Schossig: Was versprach man sich denn real von so einer Tageszeitung oder gab es diese Realität gar nicht?
Sontheimer: Na, politischen Einfluss natürlich. Öffentlichkeit schaffen für bestimmte Themen, die von den etablierten Medien ignoriert wurden und damit auch zu einem politischen Machtfaktor zu werden. Wobei man sehen muss, dass wir damals alle blutige Laien waren. Es gab von diesen 300 Leuten glaube ich drei, vier, die überhaupt schon mal eine Tageszeitung von innen gesehen hatten und wir waren alle sehr jung und es war sozusagen auch jugendlicher Leichtsinn, eine gewisse Arroganz, die man so Anfang, Mitte 20 hat. Denn alle Experten haben uns gesagt: das geht nicht, man braucht Millionen, man braucht Profis, die das alles machen und das hatten wir alles gar nicht.
Schossig: War das eine Illusion?
Sontheimer: Nein, ganz im Gegenteil. Die Zeitung hat sich zwar über die Jahre dann auch doch verändert, aber die war dann in der sogenannten Anti-AKW-Bewegung - ich erinnere an die Auseinandersetzung um das Endlager Gorleben - wurde sie zu einem wichtigen politischen Faktor. Es gab dann Anfang der 80erjahre Hausbesetzungen, auch da war sie ein Kommunikationsmedium von Individuen und Gruppen, die politisch aktiv waren und das hat alles in die sogenannte bürgerliche etablierte Öffentlichkeit auch hineingestrahlt. Die haben ja dann sozusagen die taz begierig gelesen und auch die Themen aufgegriffen.
Schossig: Sie verließen die taz, kehrten dann aber 1992 zurück auf den nagelneuen Sessel des Chefredakteurs - das klingt schon nach Professionalität - von dem Sie dann allerdings genau vor zehn Jahren zum 15. Geburtstag der taz relegiert wurden wegen eines taz-kritischen Artikels, das war ein Novum damals, die taz sei zu konventioneller Professionalität heruntergekommen, Leidenschaft und Radikalität drohten auf der Strecke zu bleiben. Das schrieben Sie damals der taz ins Stammbuch. Trifft dies nicht auf die heutige taz noch viel mehr zu?
Sontheimer: Ganz richtig. Das ist meine beständige Kritik schon seit über zehn Jahren, dass die taz auch auf dem Pressemarkt, also ganz simpel wirtschaftlich gesehen, nur dann eine Chance hat, wenn sie ästhetisch dun politisch radikaler ist als die etablierte Presse. Denn eine bessere Süddeutsche Zeitung zu machen oder eine bessere Frankfurter Rundschau, denen es im Übrigen ja auch ganz miserabel geht, dazu ist die taz nicht da, das machen die schon ganz gut. Das Problem ist nur, dass die Leute, die heute in die taz kommen und arbeiten, andere Leute sind. Wir waren politisch besessene Amateure. Heute kommen junge Leute in die taz, die Journalisten werden wollen, die mitgekriegt haben, dass hunderte von taz-Leuten später in etablierten Medien Karriere gemacht haben. Die taz ist ja die erfolgreichste Journalistenschule Deutschlands gewesen.
Schossig: Dass solche Leute dahinkommen liegt ja auch daran, dass diese großen hehren Ideale abhanden gekommen sind. Was heißt revolutionär heute? Alternativ vielleicht gerade noch denkbar, radikal, unbequem - was ist daraus heute zu machen?
Sontheimer: Wenn Sie sich heute die geopolitische Situation anschauen, George W. Bush mit seiner wahnwitzigen Außenpolitik, das wäre ein Thema, wo die taz täglich losmarschieren müsste und kritische Berichterstattung machen und dagegen trommeln müsste. Das machen sie nicht ausreichend sondern machen für meinen Geschmack zu viele weiche Themen. Aber die Tatsache, dass dieses Blättchen 25 Jahre überlebt hat, dass es jetzt eine Genossenschaft ist, also nicht einem Privateigentümer gehört, die ist schon wunderbar. Denn das Ding ist da, wenn sich mal wieder eine Gruppe von Leute zusammenrottet, die politische wirklich was wollen, können sie den Laden übernehmen oder Einfluss nehmen und es ist bestens.
Schossig: Also wäre es doch ein Lob zu sagen, heute ist die taz in der Professionalität angekommen?
