Tobias Armbrüster: Es ist ein Jahrestag, der sicher bei vielen Menschen in Deutschland Erinnerungen auslösen wird. Es geht um das Geiseldrama in Gladbeck heute vor genau 30 Jahren hat es begonnen, und vermutlich jeder, der damals Nachrichten verfolgt hat, wird sich an diese Tage erinnern. Ein Geiseldrama, eine zweitägige Verfolgungsfahrt, die sich durch drei Bundesländer und durch die Niederlande gezogen hat. Am Ende waren drei Menschen tot, und noch immer, auch heute noch, 30 Jahre später, werden Vorwürfe laut gegen die Medien zum Beispiel und wie sie damals über die Geiselnehmer berichtet haben. Aber auch über den Einsatz der Polizei, die nach Meinung vieler erst viel zu spät eingegriffen hat. Wir können darüber jetzt sprechen mit Armin Laschet von der CDU, dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen. Schönen guten Morgen, Herr Laschet!
Armin Laschet: Guten Morgen!
Armbrüster: Herr Laschet, lassen Sie uns kurz zurückblicken. Vor 30 Jahren, wo waren Sie da?
Laschet: Ich war damals Student in Bonn und habe das alles natürlich mitverfolgt. Habe die Bilder, die ja 54 Stunden übertragen wurden, von der Entführung in Gladbeck, dann über die Tour, die man quer durch Deutschland fuhr, bis dann am Ende dem Zugriff in der Nähe von Bonn, der dann so tödlich endete. Und deshalb hat mich das damals auch schon sehr berührt. Und für die, die das damals nicht gesehen haben, hat diese ARD-Zweiteiler-TV-Serie, die sehr authentisch die Tage noch mal beschreibt, vor wenigen Monaten das noch einmal sehr sichtbar gemacht. Und deshalb ist dieser 30. Jahrestag halt auch ein besonderer Tag.
Laschet: Werde mit bei der Mutter entschuldigen
Armbrüster: Sie reisen heute nach Bremen an diesem Jahrestag. Was genau haben Sie da vor?
Laschet: Die Person, die viele Menschen damals auch beeindruckt hat, war Silke Bischoff, die Geisel, 18-jährig, im Auto sitzend, auch von Journalisten dann noch interviewt, ständig mit der Waffe von Degowski am Hals. Und diese junge Frau ist in der Nähe von Bremen beerdigt. Und ich habe mir vorgenommen, an diesem Tag mit dem Bremer Kollegen zusammen an das Grab zu gehen. Der Unterschied zwischen Bremen und Nordrhein-Westfalen ist, Bremen hat damals das Thema sehr schnell aufgearbeitet, Fehler eingestanden auch des Staates, auch politische Konsequenzen gezogen. Und in Nordrhein-Westfalen war 30 Jahre die Staatsauffassung, vielleicht sogar eine Lebenslüge, zu sagen, bei uns war alles in Ordnung, niemand hat Fehler gemacht. Und ich habe gleichzeitig vor, die Mutter da auch um Vergebung zu bitten. Auch der Staat muss, wenn er Fehler macht, dies eingestehen, und dem dient der heutige Tag.
Armbrüster: Für welchen Fehler genau müssen Sie sich da entschuldigen?
Laschet: Nein, es gibt nicht einen einzigen Fehler. Aber wenn sie all die Kette, die hier aufgearbeitet worden ist, sehen – die beiden Täter waren flüchtig, bevor die Bank überfallen wurde. Dann hat man zwei Wochen nicht zugegriffen, obwohl man genau wusste, wo sie wohnten. An dem Morgen, an dem sie dann Richtung Bank gingen, trafen dann die Beamten ein. Vorher hatte man das Thema nicht ernst genug genommen. Dann das Verlassen der Bank, dass da niemand zugegriffen hat. Dann in der Flucht, wo sie mehrfach, die Geisel allein im Auto saß und die Täter einkaufen gingen und trotzdem niemand zugriff. Dann die Szene in der Kölner Innenstadt, und dann dieser am Ende gemachte Zugriff unmittelbar vor der Landesgrenze, nur, damit das Problem in einem Bundesland noch gelöst werden konnte, was höchst risikoreich war und was dann zum Tod der Geisel führte. Mich hat eines besonders beeindruckt: Gestern hat bei uns in der Staatskanzlei ein Polizeibeamter angerufen und um Rückruf gebeten. Und ich hab das dann mal gemacht, weil er geschildert hat, er war damals bei dem Einsatz beteiligt. Die Polizeibeamten selbst wussten, sie hätten gern zugegriffen. Aber sie haben keine politische Rückendeckung dafür gekriegt. Er war dann auch in traumatischer Behandlung, und er hat gesagt, für mich ist dieser Tag, wo Sie jetzt sagen, ja, der Staat hat auch Fehler gemacht, einer, dass ich endlich mit dieser Sache Frieden machen kann.
