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30 Jahre Humangenomprojekt
Die unglaubliche Reise in den menschlichen Zellkern

Im Oktober 1990 machten sich Tausende Wissenschaftler aus aller Welt auf, das Erbgut des Menschen in über drei Milliarden Buchstaben zu entziffern, aus denen sich der Bauplan des Homo Sapiens zusammensetzt. Das Mammutprojekt war Grundlage für die moderne Bioinformatik und Molekulargenetik.

Von Arndt Reuning und Michael Lange |
DNA-Strang festgehalten von einer Pinzette
Krankheiten heilen, den Krebs besiegen, das Altern herauszögern - das sind die großen Erwartungen an die Entzifferung des menschlichen Erbguts (dpa / picture alliance /blickwinkel)
"Die Aussicht, dass eine Sequenzierung des menschlichen Genoms in systematischer Form erfolgen sollte und damit ein Referenzgenom zur Verfügung stehen würde, war für uns alle elektrisierend."
So erinnert sich Prof. Markus Nöthen an den Start des "Human Genome Project" vor dreißig Jahren. Der heutige Direktor des Instituts für Humangenetik am Universitätsklinikum Bonn war damals frischgebackener Doktorand. Sein Forschungsgebiet damals wie heute: Krankmachende Gene identifizieren.
Portraitfoto Prof. Dr. med. Markus M. Nöthen 
Unser Gesprächspartner: Prof. Dr. med. Markus M. Nöthen, Direktor des Instituts für Humangenetik am Universitätsklinikum Bonn. (Andreas Stein/Humangenetik)
Ohne einen kompletten Bauplan der DNA, ohne Referenzgenom sei das seinerzeit ein aufwendiges "Herumstochern im Unbekannten" gewesen, so der Genetiker.
Die Genom-Entzifferung - Chronologie eines Mammutprojekts
A, T, G, C - die Buchstaben des genetischen Alphabets stehen für die Basen Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin. Und aus drei Milliarden dieser Buchstaben besteht das Erbmolekül des Menschen, die DNA. Eine gewaltige Datenmenge, die 1990 nur mit gewaltigem personellen und finanziellen Aufwand angegangen werden konnte. Nach dreizehn Jahren war es dann soweit, das Genom nahezu vollständig entziffert. Recht bald aber wurde deutlich: Eine Abfolge von drei Milliarden Buchstaben zu kennen, heißt noch lange nicht, den Text auch zu verstehen. Ein Beitrag von Michael Lange:
Humangenomprojekt - Das Geheimnis der DNA (05:11)
Dr. Craig Venter mit US-Präsident Bill Clinton und Dr. Francis Collins während einer Pressekonferenz anlässlich des Human Genome Projekts in Washington
Das Erbgut ist entziffert - so lautete 2003 die Botschaft. Eine, wie mittlerweile klar geworden ist, etwas euphorische Sichtweise. (Copyright imago stock&people)
Sequenzierungen von vielen Menschen notwendig
Manche der Erwartungen an das Humangenomprojekt seien "dann nicht so schnell erfüllt worden, wie das vielleicht anfänglich auch gehofft wurde" - so sieht es auch Markus Nöthen im Rückblick. Aber die erste vollständige Sequenzierung sei schon allein deshalb so wichtig gewesen, um sie mit darauffolgenden abgleichen zu können: "Es ist ja entscheidend zu verstehen, warum ein Mensch an einer Krankheit erkrankt, wenn diese Krankheit einen genetischen Beitrag hat, und ein anderer eher geschützt ist. Und diese Identifizierung insbesondere bei sehr komplexen Erkrankungen ist erst möglich, wenn man viele Menschen sequenziert."
Vom Milliarden-Projekt zum "1.000-Dollar-Genom"
Voraussetzung dafür ist, dass die DNA-Analyse mittlerweile wesentlich schneller funktioniert - die Grundlagen dafür wurden allerdings schon im Humangenomprojekt gelegt: "Wenn man da schaut, wo und in welchem Zeitabschnitt eigentlich die wesentliche Sequenz des menschlichen Genoms oder der größte Teil generiert wurde, dann war das auch in den letzten Monaten vor dem Abschluss des Projekts." Die technologischen Fortschritte haben auch die Kosten dramatisch sinken lassen - den Begriff vom heute möglichen "1.000-Dollar-Genom" müsse man aber etwas kritisch betrachten, sagt Nöthen: "Der Schritt in den Kosten ist weggegangen von der Generierung der Daten zu der Interpretation der Daten."
Bioinformatik ist Leitwissenschaft geworden
Stichwort "Interpretation der Daten": Die Genetik als Disziplin hat sich stark gewandelt zu einer Wissenschaft, die mit riesigen Informationsmengen jongliert und das Dickicht der Erbanlagen mit mathematischen Methoden durchforstet, so sieht es auch Markus Nöthen: "Die Bioinformatik ist eigentlich die große Leitwissenschaft vielleicht in der Folge der Genetik geworden. Sie ist natürlich ein großes Gebiet; unter Bioinformatik versteht jeder etwas anderes. Ich komme natürlich aus der genetischen Betrachtung heraus, und dort würde ich sagen, die Humangenetik inkorporiert die Bioinformatik immer stärker."
Die Gene der Welt als Datensatz
1990 galt die Entzifferung des menschlichen Genoms als "Mondlandungs-Projekt" der Biologie - heute wagen sich die Genetiker gar an einen Erbgut-Katalog aller bekannten Arten der Welt. Tiere, Pflanzen und Pilze; 1,5 Millionen Spezies - und das in zehn Jahren. Ein überaus ambitionierter Zeitplan, aber Forscherinnen und Forscher haben bereits losgelegt; zunächst mit der Sequenzierung der 66.000 Wirbeltierarten. Eine Reportage von Michael Lange:
Humangenomprojekt: Die Gene der Welt als Datensatz (05:42 )
Reibereien unter Forschern können wertvoll sein
Für Markus Nöthen bleibt das "Human Genome Project" ein Vorbild für alle nachfolgenden internationalen Großprojekte; auch wenn es seinerzeit mancherlei Reibereien unter den beteiligten Wissenschaftlern gab. Auch in aktuellen internationalen Forschungsprojekten würde es zuweilen "Menscheln" - aber das sei eigentlich eine Bereicherung: "Man kommt ja auch mit anderen kulturellen Verständnissen dann zusammen. Wenn wir über die Genetik nachdenken, dann hat das ja auch immer in der Bewertung mit dem kulturellen Kontext zu tun - wie nutze ich genetische Information in der Bevölkerung? Und durch die Menschen kommen wir auch in diese anderen Dimensionen hinein und bewegen uns dann auch dazu, darüber zu reflektieren. Während, wenn man nur mit Maschinen interagieren würde, hätte man diese Art des Nachdenkens in den Projekten ausgeschaltet."