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30 Jahre Massive Attack
TripHop, Graffiti, Hysterie

Massive Attack aus Bristol gelten als Erfinder des TripHop. Doch Mastermind Robert Del Naja reagiert auf den Begriff leicht gereizt. Überhaupt entziehen sich die Briten allen Markt-Mechanismen, geben kaum Interviews, veröffentlichen sporadisch - und sind dennoch Kult. Wir gratulieren zum 30.

Von Marcel Anders |
    imago stock&poeple
    Massive Attack auf Jubiläumstour (imago stock&people)
    Musik: "Unfinished Sympathy"
    "Zuerst habe ich den Begriff geliebt, weil ich dachte: 'Es ist nicht HipHop, es ist TripHop - es ist ätherisch, intellektuell und abgefuckt.' Aber nachdem das Ganze zum Label wurde, war er Anlass für einen Wettstreit, der mir so gar nicht gefiel. Eben: Wer ist der Beste? Denn Bristol ist eine Kleinstadt, alle haben ihre Platten zur selben Zeit veröffentlicht, und keiner wollte vom anderen übertrumpft werden - sondern die Nummer Eins sein. Es war lächerlich."
    Aus Freunden werden Konkurrenten - und aus einem Kollektiv an HipHop-Kids, Graffiti-Künstlern und DJs wird eine der aufregendsten Musik-Formationen der 90er und 2000er Jahre. Ein multikulturelles Trio - später Duo - mit afrikanischen, italienischen und karibische Wurzeln. Grantley Marshall, genannt Daddy G, Andrew Vowles aka Mushroom und Robert Del Naja, auch bekannt als 3D. Die drei kombinieren HipHop mit Dub, Soul, Jazz, House und Electronica - würzen diesen Mix mit sozio-politischen Texten und betreiben auf Album-Klassikern wie "Blue Lines" oder "Mezzanine" regelrechtes "Audio Painting", also "musikalisches Malen". Mit damals noch aufwändigen Samples und Loops.
    "Wir versuchen mit jedem Album etwas anderes zu machen. Sei es, weil wir das Gefühl haben, etwas bis zuletzt ausgereizt zu haben oder weil andere Leute etwas Ähnliches machen und uns schlichtweg kopieren. Das löst bei uns den Wunsch nach Veränderung aus. Und selbst wenn es wie kommerzieller Selbstmord erscheint, verzichten wir auch mal auf beliebte Elemente - einfach weil das spannend ist."
    Musik: "Teardrop"
    Das Löschen ganzer Alben
    Ein anspruchsvoller und zeitintensiver Prozess. Zumal Massive Attack Perfektionisten sind. Sie werfen immer wieder Ideen über den Haufen, löschen ganze Alben und brauchen ewig, um einen Tonträger fertigzustellen. Seit dem letzten Werk "Heligoland" sind achteinhalb Jahre vergangen. Laut Robert hat das nicht nur mit der Komplexität der Musik zu tun.
    "Ich will raus aus dem Zyklus, in dem so viele Bands feststecken. Nämlich alle paar Jahre ein neues Album vorzulegen und auf Tour zu gehen - nur, um die Rechnungen zu bezahlen. Das ist ein Schema, das nichts mit der Liebe zur Musik zu tun hat. Sondern gute Musik fängt - wie alles im Leben - mit Inspiration an. Und ich bin der Meinung, dass es stellenweise spannender ist, an Filmen und TV-Serien zu arbeiten. An interessanten Projekten mit unterschiedlichen Leuten, wobei wir Stücke machen, von denen wir nie zu träumen gewagt hätten. Mit Massive Attack können wir uns befassen, wenn es sich richtig anfühlt – aber nicht, weil wir müssen."
    Musik: "Rush Minute"
    Diese Verweigerungshaltung zieht sich wie ein roter Faden durch die Karriere der beiden Briten. Robert Del Naja und Daddy G geben kaum Interviews, meiden öffentliche Auftritte und verschanzen sich am liebsten in ihrem High-Tech-Studio in einer alten Fabrik in Bristol. Sie können es sich leisten. Um die elf Millionen Alben haben abgesetzt, ihre sporadischen Konzerte sind stets ausverkauft. Wie auf der laufenden Jubiläumstour, für die man mächtig Aufwand betreibt:
    "Das Ganze kostet eine Menge Geld - und sorgt dafür, dass wir eine Menge verlieren. Denn alle Einnahmen gehen fürs Visuelle drauf. Für eine wirklich tolle Show. Es lohnt sich, all die Arbeit und Mühe darin zu investieren. Also die Information, die darin auftauchen, ständig zu aktualisieren, sie mit immer neuen Bildern und Interviews zu untermauern und das Ganze in mehrere Sprachen zu übersetzen. Einfach, um es relevant und spannend zu halten."
    Musik: "The Spoils"
    Aufträge französischer Star-Regisseure
    Relevant und spannend sein - ein Kunststück, das Massive Attack nun schon seit 1998 gelingt. Weil die Band immer am Puls der Zeit und extrem umtriebig ist. Etwa mit Stücken zu angesagten TV-Serien, aber auch zu Hollywood-Blockbustern wie "The Matrix"und "Blade II". Auftragsarbeiten für den französischen Star-Regisseur Luc Besson und Soundtracks zu Indie-Filmen wie "Danny The Dog" von 2004. Ein düsterer, brutaler Streifen - passend zur eigenen Klangästhetik.
    "Es geht um einen Typ, der als Kind von Gangstern verschleppt, im Käfig gehalten und als menschlicher Pitbull missbraucht wird. Bis er einen älteren Klavierspieler trifft und die Musik entdeckt, die Erinnerungen an seine Kindheit auslöst. Dadurch gewinnt er seine Menschlichkeit zurück und befreit sich aus den Klauen des Gangsters. Es ist ein merkwürdiger Film, der Kampfsport-Szenen mit einem sozialen Drama kombiniert. Also kein Mainstream-Kino, aber gut in Szene gesetzt, mit tollen Schauspielern und einer Story, die wir sehr interessant fanden."
    Musik: "Danny The Dog"
    Neben Filmmusiken liefern Massive Attack sphärische Töne für Ausstellungen, Theaterstücke und Events von befreundeten Künstlern. Außerdem gilt Del Naja als Koryphäe für großflächige Installationen und abstrakte Gemälden, die auch das Artwork diverser Massive Attack-Veröffentlichungen zieren. Die entstehen, sagt er, vorzugsweise in seiner Gartenlaube und basieren auf seinen Erfahrungen als Sprayer.
    Graffiti: großer Spaß
    "Als ich mit Graffiti anfing, war das einfach ein großer Spaß - nicht zuletzt, weil es illegal war. Ich wurde auch ein paar Mal erwischt. Und irgendwann habe ich dann mit Schablonen gearbeitet, was in der Szene gar nicht gut ankam. Es wurde wie ein Betrug an der Graffiti-Kunst verstanden. Dabei war es lediglich der Versuch, etwas anderes zu machen als die New Yorker Sprayer, die jeder kopiert hat."
    Eine Aussage, die eine Legende nährt. Nämlich dass Del Naja Banksy ist. Der mysteriöse Sprayer, dessen Werke überall auftauchen und inzwischen Rekordpreise erzielen. Denn: Beide stammen aus derselben Stadt, beide verwenden Schablonen, und neue Banksy-Werke gibt es immer da zu bewundern, wo Massive Attack gerade aufnehmen und touren. Wie zuletzt in Paris. Was Del Naja nicht kommentieren will - er lächelt und schweigt. Auch eine Antwort.