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30 Jahre Islamische Republik Iran

Glaubt man Gerüchten, so möchten mittlerweile zwei von drei Iranern die Islamische Republik abschaffen. Die Verquickung von Religion und Politik und die hohe Militarisierung werden hinter vorgehaltener Hand kritisiert. Vor 30 Jahren, nach dem Rücktritt des Schahs, votierten noch 98 Prozent der Iraner für die Errichtung einer "Islamische Republik", von der sie sich Freiheit und Unabhängigkeit erhofften.

Von Ulrich Pick | 31.01.2009
    Seit dem 8. September 1978, jenem sogenannten Schwarzen Freitag, als der Schah in Teheran auf Demonstranten schießen ließ, hatten die Proteste gegen den Monarchen angehalten. Anfang Dezember, am schiitischen Ashura-Fest, waren allein in der Hauptstadt zwei Millionen Iraner auf die Straße gegangen. Immer wieder forderten sie den Rückzug des Königs sowie die Rückkehr von Ayatollah Khomeini nach Iran. Und immer wieder waren die gleichen Schlachtrufe zu hören: "Unabhängigkeit - Freiheit - islamischer Staat"

    Die größten Zentren des Widerstandes waren die Moscheen. Hier gab es ideelle, finanzielle und medizinische Hilfe für diejenigen, die von den Sicherheitskräften des Schahs verfolgt wurden. Und von hier aus wurden auf Kassetten die Reden Khomeinis verteilt, welche Kuriere wöchentlich ins Land schmuggelten aus Paris. Denn dort hatte der populäre Theologe, der bereits 1963 des Landes verwiesen worden war, seit Oktober sein neues Domizil:

    "Diese Monarchie ist einfach null und nichtig, weil sie nichts für unser Land getan hat. Der Verrat, den dieser Mann an unserem Land begangen hat, wiegt zu schwer, um ihn jemals zu verzeihen. Dieser Mann verschleudert unser Erdöl an die Amerikaner. Das ist kein Mann, den das Volk akzeptiert."

    Am 16. Januar - der Druck auf den Schah war inzwischen übergroß geworden - verließ der Monarch das Land und zwei Wochen später - am 1. Februar - landete der greise Ayatollah quasi als De-facto-Staatschef unter dem Jubel Hunderttausender Iraner in Teheran.

    Zehn Tage lang leisteten die Anhänger des Schahs noch Widerstand, bis am 11. Februar 1979 eine von Khomeini ernannte provisorische Regierung unter Mehdi Bazargan den Sieg der Revolution erklärte und der iranische Rundfunk entsprechende Lieder sendete.

    Khomeini begriff instinktiv, dass dies seine Stunde war. Er nutzte die Gunst der Situation und veranlasste für Ende März eine Volksabstimmung über die Zukunft des Landes. 98 Prozent der Iraner votierten nach Angaben der Regierung für eine "Islamische Republik", welche der Ayatollah dann, am 1. April, selbst proklamierte.

    Das Modell, das offiziell "Herrschaft des Rechtgelehrten" heißt, sieht zwar vor, dass das Land eine gewählte, weltliche Regierung hat, doch an der Spitze des Staates steht ein schiitischer Geistlicher, der sogenannte Revolutionsführer. Und dessen Wort hat uneingeschränkte Macht.

    Was Khomeini wirklich unter "islamischer Verfassung" verstand, das kam nach und nach ans Tageslicht. Als Revolutionsführer konnte er Richter ernennen, die Befehlshaber der Streitkräfte, ja, mit den sogenannten "Revolutionsgarden" gar eine ganz neue Armee einsetzen, er besaß die Befugnis, Gesetze des Parlaments zu annullieren, die seiner Auffassung von Islam widersprachen, und konnte den Ministerpräsidenten jederzeit entlassen.

    Zudem gab es sichtbare Änderungen im öffentlichen Leben: Der Genuss von Alkohol wurde bei Strafe verboten, Frauen mussten ihren Kopf bedecken und in öffentlichen Verkehrsmitteln wurde die Geschlechtertrennung eingeführt. Prekär wurde die Lage, als die Islamisten immer stärker gegen ihre innenpolitischen Gegner angingen. Denn mit feinem Machtgespür hatte es Khomeini, um den langsam, aber stetig ein Personenkult wuchs, auf die Entwaffnung jener Kräfte abgesehen, die die Revolution mitgetragen hatten - konkret: auf die Volksmudjahedin und die Volksfedajin. Zu einer abermaligen Stärkung seiner Macht kam es dann im Herbst:

    Die Stimmung in Teheran an jenem 4. November 1979 war gereizt. Keine drei Tage war es her, dass der Revolutionsführer von seinen Anhängern - wie er es nannte - eine Aktion gefordert hatte. Eine Aktion, die der Welt einmal mehr demonstrieren sollte, dass Iran endgültig eine Islamische Republik geworden war und der Schah ein für allemal abgesetzt.

