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25. Todestag von Freddie Mercury
Der gefallene Priester

Vor 25 Jahren starb Freddie Mercury, der charismatische Sänger der Rockgruppe "Queen". Was wenige wissen: Er wuchs in einer streng parsischen Familie auf. Parsen glauben an den Schöpfergott Ahura Mazda, an Erfolg und Opulenz. Für junge Gläubige ist der exzentrische Künstler bis heute ein Beispiel dafür, wie sich einer der ihren von Fundamentalisten emanzipiert hat.

Von Michael Briefs | 24.11.2016
    Der Leadsänger der britischen Rockgruppe "Queen", Freddie Mercury, bei einem Auftritt im September 1984.
    Der Leadsänger der britischen Rockgruppe "Queen", Freddie Mercury, bei einem Auftritt im September 1984. (picture alliance / dpa / DB)
    1979. Die Rockgruppe Queen in einer live-Show. Leadsänger Freddie Mercury stolziert im feuerroten, enganliegendem, kaum etwas verhüllenden Kostüm über die Bühne, singt ekstatisch mit vollem Einsatz seines Körpers.
    "Hallo, ich bin Freddie Mercury. Wäre ich morgen mein gesamtes Vermögen los, ich würde so weitermachen wie bisher. Es ist meine Natur, wie ein persisches Zuchtkätzchen herumzulaufen."
    "Uns sind Abstinenz, Zölibat oder Selbstkasteiung fremd", ein Leitspruch der Parsen. "Fasten ist eine Sünde", ein weiterer. Die Lehre Zarathustras ist dem wohl berühmtesten Parsen außerhalb Indiens, dem 1991 verstorbenen Rocksänger der Kultband "Queen", Freddie Mercury, wie auf den Leib geschrieben.
    "Bei meinem Job auf der Bühne zeige ich mich gern von meiner frivolen Seite. Ich bin ein Star und möchte das Leben genießen. Vor 300.000 Fans lasse ich alles raus. Aber das ist nur eine Seite von mir und nicht das wirkliche Leben."
    In der Parsenkolonie des zentral gelegenen mumbaier Stadteils Dadar leben noch Verwandte Freddie Mercurys. Dort lebt auch ein besonderer Fan des britischen Sängers. Es ist Indiens bekanntester Bildhauer, Arzan Khambatta. Der quirlige, stets gut gelaunte und gläubige Parse hält Mercury für den größten Pop-Künstler aller Zeiten.
    Wie eine Flamme im Wind
    "Die Skulptur, die Sie hier sehen, stellt Freddie Mercury dar. Ein phänomenales Ausnahmetalent. Er sang aus vollstem Herzen, war genial als visueller Entertainer. Dazu noch diese Körperbeherrschung. Es gibt niemanden auf der Welt, den ich lieber kennengelernt hätte als ihn. Aber Freddie Mercury starb 1991."
    Der Körper der Menschenfigur ist in der Mitte zweigeteilt und gebogen wie eine Flamme im Wind.
    Arzan Khambatta sagt: "Die untere Körperhälfte zeigt die verantwortungsvolle, die andere die flamboyante Seite Freddie Mercurys. Sein Pluspunkt. Er war Parse. Aber hier in Dadar kennt ihn niemand. Er ging in einem Vorort von Bombay zur Schule. Später wanderte er nach London aus, wo er seinen Namen Farrokh Bulsara in Freddie Mercury änderte. Seine Eltern haben ihn traditionell erzogen, aber er hat nicht wie die anderen Parsen gelebt. Für mich ist er aber Parse durch und durch. Ein außergewöhnlicher Mensch."
    Zu den Verhaltensregeln der Anhänger des Propheten Zarathustra gehören die Reinhaltung der heiligen vier Elemente Erde, Wasser, Feuer, Luft. Parsen bestatten ihre Toten in den Dokhmahs, wörtlich übersetzt Gräber, bekannt als Türme des Schweigens. Die toten Körper werden auf Plattformen in den kreisrunden Steintürmen gelegt und der Sonne und den Vögeln überlassen. Kommen sie mit Erde in Berührung, gilt die Erde als verunreinigt. In Dadar gibt es keine Türme des Schweigens, dafür aber einen Feuertempel. Der parsische Bildhauer Arzan Khambatta geht nur selten in einen Feuertempel, um dort dem Priester als Opfergabe ein Stück Sandelholz auszuhändigen für das heilige Feuer. Parsen, sagt Arzan Khambatta, werden wegen dieser Praktik gelegentlich von Hindus, Christen oder Muslimen – im Scherz oder aus Neid - fälschlich als Feueranbeter bezeichnet.
