Beethovens 1. Klavierkonzert ist vielleicht nicht das erste, was man gerade von einem "Barockorchester" erwartet. Und doch ist das Konzert, das das Freiburger Barockorchester im Dezember 2017 im Konzerthaus Freiburg gegeben hat, ziemlich exemplarisch für den aktuellen Stand der Dinge bei diesem Ensemble. Nach 30 Jahren befindet es sich in einem Erneuerungsprozess, will seinen Grundsätzen aber nach wie vor treu bleiben. Als künstlerischer Leiter ist, neben dem Geiger Gottfried von der Goltz, seit neuestem Kristian Bezuidenhout an Bord, einer der gefragtesten Pianisten auf dem Gebiet der historisch informierten Musik. Mit den Freiburgern verbindet ihn seit seinem ersten Engagement eine innige Beziehung.
"Ich habe jetzt seit zehn Jahren eine Verbindung mit den Freiburgern und das bleibt für mich immer die Verbindung, die am wichtigsten für mich ist. Ich finde, das Orchester ist musikalisch und technisch so fähig, man kann alles fragen, zum Beispiel bei diesem Klang etwas mehr Luft oder hier etwas Besonderes, und die finden technische Lösungen dafür, das ist fantastisch. Es gibt ein Klangimaginarium, das ist erstaunlich."
Demokratisch wollte das Barockorchester von Anfang an sein
Leise und sehr farbenreich ist der Ton, den Bezuidenhout dem historischen Hammerflügel entlockt. Er schwebt nicht so sehr dominierend über dem Kollektiv, sondern bildet mit dem Orchesterklang viel mehr eine organische Einheit. Was ziemlich genau auch das Selbstverständnis der beteiligten Musiker trifft. Demokratisch wollte das Barockorchester von Anfang an sein, als Gesellschaft bürgerlichen Rechts sind sie auch organisatorisch ihre eigenen Chefs, bei Probenprozessen darf jeder mitreden. Das funktioniert heute deutlich entspannter als noch in den Anfangsjahren, meint Gottfried von der Goltz:
"Ich bin glücklich, dass wir die Musik nicht mehr so neu erfinden müssen. Wir müssen uns nicht mehr so die Köpfe einschlagen, das gab es natürlich auch. Aber das hat natürlich auch eine unheimliche Intensität, weil wir nur auf die Bühne gehen, wenn die Dinge alle geklärt sind."
Beim ersten Konzert am 8. November 1987 im badischen Burgheim ist unter den Streichern noch der Geiger Thomas Hengelbrock dabei, einer der Initiatoren des Barockorchesters. Als Dirigent macht er parallel schon Karriere. Mit dem egalitären Ansatz der Gruppe ist Hengelbrocks natürlicher Drang zum Anführer irgendwann nicht mehr vereinbar. Zehn Jahre später verlässt er das FBO. Die langjährige künstlerische Leiterin Petra Müllejans:
"Thomas musste hoch hinaus und wir haben ihn, glaube ich, zu sehr an Vorgaben gefesselt, die er nicht einhalten wollte und auch konnte. Ich habe es irgendwann verstanden, er ist einfach so ein Typ, da muss man auch nicht sagen, der ist jetzt besonders doof, sondern es passt nicht alles für jeden. Ohne Thomas, muss man auch klar sagen, gäbe es das Orchester vermutlich in der Form – zumindest in den ersten Jahren – nicht, weil er gute Kontakte hatte und das lief dann wirklich über seinen Namen."
Originalklang war Mitte der 1980er-Jahre ein heißes Eisen
Konfliktscheu waren die Musiker allerdings nie. Der Originalklang war Mitte der 1980er-Jahre ein heißes Eisen in der Musikszene. Nikolaus Harnoncourt hatte die Auseinandersetzung angestoßen, in England, den Niederlanden oder Belgien gab es einzelne schon bekannte Gruppen. Dennoch hatte die sogenannte historische Aufführungspraxis eher das Image von Strickpulli und Teebeutel. Das FBO war dagegen geradezu purer Rock'n'Roll. Junge Leute, die eben keine "Alte Musik" im Wortsinn machen wollten, die mit Beat und psychedelischem Rock genau so aufgewachsen waren wie mit Bach und Mozart, denen der Heiligenschein des Klassikbetriebs zuwider war und denen genau deswegen das Frische, Unvorhergesehene, Improvisierte, Unhierarchische der Barockmusik so entsprach.