    "Tod Amerika!", skandierten deshalb revolutionstreue Demonstranten, von denen dann gegen 10 Uhr 45 einige Dutzend auf das Gelände der amerikanischen Botschaft drangen und zum Schrecken der Weltöffentlichkeit 66 US-Bürger in ihre Gewalt brachten. Denn die Washingtoner Vertretung - so erklärte Staatssekretär Sadegh Tabatabai später der ARD - sei ein Hort der Spionage.

    "Da es nachgewiesen worden ist, dass diese Leute in der amerikanischen Botschaft schon nach der Revolution an vielen Unruhen im Lande beteiligt waren, und dies sogar geplant hatten, so kommt man mit Recht auf die Schlussfolgerung, dass es sich dort nicht um eine regelrechte Diplomatiezentrum handelte, sondern um ein Spionagezentrum."

    Ayatollah Khomeini ließ die Botschaftsbesetzer gewähren: Weder befürwortete er die Aktion, noch verurteilte er sie. Denn er wusste, dass mit jedem Tag, den die Geiselnahme dauerte, seine Autorität wuchs und damit zugleich der Druck auf Washington. Da Verhandlungen erfolglos blieben, sah US-Präsident Jimmy Carter nur einen Ausweg. Und so startete er am 24. April 1980 eine militärische Befreiungsaktion - mit verheerenden Folgen, wie er einräumen musste.

    "Nachdem sich das Team nach meiner Anordnung zurückgezogen hatte, sind zwei Hubschrauber am Boden zusammengestoßen, nachdem sie in einer Tankstation in der iranischen Wüste aufgetankt hatten. Es gab keine Kampfhandlungen, aber zu meiner Bestürzung kamen acht Besatzungsmitglieder ums Leben. Aber wir werden nicht aufgeben."

    Die missglückte Befreiungsaktion der Amerikaner, die zuvor bereits die diplomatischen Beziehungen zu Teheran abgebrochen hatten, wurden in Iran groß gefeiert. Zwar trat Ministerpräsident Bazargan zurück, da er die Botschaftsbesetzung für unvereinbar mit dem internationalen Recht hielt, doch Khomeini gelang durch die Fixierung auf einen Feind im Ausland, die Schwierigkeiten im Inland zu überspielen und so seine eigene Position zu festigen.

    Die radikalen Kräfte bekamen immer stärker Oberhand, und damit blieb die während der Revolution von vielen Iranern erhoffte Pluralisierung und Liberalisierung ihres Landes definitiv aus. Möglicherweise, so behaupten einige Kenner des Irans, wäre die Islamische Republik angesichts dieser Entwicklung, die bei Liberalen und Linken große Frustration hervorrief, mittelfristig in eine innenpolitische Krise geraten. Doch im September 1980 wurde das Regime in Teheran vom Irak militärisch attackiert und in einen Krieg verwickelt.

    Angesichts dieses Angriffs durch den arabischen Diktator, der zudem von den USA Unterstützung erhielt, wurden sämtliche innenpolitischen Zwistigkeiten unwichtig. Jetzt war die soziale Einheit Irans gefragt. Dem geistlichen Führer gelang es, das gesamte Land zu mobilisieren. Denn er unterfütterte die neue Situation durch die Theologie. Khomeini machte nämlich nicht nur die militärische Verteidigung des Landes zur religiösen Pflicht, er erklärte auch jeden im Kampf Gefallenen zum Märtyrer, dem Gott den direkten Eingang ins Paradies gewähre.

    Als der Krieg nach acht langen Jahren mit einem Patt endete, hatte jede der beiden Seiten rund eine Million Tote zu beklagen. Die iranische Bevölkerung war des Kämpfens überdrüssig und sehnte sich nach einem weitgehend ruhigen Leben. Während der Kriegsjahre hatte sich im Land das System der Islamischen Republik etabliert, und dies akzeptierte man als Normalität, in der man sich nun einzurichten versuchte.