    "Herr, was hast du mit mir gemacht?"
    Arzan Khambatta: "Ich besuche nur sporadisch einen unserer Feuertempel. Aber ich trage fast immer unter meiner Kleidung Hemd und Wollschnur der Parsen: kusti und sudre. Nur dann nicht, wenn mir die Möglichkeit zur rituellen Waschung fehlt. Ich bete täglich zuhause."
    Die rituelle kusti-Schnur wurde später ein Teil der Bühnen-Outfits des Queen-Sängers. In seinem posthum veröffentlichten Video "Made in heaven" thront Mercury als Priester verkleidet auf einer Weltkugel.
    Das Leitmotiv des gefallenen Priesters hat auch im Spätwerk Freddie Mercurys zusammen mit der Operndiva Montserrat Caballé Spuren hinterlassen. Da litt er bereits an den Folgen seiner AIDS-Erkrankung.
    "Kann kaum auf meinen Füßen stehen. Sehe in den Spiegel und weine. Herr, was hast du mit mir gemacht? Ich habe all die Jahre an dich geglaubt. Aber ich bekomme keine Unterstützung, Herr!", singt er.
    Die Zeilen eines seiner Songs aus der letzten Schaffensperiode Freddie Mercurys lassen einen verunsicherten und unter Einsamkeit leidenden Mann sichtbar werden. Trotzdem vermochte es der Sänger weiterhin, seine Fans zu faszinieren.
    Arzan Khambatta sagt: "Leider hatte ich nie das Glück, dabei zu sein und ihn zu sehen. Aber auf einer meiner Shows in England traf ich immerhin seine Mutter und Schwester." Er weiß, dass sein Idol nicht jener Mr. Bad Guy war, als den sich Mercury in ironischer Weise selbst bezeichnete.
    Homosexualität gilt als große Sünde
    Aus Rücksicht auf seine Familie hat Freddie Mercury sein ausschweifendes Privatleben nie öffentlich gemacht. Zu Lebzeiten des Rockstars galt Homosexualität unter fundamentalistischen Parsen als eine große Sünde. Sie glauben an das Überleben der parsischen Religion und Kultur.
    "Mein Name ist Dr. Dastur M. Feiruz Kotwal. Ich war Hohepriester in Mumbai. In den letzten Jahren ist die Religiosität sehr verwässert worden. Das moderne Leben mit all seinen Freizügigkeiten und Verlockungen ist dafür verantwortlich. Es schmerzt zu sehen, wie das Überleben unserer Gemeinschaft durch die vielen Mischehen bedroht wird. Ich kenne nur einen einzigen Weg, wie wir als Zoroastrier überleben können. Das ist die Pflicht, nur untereinander zu heiraten."
    Die strikten Gebote haben den Parsen schon früher geholfen, seit sie vor 1000 Jahren aus dem islamischen Iran nach Indien geflohen waren. Heute gibt es andere - weniger greifbare - Feinde. Überalterung, Bauspekulation und Arbeitslosigkeit droht die Parsen aus ihrem Bezirk zu vertreiben. Bildhauer Arzan Khambatta erklärt:
    "Viele sagen, die Parsen sterben aus. In Indien gibt es nur noch 70.000. Die Zahl ist mir egal. Was zählt ist die Qualität. Mit etwas Glück reicht ein kleiner Ruck und wir befreien uns aus unserer Lethargie. Die Zeiten haben sich dramatisch geändert. Wir müssen das Neue zulassen und uns anpassen."
    Himmlische Zustände für jedermann
    In einem Gottesdienst nach parsischem Ritus wurde Freddie Mercury in London im engsten Familienkreis für immer verabschiedet und eingeäschert. Ahura Mazda, Herr der Weisheit, ist der Schöpfergott der Parsen. Zuerst erschuf er die geistige Welt, das menok, dann die materielle Welt, das geti. Er verkörpert die Macht des Lichts. Das verehrte Feuer der Parsen. Jeder Zoroastrier, der die Grundregeln "Gute Gedanken, Gute Worte, Gute Taten" befolgt, wird nach seinem irdischen Leben Flügel erlangen, die es ihm ermöglichen, den Himmel zu erreichen, wo Ahura Mazda ihn erwartet.
    Does anybody know what we are living for – weiß irgendjemand wofür wir leben? Für die Hoffnung auf himmlische Zustände für jedermann, singt Freddie Mercury in "Heaven For Everyone".