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25 Jahre Oslo-Abkommen
"Beide Seiten haben nicht den Mut gehabt und das war ein Fehler"

Israelis und Palästinenser alleine seien derzeit wohl nicht zu einem Frieden im Nahostkonflikt in der Lage, sagte der frühere israelische Botschafter Avi Primor im Dlf. Er sei überzeugt davon, dass ein Frieden geschlossen werden müsse, doch der sei erst möglich, wenn eine Außenmacht dazu dränge.

Avi Primor im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Der frühere israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor
    Der frühere israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor (dpa / picture-alliance / Henning Kaiser)
    Stefan Heinlein: Erst die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels, dann die Streichung der Gelder für das Palästinenser-Hilfswerk der Vereinten Nationen, und jetzt diese Woche die Schließung der PLO-Vertretung in Washington. Donald Trump hat schweres diplomatisches Geschütz aufgefahren. Die USA sind kein neutraler Vermittler mehr im Nahen Osten.
    Vor 25 Jahren war es anders. Als am 13. September 1993 in Washington das Oslo-Abkommen unterzeichnet wurde, war Bill Clinton der strahlende Schirmherr. Die Bilder aus dem Rosengarten des Weißen Hauses gingen um die Welt. Land gegen Frieden, das schien die Zauberformel für eine bessere Zukunft der Region.
    Heute, ein viertel Jahrhundert später, gibt es immer noch kein Palästina und keinen Frieden im Nahen Osten.
    Über die Hoffnungen von Oslo und die Gegenwart im Nahen Osten möchte ich jetzt sprechen mit dem israelischen Diplomaten Avi Primor, lange Jahre Botschafter seines Landes in Bonn und auch später einer der wichtigsten Stimmen im deutsch-israelischen Dialog. Ihn begrüße ich jetzt im ARD-Studio Tel Aviv. Guten Morgen, Herr Primor.
    Avi Primor: Schönen guten Morgen.
    Heinlein: Herr Primor, wenige Wochen nach der Unterzeichnung des Oslo-Abkommens haben Sie 1993 Ihren Dienst als Botschafter in Bonn angetreten. Wie sehr haben Sie damals geglaubt, wir sind tatsächlich auf dem Weg in Richtung Frieden und Versöhnung zwischen Israelis und Palästinensern?
    Primor: Ich habe es damals schon geglaubt. Ich habe es geglaubt, weil wir alle es geglaubt haben, und es schien auch Sinn zu machen. Im Nachhinein stelle ich mir die Frage, ob es nicht ein Fehler war, diesen Friedensprozess schrittweise führen zu wollen, anstatt zu verhandeln, so wie wir mit den Ägyptern verhandelt haben, so wie wir mit den Jordaniern verhandelt haben, und alle Probleme zu erörtern, solange es nötig ist, bis man eine Lösung für alles findet und den endgültigen Frieden schließt. Beide Seiten haben damals den Mut dazu nicht gehabt und das, wie wir wissen, war ein großer Fehler.
    Die Formel: Land gegen Frieden
    Heinlein: Es wurden die entscheidenden Fragen, der Status von Jerusalem, die Flüchtlinge oder die Siedlungen, das wurde ausgeklammert in Oslo, und das war aus Ihrer Sicht jetzt im Nachhinein der Kardinalfehler?
    Primor: Ja, und die Tatsache, dass die Palästinenser dann teilweise Gebiete bekommen haben, aber ohne Souveränität, sondern nur als Autonomie. Das war ein Fehler.
    Aber es gab noch einen größeren Fehler. Wegen des ersten Fehlers haben wir damals ein Sicherheitsproblem gehabt, das wir nicht zu lösen wussten, nämlich man sagte den Streitkräften Israels, sie müssen die palästinensischen Städte räumen, und die palästinensische Behörde würde dann die Macht über diese Städte übernehmen. Dann sagte die Armee: Wenn wir in den palästinensischen Städten nicht sitzen dürfen, dann können wir die Sicherheit nicht gewährleisten, solange wir noch immer in so einem Kriegszustand leben. Dann sagte die Regierung, ihr müsst selber eine Lösung finden, und die Lösung, die die Armee gefunden hat, war, die Städte zu umzingeln und mehr oder weniger zu belagern, mehr oder weniger. Es sollten die Palästinenser innerhalb der Städte was sie tun; da gibt es keine israelische Macht mehr. Aber um reinzukommen, um rauszukommen, das war ein Problem, was eigentlich die Lebensbedingungen der Palästinenser nicht nur nicht verbessert hat, sondern verschlechtert hat, und das hat dazu geführt, dass die Palästinenser enttäuscht waren und die Extremisten dann wieder zum Terror gegriffen haben.
    Heinlein: War dennoch der damalige Lösungsansatz, die Zwei-Staaten-Lösung, die Formel Land gegen Frieden, der richtige Weg, um diesen Knoten im Nahen Osten zu lösen?