    Als ein Jahr darauf Ayatollah Khomeini starb, waren seit der Revolution nicht nur bereits zehn Jahre vergangen, Iran schlug auch ein neues Kapitel seiner Geschichte auf. Zwar verfolgte Khomeinis Nachfolger - Ayatollah Ali Khamenei - den eingeschlagenen Kurs, doch die Wahl von Ali Akbar Haschemi Rafsandschani zum neuen Staatspräsidenten brachte dem Land nach dem verlustreichen Irak-Krieg und der iranischen Jugend - zum Ärger der Erzkonservativen - kleine Freiheiten:

    "Sie wollen doch nur leben, ohne dass jemand ihnen grundlos drein pfuscht. Und sie sind klug genug, die Grenze zwischen Gesetz und Anarchie zu kennen."

    Die Hoffnung auf eine wirkliche Öffnung des Systems kam dann im Mai 1997 auf. Da nämlich wurde überraschend Mohammad Khatami zum neuen Präsidenten gewählt. Der Geistliche aus der zentraliranischen Provinz Yazd galt als Reformer. Unterstützt hatten ihn vor allem die Frauen sowie die jungen Iraner. Entsprechend unterstrich er nach seinem Wahlsieg:

    "Wir müssen die Voraussetzungen schaffen für die Beteiligung der Jugend in allen Bereichen, von Kultur über Wissen, Sport und Wirtschaft bis zur Politik."

    Unter Khatami trat eine gewisse Entspannung ein. Auch in der Außenpolitik herrschte Tauwetter. Khatami mied das Wort vom "großen Satan USA", sprach vor der UNO über den Dialog der Kulturen, und in Washington hieß es bereits, bald würden die Bürger Irans öffentlich ihre Sympathie für die USA erklären - eine Bemerkung die der regierungskritische Soziologe Fariborz Raisdana aus Teheran für übertrieben hielt.

    "Ich halte die Aussage, dass die Iraner nichts sehnlicher wollen, als Kontakt mit den USA und darüber pausenlos reden, für schlichte Propaganda. Allerdings, wenn Sie fragen, ob die Menschen friedliche Beziehungen zu Amerika haben wollen, werden wohl 80 Prozent 'ja' sagen."

    Obgleich er es verstand, das Land wie kein anderer Politiker zu öffnen, sorgte Khatami dennoch für große Enttäuschung. Denn der weltgewandte Geistliche, der 2001 sogar wiedergewählt wurde, konnte und wollte das System der Islamischen Republik letztlich nicht ändern. Dies aber hatten viele seiner Anhänger von ihm erhofft. Und so musste sich der Reformpräsident, der mit so viel Euphorie seitens der jungen Bevölkerung gestartet war, in den letzten Amtsjahren anhören, wie diejenigen, die ihn einst gewählt hatten, nun frustriert seinen Rücktritt verlangten.

    Von 2004 an ging die Ära der Reformer langsam zu Ende. Erst holten die Konservativen bei der Parlamentswahl im Februar die Mehrheit der Sitze, dann wurde im Juni 2005 der Hardliner Mahmud Ahmadinejad zum neuen Präsidenten gewählt. Er sah und sieht sich bis heute als treuer Diener der Islamischen Revolution von Ayatollah Khomeini. Um zu zeigen, dass er dieser Linie auch wirklich treu ist, ließ der ehemalige Revolutionsgardist als Oberbürgermeister von Teheran nicht nur Fast-Food-Restaurants schließen, er verbot auch Plakate des britischen Fußballstars David Beckham und untersagte das öffentliche Abspielen und Produzieren westlicher Musik. Folgerichtig unterstrich er im Wahlkampf - quasi als Leitbild seines künftigen politischen Handelns:

    "Wir glauben, dass der Islam die vollendete Religion ist und die einzig rettende Religion. Und die einzige Rettung der Menschheit. Und die Freude der Welt und die Zukunft der Menschheit. Sie ist gebunden an die Ausübung des Islam und die Befolgung seiner Regeln."

    Bei der Mehrheit der jungen Iraner allerdings - zwei Drittel der 70 Millionen sind jünger als 35 - stoßen solche Worte auf verschlossene Ohren. Denn der langjährige Eifer der iranischen Staatsführung, ihre Form des Islams nicht nur zum Maß der Politik, sondern eigentlich auch jedes einzelnen Privatlebens zu machen, ließ den Kontakt zwischen den Bürgern und der politisch-religiösen Klasse immer schwächer werden, ja, es wuchs sogar eine deutlich religionskritische Haltung im Land. Kein Wunder, dass in der "Republik des Rechtgelehrten" mittlerweile weit weniger Gebetsrufe zu vernehmen sind, als in arabischen Ländern oder in der Türkei, und dass die Moscheen hier so leer sind wie in keinem anderen Land des islamischen Kulturkreises.

