Zum Höhepunkt einer jeden Rundfahrt durch den Hamburger Hafen geht es weg von den Containerschiffen, hinein in ein mittelalterlich anmutendes Gewirr von Kanälen, den Fleeten. Gleich neben der Bordwand der Barkasse ragen dort die roten Backsteingiebel in den Himmel – wie gotische Kathedralen, eine neben der anderen, kilometerweit. Das ist die Speicherstadt.
"Und es lohnt sich, denn die Speicherstadt ist der größte zusammenhängende historische Lagerhauskomplex der Welt."
Was der Barkassenführer erläutert, ist ein Ensemble, das wie wohl kein anderes den Geist der Hansestadt verkörpert. Traditionsbewusst in Backstein mit Simsen und Erkern – doch hinter der Fassade erbaut in hoch moderner Skelettbauweise. Sogar elektrisches Licht gab es von Anfang an. Die Pfeffersäcke, wie die Hamburger Kaufleute noch heute heißen, hatten ihre Chance erkannt und ergriffen – obwohl es doch nur darum ging, ein uraltes Privileg zu erhalten: die Zollfreiheit eines Freihafens.
"Das bedeutet, wenn man als Händler Ware gekauft hat, konnte man die hier rein verbringen, und man musste keine Abgaben leisten. Das hat nie deutschen Boden berührt, man konnte es weiterverarbeiten, man konnte es veredeln, man konnte es weiterverkaufen und musste halt keine Abgaben leisten. Dieses Prinzip Freihafen, welches halt früher, vor 1888 in der gesamten Stadt galt, ist der Grundstein, warum Hamburg so groß geworden ist."
Umstellung auf Container gefährdete die Speicherstadt
Der Sonderstatus war mit dem Reichskanzler vereinbart, Otto von Bismarck, als Gegenleistung für den Beitritt der Stadt zum deutschen Zollgebiet. Zollfrei blieb nur noch der Hafen. Die Speicherstadt, 1883 begonnen, fünf Jahre später fertiggestellt, wurde zur Basis eines beispiellosen Booms. Rund 24.000 Bewohner mussten für den Bau ihre Häuser räumen; man war da nicht zimperlich. Die Arbeiter wichen aus nach Eilbek oder Hammerbrook. In Eppendorf oder Othmarschen entstanden derweil herrschaftliche Wohnungen und Villen. Gründerjahre, die noch heute das Stadtbild prägen.
Hundert Jahre später hatten Container den Transport in Kisten, Fässern und Säcken abgelöst. Die Nachfrage nach den weiträumigen, niedrigen Lagerböden für Rohkaffee, Rosinen oder Orientteppiche ging gefährlich zurück. Am 30. April 1991 war es höchste Zeit, die Speicherstadt mit ihren Brücken und Kanälen unter Denkmalschutz zu stellen – zum einen, wie Manfred Fischer feststellte, der damalige Leiter des Denkmalschutzamtes, um das Ensemble zu bewahren vor den Begehrlichkeiten der Entwickler, die Einkaufspassagen bauen wollten, Lofts oder schicke Eigentumswohnungen.
Eine Sicherung, die möglicherweise nicht für ewig hält, wie Fischer ausführt: "Zum anderen ist es natürlich so, dass ein Baudenkmal immer dann am besten genutzt ist, wenn man die Funktion erhalten kann, für die es gebaut worden ist. Wir müssen freilich auch davon ausgehen, dass so etwas sich nicht für immer erhalten lässt, und müssen für solche Fälle gewappnet sein. Dann beginnt das eiskalte Geschäft und außerdem das sehr schwierige Geschäft für die Denkmalpflege, Nutzungen zu finden, die dieser Bausubstanz adäquat sind."
Wohnen, Arbeit, Freizeit vereint
Heute ist der Freihafen Geschichte; moderne Logistik ist auf solche Konstrukte nicht mehr angewiesen. Die Speicherstadt mit dem angrenzenden Kontorhausviertel gehört gar zum Weltkulturerbe der Unesco. Und tatsächlich: Bernd Paulowitz, Koordinator des Projekts im Amt für Denkmalschutz, erkennt in dem dunkelroten Riegel zwischen der Innenstadt und dem Hafen viel mehr als nur ein Denkmal – nämlich so etwas wie eine Brücke in die Stadt der Zukunft:
"Wir haben in der Zeit die Entwicklung, dass wir eben monofunktionale Gebiete entwickeln, die wir heute wieder rückgängig machen in der modernen Stadtpolitik. Heute haben wir wieder Drittelmix. Wir versuchen, das wieder zusammenzuführen: Wohnen, Arbeit, Freizeit, Geschäfte – wieder zusammenzuführen. Damals hat man das entzerrt."
In den alten Speichern haben Dienstleister die geräumigen Böden für sich entdeckt: Modefirmen, Musik-Label, Architekten. Und Bernd Paulowitz stellt erfreut fest, dass die Geschäfte der neuen Nutzer die alte Gebäudestruktur respektieren, ja, sogar besonderen Nutzen aus ihr ziehen:
"Was sehr schön ist an den Speichern, ist, dass es sehr nachhaltig ist. Sie werden dort keine Klimaanlage finden. Weil die Speicher einfach so gebaut wurden, dass dort die Waren temperatur-ausgeglichen gelagert sind. Deswegen wurden sie auch im Vollziegelbau errichtet."
Norddeutsche Bautradition, aber technisch der eigenen Zeit voraus und ökologisch ein Modell für die Zukunft: Genau deshalb wurde die Hamburger Speicherstadt ein Denkmal.