Auf der einen Seite müsse berücksichtigt werden, dass die Deutschen sich mit einer sehr anspruchsvollen Geschichte auseinanderzusetzen hätten, sagte die Schriftstellerin und Publizistin Ines Geipel. "Diese Doppelhelix - Geschichte der Bundesrepublik, Geschichte der DDR, Nachkriegsgeschichte, Geschichte nach '89 - in einem Gedächtnis zusammenzubringen, da müssen wir uns schon ziemlich strecken."
Andererseits habe sie den Eindruck, dass viele sich mit Sätzen befrieden wie "Treuhand ist irgendwie immer Mist" und "Schön, dass wir alle reisen können". "Das finde ich zu kurz gesprungen, eben gemessen daran, was wir für eine Erfahrungswucht anzuschauen haben", sagte die Autorin.
"Bitte nicht Ostdeutschland ohne Geschichte"
Alarmierend finde sie die Einstellung vieler Jung-Ossis. Drei Generationen ohne Diktaturerfahrung würden mit dem Bewusstsein dastehen: 'Wir sind Ostdeutsche'. "Ich finde dieses Selbstbewusstsein gut, aber doch bitte nicht Ostdeutschland ohne Geschichte. Das müssen wir verhandeln, das müssen wir ausdiskutieren und aus dieser seltsamen Unwucht unseres Gedächtnisses wieder ein Stück herausarbeiten."
Es sei bezeichnend, dass "wir die schweren Risse, die Zäsuren, diese inneren Zeichnungen immer weiter hinausschieben", so Geipel. Die Menschen im Land seien bräsig und selbstgenügsam in der ganzen Debatte geworden.
"Erschrocken, wie fremd wir uns plötzlich wieder geworden sind"
Greipel fragt sich zudem: "Wozu brauchen wir immer diesen 'Schuld-Westen'? Der kann tun und lassen, was er will, er ist immer Schuld. Und die Ostdeutschen sind immer die Opfer." Sie sieht darin eine Dysbalance, die gerade nicht zu einer Idee von Einheit führen kann.
"Warum haben wir soviel Energien in diesem Land, die vor allem auf Negativbindung, Destruktion gehen, und nicht zu sagen: 'Leute, das sind 30 Jahre. Keiner wusste, wo das ganz Projekt hinläuft und jetzt stehen wir da, schauen uns an und sind erschrocken, wie fremd wir uns plötzlich wieder geworden sind'", sagte Ines Geipel.