    "Wenn man hier in der Islamischen Republik auf die Universität geht, sieht man, dass die jungen Leute keinen Respekt haben vor dem Islam. Denn der Islam, der hier praktiziert wird, ist kein richtiger Islam. Deswegen gehen die jungen Leute ja auch nicht in die Moschee."
    Die Islamische Revolution, so scheint es, hat also letztlich das Gegenteil von dem erreicht, was sie beabsichtigte. Statt die Religion in der Gesellschaft zu stärken, so sagt dieser Iraner, der lange in Deutschland lebte, wurde sie im Grunde immer wieder diskreditiert:

    "Vor dreißig, vierzig Jahren: Wenn jemand den Koran hörte, blieb er stehen und lauschte ganz genau. Aber jetzt: Wenn er im Fernsehen oder im Radio den Koran hört, dann schalten die Leute aus."

    Gestärkt durch die Revolution wurde die Position der Frauen. Zwar lassen sich westliche Beobachter immer wieder von der iranischen Kopftuchpflicht dazu verleiten, pauschal von einem frauenfeindlichen System zu sprechen. Doch ist solch ein Urteil ungenau.

    Nach wie vor müssen zwar die Frauen in Iran mit erheblichen Nachteilen vor allem beim Familienrecht leben, doch die Zahl der Akademikerinnen konnte deutlich erhöht werden. Waren unter dem Schah 15 Prozent der Studierenden weiblich, so sind es heute 60 Prozent. Dass die Frauen in Iran heute deutlich selbstbewusster sind als früher, zeigte übrigens auch die Verleihung des Friedensnobelpreises 2003 an die Anwältin, Frauen- und Menschenrechtlerin Shirin Ebadi.

    "Die Verteidigung der Menschenrechte wird sicherlich einigen innerhalb und außerhalb des Herrschaftsapparates nicht gefallen. Ich habe aber in diesen Jahren eines gelernt: Ich lasse auf keinen Fall zu, dass diese Drohungen auf irgendeine Art und Weise meine Arbeit beeinträchtigen."

    Zu den Schattenseiten der Revolution gehört die soziale Situation im Land. 20 Prozent der Bevölkerung, so heißt es, sollen nämlich unter der Armutsgrenze leben. Und das mit steigender Tendenz. Dabei hatte sich Präsident Ahmadinejad bei seiner Wahl vor fünf Jahren noch als "Anwalt der kleinen Leute" dargestellt und versprach, die wachsende Armut im Land zu bekämpfen.

    Im Gespräch mit der Bevölkerung merkt man, wie tief die Enttäuschung über die nicht eingehaltenen Wahlversprechen sitzt. Mohammad ist 48 Jahre, er ist Vater von drei Kindern und er ernährt seine Familie als Taxifahrer in Mashad, der Hauptstadt der nordostiranischen Provinz Khorasan:

    "Es gibt keine Gerechtigkeit. Wir sind über 70 Millionen Menschen, aber diesem Regime dienen nur vielleicht fünf Millionen. Ich schäme mich vor meiner Frau und Kindern. Meine Tochter hat vier Jahre lang studiert und ist nun fertig. Ich konnte ihr aber nichts als Geschenk kaufen. Nicht mal ein billiges Handy für sie konnte ich mir leisten. Nach 25 Jahren Arbeit kann ich für meine Familie keinen guten Reis kaufen, und wir müssen uns mit Hühnerfutter-Reis begnügen."

    Glaubt man Gerüchten, so gelten momentan zwei von drei Iranern als oppositionell und möchten die Islamische Republik durch ein pluralistisches System ersetzt sehen. Gerade die Verquickung von Religion und Politik sowie die hohe Militarisierung des öffentlichen Lebens werden dabei als Hauptkritikpunkte genannt. So gesehen liegt die eigentliche Gefahr für die Herrschenden in Teheran nicht in einem Militärschlag gegen das Land wegen seines umstrittenen Atomprogramms, sondern in der zunehmenden Unzufriedenheit ihrer Bevölkerung.

    Sollte Iran nämlich angegriffen werden, dürften sich zahlreiche Bürger, die momentan verärgert sind - wie im Fall der Kriegserklärung von Saddam Hussein im Jahr 1980 - wahrscheinlich wieder hinter die Regierung scharen. Weiter wachsende soziale Probleme aber und somit eine zunehmende Kluft zwischen den Machthabern und weiten Teilen der Bevölkerung, drohen den Einfluss der Herrschenden und somit das gesamte System von Innen auszuhöhlen.