"Das war auch ein Kind der Zeit. 68er sind ihr Leben lang 68er und jetzt Alt-68er. Wir sind zwar etwas später, aber trotzdem: Ich bin in dem Geist total aufgewachsen, mit Rebellentum gegen das Elternhaus und gegen alles, was Autorität ist."
Wie Thomas Hengelbrock mit seinen aktuellen Ensembles und wie viele andere Originalklanggruppen erweitert auch das Barockorchester kontinuierlich sein Repertoire. Beethoven, Mendelssohn, Schumann, und alles "historisch informiert", auf dem Instrumentarium, das der Zeit entspricht, eingestimmt auf die Tonhöhe, die zu der Zeit üblich war. Getragen von ihrem reichen Erfahrungsschatz gehen die Musiker mittlerweile souverän um mit den unterschiedlichen Anforderungen der verschiedenen Epochen. In Mexiko haben sie 2016 schon alle Beethoven-Sinfonien in einem Zyklus aufgeführt. Die 9. wird zum Abschluss der Jubiläumssaison 2017/18 auch in Deutschland zu hören sein. Ist das Barockorchester damit endgültig im Olymp der etablierten Orchester angekommen? Und steht das "B" in FBO irgendwann nicht mehr für Barock, sondern vor allem für Beliebigkeit?
"Natürlich ist das Orchester irgendwie auf einer musikalischen Zeitreise, das ist auch das, was für den Zuhörer und für uns Musiker das Tolle ist: Wir reisen durch die Bereiche der Musik und versuchen, die Musik zu entdecken, permanent. Beethoven und Co ist für uns ganz wichtig weiterhin zu spielen, weil dieser Widerstand und dieser Wille auch irgendwo in den Barockorchestergenen verankert ist. Aber ich glaube, dass wir ein ganz, ganz festes Standbein in der Verschiedenheit der Barockmusik zeigen. Das wäre ein großer Wunsch von mir."
Junge Musiker kommen mit neuen Ideen aus dem Studium nach
Die Geisteshaltung im FBO ist immer noch offen und neugierig. Allerdings sehen bei den Musikern der ersten Generation einige schon das Rentenalter am Horizont. Die Jungen kommen mit viel Knowhow und neuen Ideen aus dem Studium nach.
Die Kämpfe, die es zu Anfang noch auszufechten galt, warum man überhaupt auf historischen Instrumenten spielen sollte, der Streit für einen farbigen, dabei schlankeren Sound, die Infragestellung des Dirigenten als Alleinherrscher. All das ist vorbei. Möglicherweise ist dem Barockorchester damit auch ein Stachel verloren gegangen, der den Musikern in Krisenzeiten viel Energie zum Weitermachen geliefert hatte. Neben der Freude am gemeinsamen Musizieren sieht Dramaturg Gregor Herzfeld das Orchester nun in der Pflicht, wieder neu über die eigene Position nachzudenken.
"Man liest in den Kritiken, wir sind etabliert, wir sind sozusagen das Flaggschiff der historischen Aufführungspraxis, wir hätten jetzt die Ruhe weg und so. Da muss man ja schon alarmiert sein und sehen, man wird so ein bisschen in die Dino-Ecke gedrängt, das soll ja nun auch nicht sein. Das heißt, wir müssen uns Gedanken machen, was wir eigentlich wollen. Wo ist dieser Kampfgeist hin, ist der noch da? Ist der bei den jüngeren mehr da als bei den älteren oder weniger? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Aber das machen wir zum Thema."