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28-Stunden-Woche
Durch flexible Arbeitszeit "mehr Kapazität zur Verfügung"

Zwei Jahre lang aufstocken oder reduzieren: Beim Medizinproduktehersteller Aesculap können die Mitarbeiter genau das tun. Knapp zehn Prozent der Belegschaft nehme das in Anspruch, sagte Vorstandschef Joachim Schulz im Dlf. Das Unternehmen profitiere davon - die Forderungen der IG Metall hält er dennoch für ungerecht.

Joachim Schulz im Gespräch mit Sina Fröhndrich |
    Baustein mit der Aufschrift "Fachkraft"
    Fachkräftemangel Fehlanzeige: Die Firma Aesculap profitiert von der Wahlarbeitszeit. (dpa / Stephanie Pilick)
    Sina Fröhndrich: 28 Stunden arbeiten – und dafür einen Lohnausgleich bekommen. Mit dieser Tarifforderung sorgt die IG Metall zurzeit für ziemlich viel Wind. Damit würden Fachkräfte stillgelegt, sagen die Arbeitgeber. Aber wäre es wirklich so dramatisch? Wir haben nachgefragt bei Aesculap, einem Unternehmen für Medizinprodukte. Dort gibt es die Wahlmöglichkeit bei der Arbeitszeit schon – Mitarbeiter können reduzieren oder aufstocken - um zweieinhalb Stunden – für zwei Jahre. Frage an den Vorstandschef Joachim Schulz, der auch im Vorstand von Südwestmetall ist: Bei Ihnen gibt es das Rückkehrrecht nach zwei Jahren schon – ist das eine Kröte, die sie gern geschluckt haben?
    Joachim Schulz: Na ja. Wir haben seit mehreren Fünf-Jahres-Zeiträumen einen sogenannten Standortsicherungsvertrag, in dem wir auf der einen Seite versuchen, unseren Standort in Tuttlingen wettbewerbsfähig im internationalen Umfeld zu halten, und haben das geschafft, mit der Belegschaft dafür Regeln aufzustellen und ein Geschäft abzuschließen, und das war dann auch das, was wir von unserer Seite als Zugeständnis eingebracht haben.
    "Wir kommen damit gut zurecht"
    Fröhndrich: Aber tut Ihnen dieses Zugeständnis weh? Fehlen Ihnen dadurch schon Leute?
    Schulz: Nein, das kann man nicht sagen. Und speziell wenn es um das Thema Wahlarbeitszeit geht, wo ich selber meine Sollarbeitszeit verändern kann (für einen Zwei-Jahres-Zeitraum; so ist das bei uns geregelt), tut uns das nicht weh, sondern im Gegenteil: Wir kommen damit gut zurecht.
    Fröhndrich: Und wie viele Kolleg(inn)en haben das inzwischen schon in Anspruch genommen?
    Schulz: Etwa bei knapp 300 liegen wir jetzt aus einer Belegschaft von etwa 3600 Leuten. 300 Personen haben gesagt, sie würden gerne ihre Arbeitszeit verändern wollen für zwei Jahre.
    Fröhndrich: Das heißt, der Bedarf ist schon da oder es gibt ein gewisses Interesse auch auf Arbeitnehmerseite?
    Schulz: Ja! Man kann jetzt immer sagen, 300 von 3600 ist jetzt viel oder ist vielleicht wenig. Das hängt jetzt von der Sichtweise ab. Aber ich finde, es zeigt durchaus, dass da ein veritabler Stamm an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist, der ganz gerne da was machen möchte.
    Viele wollten mehr arbeiten
    Fröhndrich: Würden Sie sagen, da sind jetzt schon 300 Fachkräfte bei Ihnen stillgelegt worden, oder wie wirkt sich das aus auf Ihr Unternehmen?
    Schulz: Überhaupt nicht! Im Gegenteil! Das Modell, das wir eingeführt haben, sieht Absenkungs- und Aufstockungsmöglichkeiten vor, und tatsächlich die Mehrheit der Personen, denen wir das angeboten haben, hat sich für Aufstockung entschieden, das heißt arbeitet länger als vorher.
    Fröhndrich: Das heißt, am Ende dann im Querschnitt macht sich das bei der Kapazität gar nicht bemerkbar?
    Schulz: Im Gegenteil! Wir haben plötzlich mehr Kapazität zur Verfügung als vorher. Jetzt passt das uns ganz gut rein, auch weil wir diese Kapazität aufgrund unseres Wachstums auch brauchen und unterbringen können, dadurch vermeiden, noch mehr Leute einstellen zu müssen. Wir wussten nicht, wie das vorher ausgeht, und haben uns eigentlich über das Ergebnis gefreut, dass die Mehrzahl sagt, wir würden eigentlich gerne länger arbeiten.
    "Versuchen Flexibilität zur Verfügung zu stellen"
    Fröhndrich: Wenn wir jetzt speziell auf die Leute gucken, die sich nicht für eine Arbeitszeitverlängerung entschieden haben, sondern für eine Verkürzung. Wenn es nach der IG Metall ginge, dann sollten die ja – so wird das gefordert in dem aktuellen Tarifkonflikt – einen Entgeltausgleich bekommen. Den zahlen Sie jetzt Ihren Mitarbeitern nicht. Warum nicht?