    Primor: Aber sicher! Jeder wusste, dass es darum geht, wir würden die besetzten Gebiete räumen, die Palästinenser würden dann ihren Staat dort ausrufen, und so schließen wir den Frieden. Aber ich wiederhole: Das Problem war, dass wir es schrittweise tun wollten, weil unsere Regierung nicht mutig genug in dieser Sache war. Vielleicht hat sie auch recht gehabt, weil sie wusste, dass ihre Macht innerhalb Israels nicht stark genug war. Aber ich glaube, dass das ein Fehler war, auch in Bezug auf die israelische Bevölkerung, weil die israelische Bevölkerung letztendlich die Osloer Verträge damals ganz ruhig und sogar willig akzeptiert hat, obwohl die Regierung es nicht wusste.
    Heinlein: Wann, Herr Primor, haben Sie gemerkt, dass sich diese Hoffnungen von Oslo auf einen Frieden, auf eine Versöhnung im Nahen Osten wohl nicht erfüllen werden? Wann haben Sie gemerkt, wir haben Fehler gemacht?
    Primor: Schauen Sie, die Extremisten in Israel, die Rechtsextremen waren völlig ruhig, unmittelbar nach der Schließung der Verträge, weil sie gesehen haben, dass die ganz große Mehrheit der Bevölkerung die Verträge unterstützt. Sie waren verblüfft, sie haben es nicht erwartet, aber deshalb waren sie ruhig. Aber sobald die Probleme mit den Palästinensern wieder entstanden, das heißt, wir haben die Städte umzingelt und die Palästinenser, die nicht die Palästinenser, aber manche Palästinenser haben das mit Terroranschlägen erwidert, danach konnten sie mit Opposition beginnen, und diese Opposition ist immer mächtiger geworden und auch gewalttätiger geworden.
    "Das wird natürlich zu einer ewigen Katastrophe führen"
    !Heinlein: Stichwort gewalttätiger, Herr Primor. Welche Rolle hat der Mord an Ministerpräsident Rabin 1995 gespielt? War das für Israel auch ein entscheidender Wendepunkt im Osloer Friedensprozess?
    Primor: Das hängt davon ab, wann Sie genau darauf gucken. Unmittelbar nach dem Mord von Rabin hätte man den Frieden besser als je mit den Palästinensern schließen können, hätte man besser als je Zugeständnisse machen können, weil die israelische Bevölkerung verblüfft war, unter Schock war und hätte alles akzeptiert. Das hat aber der neue Ministerpräsident Peres sich nicht getraut zu tun. Im Gegenteil! Anstatt weiter mit den Palästinensern zu verhandeln, hat er sich entschieden, er werde eher mit Syrien verhandeln, und dadurch ist es wieder zu Terroranschlägen gekommen und so weiter, wie wir es alles wissen.
    Heinlein: Herr Primor, Sie haben viel erlebt in den vergangenen Jahrzehnten, viele Wendungen im Nahen Osten, viele Hoffnungen, aber auch viel Gewalt, viel Krieg. Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation im Jahre 2018?
    Primor: Ich sehe heute keine Möglichkeit für Frieden, wenn es von uns und von den Palästinensern abhängig ist. Erstens haben wir heute eine Regierung, die einen echten Frieden, das heißt einen Frieden mit Zugeständnissen natürlich nicht hinnehmen will. Die Palästinenser sind zu schwach dazu. Sollte in Israel eine andere Regierung, eine moderate Regierung an die Macht kommen, wird sie die Macht dazu nicht haben.
    Ich bin fest davon überzeugt, dass wir Frieden mit den Palästinensern schließen müssen, aber es erst dann tun können, wenn eine Außenmacht uns dazu drängt. Das heißt: Die Amerikaner natürlich, mit Unterstützung der Europäer. Ob Trump das tun will oder nicht, ist mir nicht klar. Ich sage nicht nein; das ist mir nicht klar. Ich sage auf jeden Fall, dass das die einzige Möglichkeit ist.
    Sollte das nicht der Fall sein, dann werden wir schrittweise die besetzten Gebiete und die palästinensische Bevölkerung annektieren, und das wird natürlich zu einer ewigen Katastrophe führen.
    Heinlein: Schrittweise annektieren, Herr Primor. Die Zwei-Staaten-Lösung scheint tatsächlich aktuell vom Tisch. Es wird geredet über einen gemeinsamen Staat Jordanien und Palästina und eine Art Konföderation mit Israel – ein Plan, den Donald Trump offenbar in der Schublade hat. Dieser Plan ist nicht ganz neu, den gab es in der Vergangenheit vor Oslo schon einmal. Wie beurteilen Sie das?
    Primor: Das könnte in Frage kommen, nur wenn der amerikanische Präsident es erzwingt. Ich wiederhole das Wort erzwingt. Wir sind von den Amerikanern in jeder Hinsicht vollkommen, total abhängig. Sollte ein amerikanischer Präsident eine Lösung erzwingen wollen, müsste er sich gar nicht sehr bemühen. Es reicht, wenn man weiß, dass er es ernst meint, was kein amerikanischer Präsident bis heute versucht hat. Die wollten alle uns nur überzeugen, aber nicht zwingen.
    Wenn der amerikanische Präsident, um erfolgreich zu sein, um einen Nobelpreis zu erzielen, oder wer weiß warum, wegen seiner Probleme innerhalb Amerikas, eine Lösung im Nahen Osten erzielen will, dann kann er es ohne weiteres, und wir wissen genau wie.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.