Einmal soll ein Museumswärter die Polizei gerufen haben, weil der letzte Besucher sich einfach nicht von der Stelle bewegen wollte. Einmal hat ein Schuljunge – im Kölner Museum Ludwig – der stummen Frau so eindringlich ins Gesicht geschaut, dass sie umkippte und zersplitterte. Und auf der documenta 1972 in Kassel umkreisten viele den bärtigen, rittlings auf seinem Stuhl sitzenden und erschöpft wirkenden Mann, bevor sie sicher waren, dass er nicht aus Fleisch und Blut war. So sicher man sich eben sein kann …
Macht der Amerikaner Duane Hanson sich also einen Spaß mit seinem ahnungslosen, verwirrten, ungläubigen Publikum?
Macht der Amerikaner Duane Hanson sich also einen Spaß mit seinem ahnungslosen, verwirrten, ungläubigen Publikum?
Natürlich nicht, sagt Hanson. Sein Thema sei die menschliche Existenz, die Gesellschaft. Sein Medium: die Skulptur. Und das hervorstechende Merkmal seiner Figuren aus Polyester, Spachtelkitt und Glasfaser eine Perfektion in der Nachbildung realer Menschen bis in die Poren der Haut, den Glanz der Augen, die Kleidung, Körperhaltung, Frisur, bis zu den Härchen auf dem Handrücken – so perfekt, dass die Betrachter dieser im Augenblick erstarrten Porträts immer wieder den Atem anhalten.
Dazu Hanson: "Es hat schon etwas mit einem Porträt zu tun. Aber es geht darüber hinaus um so etwas wie Entfremdung, Enttäuschung, eine diffuse Müdigkeit. Und um eine Leere, die von den Gedanken der Menschen Besitz ergreift."
Sich selbst gegenüberstehen
Was die Betrachter dieser hyperrealistischen Figuren innehalten lässt, sie zum Schweigen bringt, sobald sie dem erschöpften Postboten gegenüberstehen, Auge in Auge, der Frau mit dem Einkaufswagen, übergewichtig und mit Lockenwicklern, oder dem mittelalten Touristenpaar auf der Museumsbank, er in kurzen Hosen, sie im Hawaii-Hemd, beide griesgrämig und müde – was sie stocken lässt, ist die jähe Erkenntnis, dass sie da genau genommen sich selbst gegenüberstehen. Wenn Hanson sagt, sein Thema sei die conditio humana – dann meint er damit die eigene Gegenwart.
Zweifler und Mahner in einer selbstverliebten Kunstszene
Der Künstler, geboren 1925 im Mittleren Westen der USA, war Kunstlehrer, bevor er zu den Helden seiner Generation auf Distanz ging. Ein Zweifler und Mahner in einer Szene, die sich vor lauter Begeisterung über sich selbst kaum halten konnte:
"Nein, mit Abstraktion konnte ich nie etwas anfangen. Also sagte ich mir: Was soll’s? Damit lässt sich nichts über den Menschen aussagen. Und dann, als die Pop Art aufkam, war auch wieder Platz für diese Art von Realismus. Ich machte eine Figurengruppe als Protest gegen den Vietnamkrieg, 67 muss das gewesen sein: vier tote Soldaten und ein fünfter, sterbend. Ein ähnliches Ensemble zu den Rassenunruhen. Und als ich 1969 nach New York zog, da waren es die Obdachlosen an der Bowery, die mich interessierten."
Seine Modelle sprach er auf der Straße an
Später waren es dann eher Einzelfiguren, mit denen Hanson internationale Erfolge feierte: der Polizist, die Frau aus der Putzkolonne – Durchschnittstypen, die er stets ohne Sockel ins Museum oder eine Kunstgalerie stellte, dorthin, wo die gesellschaftliche Elite sich selber feierte. Der Künstler sprach seine Modelle auf der Straße an und lud sie in sein Atelier, machte Gipsabdrücke und goss die Formen aus, tupfte ihnen eine täuschend echt aussehende Plastikhaut auf Gesicht und Hände und kleidete sie ein.
Duane Hanson starb am 6. Januar 1996 in Florida. Was der selbst eher still und bescheiden auftretende Künstler mit seinen Menschenbildern erreichte, war eine Abkehr vom pompösen Heldenmythos des Abstrakten Expressionismus auf der einen und von der verspielten Belanglosigkeit der Pop Art auf der anderen Seite. Was er seinem Publikum dagegen vor Augen führte, war ein Verlust der eigenen Mitte. Eine Gesellschaft auf dem Weg in die Verzweiflung.