-Sein
Allerdings werden Harry und seine Freunde, und das ist im Bereich Kinderbuch ein Ausnahmefall, gleichsam parallel zu ihrer ersten Leserschaft von Band zu Band immer älter. Dass das Geschehen dabei auch immer reißerischer wird – geschenkt. Festzuhalten ist: Rowling ist für immer eingegangen in die Literaturgeschichte mit ihrem Werk, diesem aufregenden Hoch auf das Anders-Sein. Und sie wie auch ihr Verlag wurden damit derart reich, dass es von nun an eigentlich allgemein bekannt sein dürfte: Dass auf dem Cover eines Buches verschwiegen werden muss, dass es von einer Frau stammt, ist nichts als - ein Märchen.