Sontheimer: Sicher. Ich habe neulich mit Hans Christian Ströbele, der war so etwas wie der Vater, auch Gründungsmitglied, damals Anwalt, heute ist er grüner Bundestagsabgeordneter und wir redeten über die taz. Er hat mir gestanden, was ich nie wusste. Er sagte, er dachte damals nach einem halben Jahr klappt der Laden wieder zusammen, das funktioniert alles nicht. Und es hat funktioniert. Erstaunlicherweise ist die taz jeden Tag erschienen, trotz der irrsinnigsten internen Streitereien und Konflikte, Diskussionen, Besetzungen und was es alles gab. Die Zeitung muss eben gemacht werden. Und das finde ich schon einen großen Erfolg. Ich habe schon bei vielen anderen Zeitungen gearbeitet und das ist ungefähr das einzige, worauf ich in meinem Berufsleben stolz bin, dass es uns damals gelungen ist, gegen alle Widrigkeiten dieses Blättchen auf die Beine zu stellen.
Schossig: Die Liste der publizistischen Heldentaten der taz, der größeren und auch kleineren, ist lang, reicht sicherlich von diesem Selbstverständigungsorgan damals in der Anti-AKW-Bewegung hin bis zu solchen Dingen wie dass Le Monde Diplomatique heute regelmäßig zu lesen ist in Deutschland auf Deutsch. Was ist für Sie der wichtigste Beitrag, den diese taz der Presselandschaft der Bundesrepublik hinzugefügt hat?
Sontheimer: Wir haben uns Ende der 70erjahre, als wir das Ding gegründet haben, durchaus strategisch überlegt: es gibt vier Themen, haben wir damals gesagt, die sind in der etablierten Öffentlichkeit nicht vernünftig repräsentiert. Ökologie, Feminismus oder Geschlechterfrage, das sogenannte alternative Leben und dann war es Internationalismus, wie wir es nannten, also dritte Welt, heute würde man Globalisierung sagen. Ähnlich also dem Parteiprogramm der Grünen, das ja auch parallel lief. Diese Themen wollten wir in die etablierte Öffentlichkeit bringen und das ist uns glaube ich auch gelungen, denn die liberalen Zeitungen haben dann die Themen aus der taz aufgegriffen. Von daher hat die taz immer einen viel größeren Einfluss gehabt, als ihre 60.000 Auflage.
Schossig: Die taz ist noch in der DDR gegründet worden, 1989, da gibt es unterschiedliche Ansichten, war ein Krisenjahr für die taz, gleichzeitig ein Aufschwung Ost, es gab durchaus eine Hoffnung auf dieses Blatt, auch im Osten. Aber ist die taz nicht eine Westzeitung geblieben?
Sontheimer: Die taz war zunächst die erste Zeitung von allen westsdeutschen Zeitungen, die eine Ostausgabe gemacht hat. Aber dann stellte sich natürlich heraus, dass der Großteil der Reaktion Westler waren, im Westen geprägt, hatten wenig Kenntnis oder Interesse am Osten und von daher hat die taz das Schicksal erlitten, was praktisch alle westedeutschen Zeitungen erlitten haben, dass die nämlich eine Westzeitung geblieben ist und auch relativ wenig Leser im Osten gefunden hat.
Schossig: Sie sehen die taz heute von außen als Spiegel-Redakteur. Welche Tugenden, die eine Zeitung wie die taz haben sollte, also hoher Informationswert und ausgeprägte Meinung, gerüttelt Maß Nüchternheit und Unterhaltungswert, Ironie und Selbstkritik - hat sich da was geändert, müsste da was hinzukommen?
Sontheimer: Ich finde die taz heute vor allen Dingen, was diese Schlagzeilen auf der Seite eins angeht, manchmal ein bisschen lahm und ich finde, sie müsste ein bisschen spritziger, aggressiver sein. Aber im Grunde, so diese Mischung von Ironie aber durchaus ernsthafter Analyse ist weitgehend noch erhalten. Von daher will ich auch gar nicht zu sehr über die heutige Zeitung schimpfen, sie ist mir halt ein bisschen zu unpolitisch, aber sie ist auch immer ein Spiegelbild der Leserschaft. Und die Zeiten haben sich ja nun wahrlich geändert.
Schossig: Vom Kuckucksei übers Osterei zum täglichen publizistischen Frühstücksei. Das war Michael Sontheimer, Gründungsmitglied der taz zum 25. Geburtstag der alternativen Tageszeitung.