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25 Jahre "Paris Is Burning"
Der Appell an die Gesellschaft gilt noch

Drag-Queens nennt man Männer, die sich Frauenkleider anziehen, bevorzugt Abendroben oder Discofummel. Der Dokumentarfilm "Paris Is Burning" beschrieb 1991 zum ersten Mal die "Ball Culture" von New York City. Politisch hat der Film kein bisschen an Relevanz verloren.

Von Jenni Zylka |
    Drag-Queen Gloria Viagra bei der 66. Verleihung des Teddy Awards, dem schwul-lesbischen Filmpreis, der im Rahmen der Berlinale vergeben wird.
    Drag-Queen Gloria Viagra bei der 66. Verleihung des Teddy Awards, dem schwul-lesbischen Filmpreis, der im Rahmen der Berlinale vergeben wird. 1991 ging der Preis an den Dokumentarfilm "Paris is Burning" (dpa / Gregor Fischer)
    Opulenz – das ist eines der Schlüsselworte in Jennie Livingstons Dokumentarfilm "Paris Is Burning", der die Öffentlichkeit vor 25 Jahren mit einer neuen Undergroundszene bekannt machte: Jahrelang hatte die Regisseurin in der homosexuellen schwarzen und Latino-Community New Yorks gedreht. Hatte so genannte "Balls" - nicht ganz ernstzunehmende Laufsteg-Wettbewerbe um die größte Ähnlichkeit mit Denver-Clan-Figuren oder die größte Schulmädchen-Realness - besucht. Hatte schwule und transsexuelle Menschen mit Big Hair und Make-up porträtiert, und einen brandaktuellen Trend namens Voguing entdeckt. Damals, in den 80ern, war das Tragen von Frauenkleidung für Männer in der Öffentlichkeit ganz klar gefährlich, wie die Transgender-Drag-Queen und Tänzerin Dorian Corey im Film durchblicken lässt:
    "Wenn sie nicht mehr auffallen, wenn sie aus dem Ballsaal durch das Sonnenlicht bis zu U-Bahn gehen können, bis nach Hause, und immer noch all ihre Kleidung und keine blutenden Wunden haben, dann sind sie die Königinnen der Femme Realness."
    Drag-Queens und Transgender-Frauen wie Venus Xtravaganza und Dorian Corey erzählen in "Paris Is Burning" von ihrem Ehrgeiz, die Balls zu gewinnen, und von ihren Träumen, die für farbige schwule Männer in einem weißen, in weiten Teilen homophoben Amerika fast unerreichbar schienen:
    "Ich will ein Auto. Ich will irgendwo hin, wo mich keiner kennt, weit weg von New York, mit dem Mann leben, den ich liebe. Ich will meine Geschlechtsumwandlung."
    Ein optisches Ideenfeuerwerk
    1991 lief "Paris Is Burning" das erste Mal in Deutschland. Bei der Berlinale gewann er den schwul-lesbischen Filmpreis "Teddy Award". Und sein optisches Ideenfeuerwerk wurde von der queeren Szene der Republik gefeiert, die damals, so erinnert sich die seit 1997 als Frau lebende Regisseurin und Fotografin Jo Jackie Baier, noch ausbaufähig war:
    "Es gab ein paar Damenimitatoren, die es auch immer noch gibt, die Szene ist nicht totzukriegen, auch ein paar Tunten, die gab es dann in Berlin, ansonsten gab es - in der westdeutschen Provinz gab es das erste Mal Schwule. Aber so ein Reichtum und auch Einfallsreichtum, den erinnere ich einfach nicht."
    Auch die größte Frau Berlins, die Drag-Queen und Partyfreundin Gloria Viagra, war vom lebensfrohen Selbstbewusstsein der "Paris Is Burning"-Protagonistinnen fasziniert:
    "Ich kannte das nur, sich immer nur wehren zu müssen, oder man hat kein Geld – schwul ist scheiße, kein Geld ist scheiße, aber die waren stolz – das weiß ich noch, das fand ich so irre, hat mich total beeindruckt, mit welchem Stolz, und diese Selbstverständlichkeit, wo man ja eigentlich hinwollte, und leben wie die anderen, das fand ich total beeindruckend.
    25 Jahre später ist Livingstons Arbeit immer noch ein Meilenstein des Dokumentarfilms - doch auch politisch hat er kein bisschen an Relevanz verloren. Denn dass es Homosexuelle, Transgendermenschen und alles dazwischen offiziell nicht schwerer haben als ein normativ Heterosexueller, ist ein Wunsch geblieben:
    "Ich finde, dass die Stimmung allgemein aggressiver ist"
    "Man hat so ein bisschen den Eindruck jedenfalls vom öffentlichen Bild her, dass jetzt alles viel einfacher ist und man nur noch Transgender sagt, und irgendwie Gerichte und Krankenkassen allen immer nur die Türen aufmachen. Die Wahrheit ist aber, dass es für jeden einzelnen oder für jede einzelne ein harter Kampf ist, eine harte Auseinandersetzung ist, und dass die administrative Anpassung an die Wirklichkeit vielleicht gelungen ist, die gesellschaftliche aber überhaupt nicht. Es gibt einen massiven Rollback in den Vereinigten Staaten, den wir uns gar nicht vorstellen können, den wir uns aber möglicherweise auch bald vorstellen müssen, weil er uns nämlich auch erreichen wird."
    "Ich bewege mich in geschützten Räumen, oder wo ich weiß, dass ich geschützt werde. Aber ich finde, dass die Stimmung allgemein aggressiver ist."
    Livingston dokumentierte mit ihrem Film auch den Mord an Venus Xtravaganza, die während der Dreharbeiten tot aufgefunden wurde. Ihre beste Freundin erzählt von ihren Gefühlen:
    "Die Polizei zeigte mir ein Foto von ihrer Leiche. Sie wurde verbrannt, weil niemand kam, um den Körper zu identifizieren. Ich musste ihre Familie informieren. Aber so ist das, wenn man als Transsexuelle in New York überleben muss."
    Ein politischer Appell, der an die ganze Welt gerichtet werden muss
    "Wenn man immer nur auf diese große Sachen guckt, dann vergisst man sehr schnell, dass eben doch Transsexuelle, und zwar in der Hauptsache Mann-zu-Frau-Transsexuelle, eine signifikant höhere Gefahr laufen, ermordet zu werden, als jede andere sexuelle Gruppe oder Minderheit. Diese alltäglichere Gewalt - obwohl Mord ist eigentlich keine alltägliche Gewalt - die nimmt nicht ab, die nimmt eher zu. Das ist eher so das Problem als so besonders hervorgehobene Mordtaten wie in Orlando."
    Sagt Jo Jackie Baier. "Paris Is Burning" mit seinen bunten, schrillen, und tragischen Geschichten ist auch heute mehr als ein Zeitdokument. Die Dokumentation ist ein politischer Appell, den man noch immer laut und deutlich und an die ganze Welt richten muss.