Christiane Florin: Gorleben im Wendland ist einer der umkämpftesten Orte der Bundesrepublik. Ein Salzstock war als Endlager für Atommüll ausgeguckt, mittlerweile wurden die Erkundungen eingestellt – auch wegen der jahrzehntelangen Proteste gegen das Lager im Besonderen und gegen Atomenergie im Allgemeinen.
Vom "Salz der Erde" bis zur Endzeitvorstellung der Ort hat auch eine spirituelle Dimension. Vor 30 Jahren begann das Gorlebener Gebet – und es geht weiter, auch wenn Gorleben seine Symbolkraft so langsam abbaut. Zum Gorlebener Gebetskreis gehört Christa Kuhl, mit ihr habe ich vor dieser Sendung gesprochen. Frau Kuhl, wurden Ihre Gebete erhört?
Christa Kuhl: Zum Teil ja. Unsere Gebete und der ganze Widerstand haben immerhin verhindert, dass in Gorleben der geplante Atompark hinkam. Energiepark mit der Aufbereitungsanlage, mit Atomkraftwerken. Geblieben ist der Plan eines Endlagers und die Erkundung dafür und der Ausbau des Bergwerks ist ja so gut wie abgeschlossen und ruht jetzt nur. Dass da noch Einsicht kommt und dass es nicht zu der Einlagerung dieses hochgefährlichen Atommülls in den Salzstock kommt, das ist weiterhin unser Anliegen und auch unser Gebet.
Florin: Beten Sie eher für etwas oder gegen etwas?
Kuhl: Wir sind ja für die Erhaltung der Schöpfung. Wir sind nach dem konziliaren Prozess für Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung und da schließt sich mit ein, dass verantwortlich umgegangen wird mit der sehr schwierigen Suche nach einem Endlager für den Atommüll.
Florin: Gibt Ihnen das Gebet eine Ahnung davon, wo die Lösung sein könnte? Der Atommüll ist ja nun mal da.
Kuhl: In unseren Gebeten können wir Gott nicht vorschreiben, wie es denn nun anders gehen sollte. Die Lösung dafür, die müssen wir Wissenschaftlern überlassen. Aber dass verantwortlich nachgedacht wird, ohne Tricksereien, ohne Lügereien, ohne Profitgier, das ist ganz wichtig für uns. Aber dass wir jetzt konkret beten: Lieber Gott mach doch bitte, dass es so und so wird – nein das ist, denke ich, nicht Sinn des Gebets.
Florin: Im Anfang wurde ein Kreuz von Wackersdorf nach Gorleben getragen, habe ich gelesen. Das war der Beginn dieses Gebets.
Kuhl: Ja, das war ja schon das zweite Kreuz. Das waren zwei Kreuzwege für die Schöpfung. 1988 war der Weg von Wackersdorf nach Gorleben – über 1.000 Kilometer. Und als das Kreuz in Gorleben angekommen war nach 60 Tagen, wurde hier eine große Andacht mit mehreren Tausend Menschen gehalten. In dem Jahr danach gelegentlich, immer wieder mal eine Andacht mit Pastoren und auch mit Laien, die im Widerstand waren. Die Pastoren waren damals von der Kirche noch sehr behindert worden, sie bekamen Redeverbot zum Teil. Ein Jahr später haben sich dann einige Leute zusammengeschlossen, die sagten, eigentlich sollten wir hier, wo das Kreuz aufgestellt ist, an dem Platz im Gorlebener Forst, an jedem Sonntag eine Andacht halten.
"Wir widersetzen uns"
Florin: Warum benutzen Sie das Wort Widerstand? Die Bundesrepublik ist keine Diktatur, kein Unrechtsstaat, gegen den man Widerstand leisten müsste. Es reicht doch zu protestieren und seine Opposition zu bekunden. Warum das Wort Widerstand?
Kuhl: Weil es unsere Entschlossenheit ausdrückt. Bei uns gibt es ebenso das Wort: "Wir widersetzten uns". Wir haben uns widersetzt gegen die Castor-Transporte, indem tausende Menschen auf den Straßen saßen. Aber auch in dem Widerstand: Wir stehen ein für das, was uns wichtig ist und worum wir auch in gewisser Weise kämpfen.
