Dieter Dombrowski will nicht alles schlecht machen:
"Also die Kommission an sich ist eine gute Sache…."
Doch der Vorsitzende der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft hat gravierende Einwände:
"… Sie hat aber einen großen Mangel: Sie ist viel zu spät eingesetzt worden. Und bei allen, die dort mitwirken werden, diesen 22 Persönlichkeiten, will ich keinem zu nahe treten, aber es fehlt eine ganz wichtige Gruppe: Das sind die Vertreterinnen und Vertreter, oder zumindest einer, der selbst in der DDR Opfer politischen Unrechts geworden ist. Und das ist nicht gegeben. Von daher meine jetzige Einschätzung, auch wenn sie ein bisschen zugespitzt ist, ist einfach so: Die Feierlichkeiten zu 30 Jahren Mauerfall und 30 Jahren Deutsche Einheit finden ohne die Opfer der SED statt."
Erst im Mai hat die Bundesregierung die Kommission eingesetzt, die bis August ein Konzept für die Feierlichkeiten anlässlich von 30 Jahren Mauerfall und Deutsche Einheit vorlegen soll. Den Vorsitz hat Brandenburgs früherer SPD-Ministerpräsident Matthias Platzeck, der Ostbeauftragte der Bundesregierung Christian Hirte von der CDU ist dabei, und neben weiteren SPD- und CDU-Politikern noch Wissenschaftler und Kulturschaffende.
Es fehlen die Opfer
Dieter Dombrowski, auch Brandenburger CDU-Politiker, fehlen jedoch Repräsentanten von Hunderttausenden ehemaligen SED-Opfern. Als Beispiele nennt er die Mutter von Chris Gueffroy, dem letzten Erschossenen an der Berliner Mauer, und Jutta Fleck, die so genannte Frau vom Checkpoint Charlie.
Diese Leerstelle bedauert auch Ilko-Sascha Kowalczuk, Historiker und Mitglied der Kommission:
"Noch vor fünf Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass eine solche Kommission ohne ausdrückliche Berücksichtigung von Vertretern von Opferverbänden zustande gekommen wäre. Da wäre der Aufschrei in Deutschland über die Verbandsgrenzen hinaus groß gewesen. Das ist jetzt anders. Die Verbände kritisieren das zu recht, aber es zeigt auch die veränderte Lage in Deutschland, die veränderte Bedeutung dieser Verbände, ein letztendlich wohl auch anderer Blick auf die Diktatur. Es gibt immer mehr Leute, die über die DDR sprechen, ohne den Diktatur-Charakter zu betonen. Das ist vielleicht nicht schön, aber das ist so der Lauf der Dinge."
Dagegen bezeichnet die Politikwissenschaftlerin Judith Enders, die als Mitbegründerin der Initiative "Dritte Generation Ostdeutschland", heute "Perspektive hoch drei", in der Kommission sitzt, diese als bunt gemischt:
"Die Zusammensetzung der Kommission ist auch so, dass mehr Ostdeutsche als Westdeutsche darin vertreten sind, was mal eine ganz große Besonderheit ist, die man auch spürt in der Atmosphäre – also ich als Ostdeutsche spüre das jedenfalls: mal in der Mehrheit zu sein, ist etwas ganz Seltenes und auch Besonderes. [...] Ich denke, dass die unterschiedlichen Generationen, die vertreten sind und die unterschiedlichen gesellschaftlichen Perspektiven, die durch die Berufe und Erfahrungen der einzelnen Mitglieder relevant werden, eine wirklich spannende und konstruktive Mischung herstellen."
Erste Wegmarken bereits verpasst
Dass die Kommission erst jetzt zu tagen begonnen hat und innerhalb von nur zwei Monaten ein Konzept vorlegen soll, sei das eigentliche Grundproblem, betont Ilko-Sascha Kowalczuk.
"Wir haben jetzt Anfang Juni und im Prinzip ist die Kommission jetzt in den Arbeitsmodus gekommen. Und die Revolution vor 30 Jahren hat mehr oder weniger schon fast begonnen gehabt. Es gab die ersten Wegmarken und die haben wir jetzt verstreichen lassen müssen. Und diesen Zeitverlust können wir auch nicht mehr aufholen. "
… etwa um an die erstarkende Ausreisebewegung von DDR-Bürgern im Sommer '89 zu erinnern. Und tatsächlich steht aktuell noch nicht einmal der Anfangstag der Feierlichkeiten fest:
Frühere DDR-Bürgerrechtler fordern, damit bereits am 9. Oktober zu beginnen – dem 'Tag der Entscheidung', an dem in Leipzig bis zu 100.000 Menschen demonstrierten.
Judith Enders versucht derweil, Orte für das Gedenken auszumachen. Sie möchte, dass es nicht mehr nur um Opfer und Täter geht, sondern...
"...dass es doch immer noch nach 30 Jahren notwendig ist, auf die persönlichen biographischen Erfahrungen Einzelner zu schauen, um daraus zu schlussfolgern, welche Gefühlslagen und welche Haltungen sich zur Transformation und zum Prozess nach der politischen Wende ergeben haben. Ich kann mir zum Beispiel vorstellen, am Grenzverlauf der innerdeutschen Grenze – nicht nur der Mauer in Berlin, sondern auch der innerdeutschen Grenze – vielleicht Orte zu finden, wo man Menschen interviewen kann und sie fragen kann, was sie eigentlich am 9. November 1989 erlebt haben – nicht nur Menschen aus dem Osten, sondern auch die Menschen aus dem Westen, die im Zonenrandgebiet gelebt haben, wie sie den Tag erlebt haben."
DDR-Diktatur
Eine Pflicht zum Erinnern und Feiern gibt es allerdings nicht, betont Kowalczuk. Für ihn geht es vor allem darum, den Diktaturcharakter der DDR auszuleuchten. Er stößt sich an einem Widerspruch:
Seit 1989/90 habe in der öffentlichen Auseinandersetzung die Staatssicherheit eine viel zu große Rolle gespielt. Beim MfS nicht mitgemacht zu haben, habe vielen Ostdeutschen zur Entlastung gedient. Gleichzeitig aber seien die früheren Bürgerrechtler nur zu Jubiläen und Festtagen gewürdigt worden. Ein schiefes Bild, das nach 30 Jahren endlich korrigiert werden müsse.
"Diese Brutalität der Diktatur zeigt sich im Falle der SED-Diktatur viel eher im Schulunterricht oder an der Universität oder im Verhalten im Arbeitskollektiv im Betrieb als im Knast. Der Knast ist die brutalste Form, die man auch erwartet. Aber die Diktatur im Alltag, die zeigt sich woanders, darüber ist viel zu wenig gesprochen worden. Das hat damit zu tun, dass das viel mehr schmerzt, Millionen Menschen schmerzt aus unterschiedlichen Gründen, weil man unter Umständen abends, nachmittags auf einer anderen Seite stand als vormittags, weil sich die Rollen ständig änderten. Insofern ist das viel einfacher: Man hat das Stasi-Schwein, haut drauf - und Aus."