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25 Jahre Mauerfall
"Zeitgeschichte ist immer auch Streitgeschichte"

Der Mauerfall liegt 25 Jahre zurück und ist damit Geschichte - Zeitgeschichte. Im Unterschied zur Betrachtung anderer Epochen gebe es hier noch sehr viele Zeitzeugen, sagte der Historiker Edgar Wolfrum im DLF. Das biete Vor- und Nachteile.

Edgar Wolfrum im Gespräch mit Peter Kapern |
    Edgar Wolfrum, Professor für Zeitgeschichte an der Universität Heidelberg
    Edgar Wolfrum, Professor für Zeitgeschichte an der Universität Heidelberg (picture-alliance/ dpa - Ronald Wittek)
    Angesichts von Liedermacher-Auftritten im Bundestag und Ballon-Aktionen in der Hauptstadt kann der Eindruck entstehen, der Fall der Mauer ist noch immer Teil der Gegenwart, nichts von diesen Ereignissen ist schon in den Fundus der Geschichte eingegangen. Und trotzdem befassen sich längst Historiker damit. Wie lange müssen Ereignisse eigentlich zurückliegen, damit sie zu Geschichte werden?
    "Im Grunde genommen gar nicht lange", sagte Zeithistoriker Edgar Wolfrum im Deutschlandfunk.
    "Wenn man davon ausgeht, dass Zeitgeschichte die Epoche der Mitlebenden und ihre wissenschaftliche Behandlung ist, dann geht das in ganz kurzen Zeiträumen."
    Der Zeitgeschichte werde oft vorgehalten, dass sie keinen gehörigen zeitlichen Abstand zum Gegenstand habe, erklärte der Wissenschaftler von der Universität Heidelberg "Da würde ich immer zurückfragen: Wann ist denn eigentlich ein gehöriger zeitlicher Abstand?" Viel wichtiger als der zeitliche Abstand sei die wissenschaftliche Methode.
    Jubelnde Menschen auf der Berliner Mauer am Brandenburger Tor am 10.11.1989. Am Abend des 09.11.1989 teilte SED-Politbüro Mitglied Günter Schabowski mit, daß alle DDR-Grenzen in die Bundesrepublik und nach West-Berlin für DDR-Bürger geöffnet werden.
    Nach der Grenzöffnung strömten am 9. November 1989 tausende Ost-Berliner in den Westteil der Stadt. (dpa / picture-alliance / Wolfgang Krumm)
    Edgar Wolfrum: "Der einzige große Unterschied zwischen der Zeitgeschichte und den anderen Epochen ist, dass wir eben viele Akteure haben, viele Zeitzeugen." Und oft fände eine Art Sakralisierung dieser Zeitzeugen statt - "denn Zeitzeugen glauben wir alles." Tatsächlich aber hätten Zeitzeugen bloß eine subjektive Sicht der Geschichte, die sie an einem bestimmten Ort erfahren haben. "Aber das hat natürlich mit einer Metaebene, mit Wissenschaftlichkeit, nichts zu tun."
    Und dennoch seien Zeitzeugen wichtig für die historische Wissenschaft und öffneten auch neue Sichtweisen, die in den üblichen Schriften oft nicht vorkämen, sagte Wolfrum - in erster Linie Atmosphärisches. Trotz des Dilemmas hoher Subjektivität dürften Historiker sich nicht davor drücken, auch die jüngste Vergangenheit wissenschaftlich zu erforschen.
    Zum Mauerfall vor 25 Jahren sagte Wolfrum: "Wenn man nicht nur den Anlass, sondern auch die Ursachen herausgräbt, dann müsste man eben bei diesem ganzen Umbruch wahrscheinlich in den 70er-Jahren in Polen beginnen."
    Deutungskontroversen werde es immer geben.
    "Das symbolische Ereignis Mauerfall wird auch bleiben. Aber wie es dazu kam und wo die Ursachen und Anlässe liegen, das wird umstritten bleiben."
    Das gesamte Interview können Sie fünf Monate in unserem Audio-Player nachhören.