Die Malerei sei wie Wein, hat Robert Motherwell einmal gesagt. Sie habe ein ebenso begrenztes Vokabular und dabei genauso gewaltige Ausdrucksmöglichkeiten. Und der Ausdruck war für Motherwell weit wichtiger als die "Zutaten" eines Bildes.
Der 1915 im Bundesstaat Washington geborene Künstler gehörte zu einer Bewegung, die der amerikanischen Kunst zu ihrem großen Befreiungsschlag verhalf. Bis in die 1940er Jahre hinein hatten europäische Künstler die ästhetischen Vorbilder geliefert. Mit dem "Abstrakten Expressionismus" um Robert Motherwell, Jackson Pollock, Mark Rothko, Willem de Kooning und anderen war ein genuin amerikanischer Stil herangewachsen.
"Abstrakter Expressionismus"
"Es gab eben einen großen Wunsch, eine spontane, freie Malerei zu entwickeln, die durchaus expressionistisch vom Bildausdruck war, aber eben abstrakt war und daher eben auch die Idee der Namensgebung ‚Abstrakter Expressionismus’. Es war eigentlich so ein bisschen das Sinnbild für das freie und liberale neue Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg", so Johannes Schilling von der Kölner Galerie Boisseré.
Dass amerikanische Visionen und europäische Tradition einander nicht ausschließen mussten, bewies Robert Motherwell. Der Intellektuelle unter den Abstrakten Expressionisten verkörperte eine Art transatlantische Brücke zwischen der neuen Kunstmetropole New York und der alten, Paris. Vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges lebte Motherwell längere Zeit in Frankreich. Picasso, die Collagen von Matisse, Dada und die Surrealisten beeindruckten ihn. Er verschlang europäische Literatur. Für den studierten Philosophen entstand das Neue im Wissen um die Tradition, nicht im Bruch mit ihr.
In Motherwells Werk zeigt sich dieser Einfluss am kultivierten Umgang mit der Farbe und auch an den Themen. Die bekannteste, an die 200 Bilder umfassende Werkreihe "Elegy to the Spanish Republic" etwa bezieht sich auf den Spanischen Bürgerkrieg. Die Kernmotive sind schwarze, stehende Ovale, eingeklemmt zwischen ebenfalls schwarzen Balken.
Werkreihe über spanischen Bürgerkrieg
"Die Spanischen Elegien sind nicht ‚politisch‘, sondern mein persönliches Beharren darauf, dass ein schreckliches Sterben stattgefunden hat, das nicht vergessen werden sollte. Sie sind so beredt, wie es mir nur möglich war. Die Bilder sind jedoch auch allgemeine Metaphern für den Gegensatz zwischen Leben und Tod und deren Wechselbeziehung", beschreibt Motherwell sein Werk.
Den Entschluss, Künstler zu werden, fasste Motherwell 1941, nachdem er zusammen mit dem surrealistischen Maler und Bildhauer Roberto Matta durch Mexiko gereist war. Damals schuf Motherwell, der zuvor in New York ein Kunstgeschichtsstudium aufgenommen hatte, die ersten ausgereiften Zeichnungen. Seine ästhetische Bildsprache hat er schnell gefunden und bis zuletzt beibehalten. Seine Gemälde, Collagen und Grafiken leben von der Variation wiederkehrender Elemente.
Wiederkehrende Elemente
"Man findet sehr viel Schwarz, man findet im Grunde ovale Formen, die immer wieder abgeändert werden in Varianten. Es sind Bilder, die zum Teil auf sehr farbintensiven Grundflächen entstanden, wo dann meinetwegen die lyrisch anmutende schwarze Form auf einem ganz intensiven roten Feld steht. Das sind so ganz typische Stilelemente, wenn man sich ein bisschen mit seiner Malerei und seinen Arbeiten auf Papier auseinandersetzt", sagt Johannes Schilling.
Motherwell war nicht nur Schöpfer, sondern auch Theoretiker der amerikanischen Nachkriegskunst. In seinen Schriften, als Redner, Lehrer und Herausgeber zeigte er Diskussionsfelder, Haltungen und offenen Fragen auf. Denkanstöße waren ihm lieber als konkrete Antworten.
"Unter dem Arbeitsethos eines Künstlers verstehe ich die Dinge, auf die er nicht verzichten kann, und die, die er strikt ablehnt. Für mich persönlich bedeutet das: keine Nostalgie, keine Propaganda, keine biographischen Elemente, keine Klischees. Ich bestehe dagegen auf Unmittelbarkeit, Objektivität und Entschlossenheit, auf Licht und direkten Farben."
Stille Wertschätzung
Am 16. Juli 1991 starb Motherwell im Alter von 76 Jahren an einem Herzinfarkt. Er hat über 1000 Arbeiten hinterlassen, die Druckgrafik nicht eingeschlossen. Anders als in den USA, bekommt man in Deutschland nur selten etwas davon zu sehen. Nicht einmal eine Handvoll Museen haben einen "Motherwell" in ihrer Sammlung. Der "europäische" Amerikaner genießt dennoch eine stille Wertschätzung. Johannes Schilling:
"Es ist wirklich eine abstrakte Malerei, wo man versuchen kann, Kindern zu erklären, dass man nicht einfach nur einen schwarzen Fleck auf ein Papier malt, sondern dass da im Grunde weitaus mehr hinter ist und dieses ‚weitaus mehr‘ auch die langfristige Freude am Bild ausmacht."