Ja, es gab damals eine ganze Menge "H-A-S-S" gegen die Reform. Die Menschen in Stuttgart heute erinnern sich. Unmut, Streit und… Naja eigentlich war es ja der: "H-A-dreierles-S" - "Dreierles-S? Mittlerweile schreib ich eigentlich kein scharfes S mehr."
Dreierles-, scharfes S – oder eben: Das ß (Eszett). Vor 25 Jahren ist es aus vielen Wörtern verschwunden. Längst nicht aus allen. Nur die mit kurzem Vokal bekamen stattdessen ein Doppel-S verpasst. Eben Hass, Kuss oder dass. Die langen Vokale durften es behalten: Genießer, die innerlich nicht abschließen wollten mit dem eigenwilligen Buchstaben.
"Berechtigte Kritikpunkte"
Damals galt die Reform als inkonsequent oder überflüssig vor allem bei Schriftstellern, Wissenschaftlerinnen und Journalisten. Ihnen war das Ganze schlicht ein "Greuel? G-R-E-U-E-L". Nach den alten Regeln noch mit "e". Die neue Regel brachte den Wortstamm von Grauen mit – und damit ein für viele ärgerliches "ä": "G-R-Ä-U-E-L".
Andere hatten sich damals auch einfach mehr erhofft von der großen Reform. Annette Sickeler war Lehrerin an einem Gymnasium in Stuttgart. Bis heute findet sie: "Was ich so lese, wenn Groß- und Kleinschreibung beherrscht würde und die Kommasetzung wären, glaub ich, 90 Prozent der Rechtschreibfehler bei meinen Schülern zumindest weg. Ich wäre für eine konsequente Kleinschreibung."
"Das waren ja die ursprünglichen, sehr viel radikaleren Reformideen", sagt Henning Lobin, Linguist und Germanist. Und Direktor des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim. "Es gibt ja auch berechtigte Kritikpunkte an dieser ursprünglichen Gestalt der Reform. Es war teilweise wirklich zu wenig bedacht worden, dass wir eben hier es mit einem eigenen System zu tun haben, der Schriftsprache und nicht nur eine Abbildung der gesprochenen Sprache."
Streit um die Schifffahrt
Das Ziel: Vereinfachung. Die Kommaregeln wurden entschlackt. Das klein und zusammen geschriebene radfahren wurde groß und auseinander geschrieben: Rad fahren. Die öffentliche Debatte hat sich aber auch am Ästhetischen entzündet: Bei der Schifffahrt zum Beispiel. "Ah, mit drei f meinen Sie!" Genau! Die einen verstehen heute die Aufregung nicht mehr – die anderen finden es total nachvollziehbar:
"Also auf einmal diese drei f, die wirken total unüblich. Also ist 'ne rein optische Sache gewesen." "Es sah am Anfang erst mal ungewohnt aus, aber auch dann hab ich gedacht, ja irgendwie total logisch (lacht): Weil das Schiff hat zwei f und die Fahrt ja noch mal eins."
Auf die Kritik folgte später: Die Reform der Reform. Und ein neues Expertengremium: Der Rat für deutsche Rechtschreibung. Vielfältiger besetzt als die alte Kommission, sagt Henning Lobin, selbst Mitglied, damals forschte er als Linguist an der Uni Bielefeld: "Dann hat es eben dann auch parallel dazu innerwissenschaftliche Auseinandersetzungen gegeben, die sehr stark auch in die Öffentlichkeit getreten sind, was wiederum zu massiven Verunsicherungen beigetragen hat."
Auf den Protest auf der Frankfurter Buchmesse vor 25 Jahren folgten Gerichtsverfahren. Bis zum Bundesverfassungsgericht ging der Versuch, die Rechtschreibreform zu stoppen. Vergeblich. Auch ein Volksentscheid hat letztlich nichts ausgerichtet. Warum wurde so heftig diskutiert?
Verunsicherung und Ängste
"Erstmal denke ich, dass unsere Emotionen generell sehr schnell hochkochen, wenn es darum geht, etwas infrage zu stellen", sagt Rosemarie Tracy. Sie ist Anglistin und Psycholinguistin an der Universität Mannheim. Ob Rechtschreibreform, die aktuelle Genderdebatte oder bei Tracys Forschungsthema: Mehrsprachigkeit an deutschen Schulen. Im Sprachenstreit geht es oft um Ängste.
Tracy: "Das sind immer Momente der Verunsicherung und bei der Sprache kommt sicher hinzu, dass es ja hier auch um Dinge geht, die wir relativ früh lernen. Und gerade auch, wenn man so an die Rechtschreibung denkt, die wir uns ja zum Teil mühevoll haben aneignen müssen und gerade mal froh waren, dass wir das so gemeistert haben."
Es gehe nicht nur um linguistische Argumente. Sondern auch ums persönliche Empfinden, so Tracy: "Abgesehen davon hat unsere Reaktion auf den Umgang mit der Sprache ja ganz viel mit Irrationalität auch zu tun. Dass man denkt: 'So war es doch schon immer! Warum soll ich es jetzt anders machen?' Aber natürlich spricht niemand mehr so wie unsere Großmutter. Es gibt ständig Veränderungen."
Heute wird breiter diskutiert. In den sozialen Medien. Und politisch noch aufgeladener anders als vor 25 Jahren, sagt Henning Lobin mit Blick auf die Genderdebatte. Er und die anderen Mitglieder im Rat für deutsche Rechtschreibung verfolgten das genau. Entscheiden wolle man sich noch lange nicht: "Aber ich glaube schon, dass wir da zu einer Position kommen. Diese Position wird sicherlich sehr differenziert sein und nicht darin bestehen zu sagen: Ab jetzt gilt der Genderstern oder gar, er muss genutzt werden, denn das ist etwas, was über die Orthografie ja überhaupt nicht zu regeln ist."