Florin: Und dass das auch die Konnotation hat, dass man nicht in einem freien Land lebt, das nehmen Sie in Kauf?
Kuhl: Wer das so sieht, dem können wir das nicht verhindern. Aber für uns ist es wichtig, Widerstand auch verbunden mit einem Rückgrat, mit Geradestehen, mit Einstehen für unsere Überzeugung, für unser Anliegen, für unseren Auftrag, den wir sehen, in christlicher Verantwortung.
Florin: Der Erzbischof von Berlin Heiner Koch hat vor ein paar Tagen gesagt, er fühle sich beim Anblick der Freitagsdemos, also der Demos fürs Klima, an den Einzug Jesu in Jerusalem erinnert. Fühlen Sie sich auch daran erinnert? Sehen Sie da auch diese spirituelle Dimension?
Kuhl: Also spirituelle Dimension sehen wir ganz stark. Und vielleicht drückt das ganz gut aus, ein Wort von Franz Alt, der übrigens jetzt, wenn wir 30 Jahre im Sommer, dieses Jubiläum in Anführungsstrichen feiern, es ist kein Grund zum Feiern – aber Franz Alt wird kommen und einen Vortrag halten. Und er hat geschrieben, in seinem letzten Buch "Was Jesus wirklich gesagt hat": "Wahrscheinlich wäre Jesus heute bei den Gruppen, die seit 25 Jahren bei Sonne und Regen, Sturm und Schnee jeden Sonntag bei Gorleben Gottesdienste gestalten."
Florin: Da weiß ja jemand sehr genau, was Jesus will.
Kuhl: Ja, das geht darauf zurück, dass es zum Teil eine Rückübersetzung in die aramäische Muttersprache Jesu ist – die Evangelien-Texte. Aber dass wir uns in der Nachfolge Jesu wissen und dass unsere Gebete von daher den Rückhalt haben, das sagt auch ein Wort, das wir sehr oft als Segenswort bei den Andachten haben: "Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit."
Überwiegend ältere Menschen bei den Andachten
Florin: Sehen Sie die jungen Leute, die freitags demonstrieren, als Verbündete?
Kuhl: Es gibt viele Wege, auf denen Menschen gehen, um sich einzusetzen für die Erhaltung der Schöpfung. Als Verbündete? Wenn ich daran teilnehmen würde – hier im Wendland ist das nicht so stark -, dann würde ich das als Großmutter tun, die an ihre Enkel denkt und ihren Enkeln zur Seite stehen möchte, nicht als Koordinatorin des Gorlebener Gebets.
Florin: Ist das eine Generationenfrage? Also steht Gorleben und auch Ihr Gebet für eine bestimmte Generation?
Kuhl: Zum Teil schon. Ich würde sagen, jetzt speziell Teilnehmer, Teilnehmerinnen unserer Gebetsandachten, das ist überwiegend die ältere Generation. Es kommen einige aus der mittleren Generation dazu; die jüngere Generation ist weniger dabei. Die haben ihre Bereiche, wo sie sich einsetzen. Das war auch so bei Gorleben, bei der Bürgerinitiative, das stimmt schon: Bei den Andachten sind es überwiegend ältere Menschen, die die Anfänge schon mit begleitet haben. Aber wir hatten auch vor 14 Tagen eine kleine Gruppe von Konfirmanden, die mit der Pastorin und einer Konfi-Helferin eine Andacht gestaltet haben. Also die sind nicht ausgeschlossen, aber die sind weniger dabei – tragend sind es die Älteren.
Florin: Was hält Sie dabei?
Kuhl: Mein Mann und ich sind seit 40-50 Jahren, seit es mit der Atomkraft angefangen hat, im Widerstand, sind da sehr kritisch, sind aber auch aktiv gewesen. Und es ist im Wesentlichen, dass wir unsere Verantwortung aus christlicher Sicht sehen, vielleicht auch aus dieser Sicht heraus nach dem alttestamentlichen Wort: "Wenn dein Kind dich morgen fragt: Was hast du getan? Habt ihr nicht gewusst, mit welchen Gefahren die Menschen oft leichtsinnig umgehen oder nicht verantwortungsvoll? Habt ihr irgendwo eure Verantwortung wahrgenommen?" Also auch diese Verantwortung den folgenden Generationen gegenüber, hält uns dabei.
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