    Schulz: Ganz einfach, weil wir der Meinung sind, dass ein Mitarbeiter, der seine Arbeit absenkt – und wir haben ja auch viele Teilzeitmodelle bei uns -, dass wir den auch entsprechend so vergüten müssen, wie seine Arbeit ist. Das Modell der IG Metall sieht ja vor, dass da eine wie auch immer zu definierende Bedürftigkeit da ist, wenn solche Ausgleiche greifen sollen. Das sehen wir nicht als die Aufgabe des Unternehmens an. Wir versuchen, eine Flexibilität bereitzustellen und die Möglichkeit zu geben. Aber wenn jemand sagt, ich möchte jetzt meine Arbeitszeit absenken, weil ich irgendwie privat einem Hobby nachgehen will (und es gibt auch ganz unterschiedliche private Gründe, das zu tun; es sind nicht nur immer Pflegenotwendigkeiten), dann denken wir, dann ist das eine Sache, die der Mitarbeiter selber mit sich ausmachen muss, und das ist nicht Aufgabe des Unternehmens. Und das ist auch einer der Punkte, wo ich eine ganz klare Meinung gegenüber der IG-Metall-Forderung habe. Da möchten wir keinen Systemwechsel.
    Ist finanzielle Unterstützung von Pflegearbeit Aufgabe der Wirtschaft?
    Fröhndrich: Aber es ist ja eigentlich eine ganz schöne Vorstellung zu sagen, dass man sich als Unternehmen engagiert und sagt, wir unterstützen gesellschaftlich relevante Aufgaben, die ja Kindererziehung und Pflege sind.
    Schulz: Unternehmen übernehmen heute schon vielfältige Aufgaben. Aber ich denke, wir sollten uns nicht plötzlich in einen Aufgabenbereich einmischen, der tatsächlich eigentlich der öffentlichen Hand, dem Staat und anderen Institutionen obliegt. Ich denke, grundsätzlich ist es auch so: Wenn wir Flexibilität anbieten, dann ist das eine Leistung, die das Unternehmen zunächst einmal zu erbringen hat und zu organisieren hat.
    Bei der Frage der Bedürftigkeit, da könnte man ja jetzt endlos weitermachen und vom Hundertstel ins Tausendstel kommen, wann das Unternehmen irgendwelche Zugeständnisse macht. Ich glaube, das ist nicht richtig und es ist auch nicht richtig gegenüber den Teilzeitkräften, die mal sich irgendwann entschieden haben, nur Teilzeit zu arbeiten, dafür einen entsprechenden Lohn bekommen, ohne irgendwelche Ausgleiche. Und die große Kritik der Arbeitgeber ist ja auch, dass wir hinterher, würden wir das IG-Metall-Modell zukünftig haben, Leute da sitzen haben, die ungleich bezahlt werden, obwohl sie die gleichen Stunden arbeiten.
    Fröhndrich: Wenn wir noch mal zurückkommen zur Arbeitszeitverkürzung ohne den Entgeltausgleich, so wie es bei Ihnen im Unternehmen ja jetzt schon praktiziert wird. Sie sagen, das wirkt sich eigentlich gar nicht aus oder Sie profitieren eher davon. Dann wäre das doch eigentlich eine gute Empfehlung, jetzt in der laufenden Tarifauseinandersetzung zu sagen, Leute, das machen wir.
    Schulz: Unbedingt! Ich glaube, auch bei den Arbeitgebern sind die Türen offen, wenn es darum geht, über Flexibilisierung zu sprechen. Das Modell der IG Metall hat nur den großen Nachteil, dass es nur in eine Richtung geht, nämlich um Absenkung. Wenn wir uns darauf einigen könnten, dass es auch Erhöhungselemente gibt, wie sie auch in unserem Modell bei Aesculap da sind, dass ich in beide Richtungen gehen kann, ich glaube, dann ist das eine ganz andere Diskussion. Das hat erst mal noch gar nichts mit Kompensation zu tun, sondern einfach nur Arbeitszeitbewegung in beide Richtungen von der Sollarbeitszeit, bei der IG Metall eben 35 Stunden pro Woche.
    Auch Sabbaticals "sind mir sehr symphatisch"
    Fröhndrich: Ich frage Sie jetzt noch mal persönlich. Sie sind selbst Familienvater, haben fünf Kinder. Die sind alle schon ein bisschen älter. Aber wäre das für Sie vor ein paar Jahren denkbar gewesen, für eine gewisse Zeit die Arbeitszeit abzusenken? Hätten Sie das in Anspruch genommen?
    Schulz: Das Problem bei mir und in meinem Job ist, dass ich nicht 35 Stunden arbeite, sondern das ist eher was zwischen 60 und 70 Stunden die Woche. Dann ist das mit dem Absenken und Aufstocken so eine Sache. Das ist dann eher ein bisschen theoretisch. Aber ich glaube schon, in einem Arbeitsverhältnis kann ich mir gut vorstellen, in einer Situation mit so vielen Kindern, auch gerade wenn Kinder geboren werden – ich habe das ja nun wirklich mehrfach miterlebt -, genau das in Anspruch zu nehmen und zu sagen, ja, okay, das macht man. Aber es gibt auch die Situation: Wir haben heute eine Gesellschaft mit viel Freizeit, wo Leute sagen, ich arbeite gerne länger, weil ich mir jetzt was ansparen möchte und dann mal irgendwie ein Sabbatical nehmen möchte – übrigens das gibt es auch in unserem Modell -, wo ich mal länger weg bin aus der Firma, und spare mir dafür jetzt was an. Auch diese Modelle sind mir sehr sympathisch, kann ich gut nachvollziehen, wenn jemand sich da einmal im Leben so was leisten möchte, oder auch vielleicht mehrfach im Leben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.