In seiner Ausstrahlung muss schon der junge Mann von Mitte 20 überwältigend gewirkt haben. Friedrich Schlegel, so schilderte Rahel Levin ihren Eindruck: - "Das ist ein Kopf, in dem Operationen geschehen."
Höchste Aufmerksamkeit erregte Schlegel sofort auch in einem Kreis junger Schriftsteller, in den er 1796 in Jena geriet. Zwar schrieb er nicht wie die anderen Prosa oder Lyrik, sondern operierte nur als Theoretiker und Kritiker der Literatur, aber dies in einer Weise, wie man sie nicht kannte.
"Das Beste in den besten Romanen (ist) nichts anderes als ein mehr oder minder verhülltes Selbstbekenntnis des Verfassers, die Quintessenz seiner Eigentümlichkeit."
Eine sprudelnde Quelle schillernder Aperçus
Diese Schärfe des Intellekts. Überhaupt diese Geistesgewandtheit, mit der Schlegel sich durch die Zeit bewegte und als Kenner zum Beispiel der gesamten antiken griechischen Literatur und Philosophie Jahrtausende überblicken konnte.
Die stets geheimnisvoll-leuchtenden Aperçus sprudelten nur so aus ihm heraus - "Der Historiker ist ein rückwärts gewandter Prophet"
Schlegel lieferte den theoretischen Überbau der Frühromantik
Ein intellektueller Abenteurer offenbar, der den in Jena versammelten Autoren als der einzige erschien, der der inzwischen unter der Bezeichnung Frühromantiker mehr und mehr berühmt werdenden Gruppe ihre Programmschrift verfassen konnte:
"Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Sie will und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen …"
Dieses Konzept entfaltete Schlegel in der Zeitschrift "Athenäum", deren erstes Heft im Mai 1798 erschien und die bald das Zentralorgan der Frühromantiker wurde. Die größte Aufmerksamkeit darin fanden Schlegels "Fragmente" überschriebene Notizen. Fragmente: "Die größte Masse von Gedanken in dem kleinsten Raum."
Die Ausrufung einer Universalpoesie
Diese Masse von Gedanken war als eine Enzyklopädie des Wissens angelegt und stellte zugleich ein Gesamtkunstwerk dar in Form der proklamierten progressiven Universalpoesie. Dahinter stand der Wunsch, den geheimen Rhythmus zu erkennen, der für ihn die Schöpfung bewegte, die Zeit und die Geschichte, die Natur und das menschliche Leben mit allen Phänomenen.
"Das höchste Wissen grenzt … ans Unbewusstsein. Poesie ist die absolute Wissenschaft. Der Dichter sollte eo ipso Geistlicher sein und werden."
So ließ er sich manchmal auch verführen, selbst als konventioneller Primärdichter aufzutreten. Größere Aufmerksamkeit erregte aber nur sein 1799 erschienener Roman "Lucinde", der aufgrund der unverhüllt autobiografischen Schilderung einer wilden Ehe sogar einen Skandal auslöste. Durch diesen Skandal eine weithin illustre Person geworden und seit 1800 auch Professor an der Universität Jena, strömten die Studenten dort und später in Berlin, Wien, Köln und auch Paris in seine Vorlesungen. Manchem Hörer wird allerdings sicher nur der Kopf geschwirrt haben angesichts der aufgetürmten Masse an Gedanken und Ideen – Worin das wahre Zentrum dieses Gesamtkunstwerks bestand, blieb selbst einem guten Kenner von Schlegels Person und Werk, Karl August Varnhagen von Ense, letztlich verborgen:
"Es gehört freieste Übersicht dazu, um sich in dieser aus Widersprüchen, Verwicklungen, Seltsamkeiten, Verstecknissen und Unregelmäßigkeiten aller Art zusammengesetzten Natur zurechtzufinden, wo Gespenster, Dämonen und Genien durcheinanderschwirren."
1808 konvertierte der am 10. März 1772 in Hannover geborene evangelische Pastorensohn und trat, wie Heinrich Heine später höhnte, aus "Todesangst in die zitternden Ruinen der katholischen Kirche" ein. Einige Jahre später sah man Schlegel in Wien als politischen Berater von Fürst Metternich. Zuletzt in den Adelsstand erhoben, starb er 1829 als Friedrich von Schlegel. Als Gründungsmanifeste einer modernen Kritik und Literaturwissenschaft sind viele seiner Arbeiten heilige Texte geworden und entfalten bis heute tiefe Wirkung.