Armbrüster: Herr Laschet, können Sie uns das vielleicht etwas genauer schildern? Wer hat da nun Fehler gemacht vor 30 Jahren an oberster Stelle? War das der damalige Ministerpräsident Johannes Rau?
Laschet: Das ist ja alles in Untersuchungsausschüssen – ich will daraus keine parteipolitische Frage jetzt machen. Aber natürlich war die Haltung des damaligen Innenministers und auch des Ministerpräsidenten, wir machen eine Null-Risiko-Strategie. Wir erlauben den Polizeibeamten in bestimmten Fällen nicht, zuzugreifen. Das liegt ja alles in Berichten vor. Nur, um die Frage geht es mir nicht. Vielleicht würde Johannes Rau heute auch, nach 30 Jahren, das anders sehen. Aber die Haltung damals, zu sagen, alles war korrekt, das ist gegenüber den Opfern unangemessen, und das will ich heute korrigieren.
"Heute würde so etwas nicht mehr passieren"
Armbrüster: Warum ist denn da 30 Jahre niemand auf die Idee gekommen, sich bei den Opfern tatsächlich zu entschuldigen vonseiten des Staates?
Laschet: Ich weiß es nicht. Die Staatshaltung war, es ist leider unmöglich gelaufen, aber wir haben alles richtig gemacht. Und wir haben dies und dies – es war nicht anders möglich. Ich glaube, es war wohl anders möglich. Aber vor allem haben sowohl die Journalisten ja für sich selbst einen neuen Ethikkodex nach diesen Interviews auf der Domplatte mit den Geiseln geführt, sodass so was heute nicht mehr denkbar wäre. Und auch die Polizei hat still und leise ihre Arbeitsweisen verändert, ihre Regeln verändert, sodass ich sicher bin, heute würde so etwas nicht mehr passieren, jedenfalls nicht in dieser Form. Und deshalb, finde ich, muss man dann auch menschlich und auch politisch gegenüber den Opfern sagen, wir geben das auch zu. Wir ändern nicht nur still und leise die Regeln, sondern wir sagen auch, ja, ein Staat kann auch Fehler machen.
Armbrüster: Das heißt, die Polizei und die Medien haben ihre Lektion gelernt, aber die Politik noch nicht so richtig.
Laschet: Die Polizei ist ja nun Teil des Staates, und das hat ja die Politik verändert. Was bei der Polizei neu zu organisieren war, daran hat man in den 30 Jahren kontinuierlich gearbeitet. Aber es gab nicht diese öffentliche Aussage des Staates, eines Ministerpräsidenten in diesem Fall, der gesagt hat, nicht nur das Land Bremen, sondern auch unser Land Nordrhein-Westfalen hat Fehler gemacht, und ich hoffe, dass wir damit heute auch dieses Kapitel in dieser Frage abschließen können.
Fall Sami A: NRW-Landesminister hat "damals nach Recht und Gesetz entschieden
Armbrüster: Wir müssen an diesem Donnerstagmorgen noch über ein anderes Thema sprechen. Wir haben das heute Morgen in der Sendung schon mehrfach behandelt. Die Gerichtsentscheidung gestern in Münster. Der Islamist Sami A. muss zurückgeholt werden, seine Abschiebung vor etwa einem Monat aus Bochum war unrechtmäßig. Welche Fehler hat Ihre Landesregierung da gemacht?
Laschet: Das sind ja nun ganz viele Beteiligte. Ich glaube auch nicht, dass wir jetzt Sami-A.-Interview daraus machen sollten. Aber wir werden das Gerichtsurteil einhalten, wir werden exakt analysieren, welche Gründe benennt das Gericht, wenn dann auch die Gründe schriftlich vorliegen. Bisher gibt es ja nur die Mitteilung über das Urteil gestern. Und dann wird der zuständige Minister genau erklären, was er gemacht hat in dem Moment. Nach meiner Auffassung und nach der Auffassung des Ministers hat er damals nach Recht und Gesetz entschieden. Aber jede Entscheidung des Staates kann auch von Gerichten überprüft werden. Und das hat das Oberverwaltungsgericht jetzt getan, und das werden wir akzeptieren, und dann werden wir die weiteren Schritte sehen.
Armbrüster: Sie selbst haben ja kurz nach dieser Abschiebung das Ganze begrüßt und positiv gesehen. Jetzt hat uns heute Morgen schon der Oppositionsführer im Düsseldorfer Landtag, Thomas Kutschaty, gesagt, Sie, Herr Laschet, müssten sich dafür entschuldigen. Werden Sie das tun?
Laschet: Wissen Sie, das ist schön, dass Sie das sagen. Das sind aber parteipolitische Spiele. Hier geht es um einen seit elf Jahren ausreisepflichtigen Gefährder, einen Mann, der auf der Top-Liste der Gefährder der Bundesrepublik Deutschland steht, und der zuständige Minister hat in einem Moment, als ihm das Gerichtsurteil noch nicht bekannt war, da entschieden. In vielen anderen Fällen ist auch nach Tunesien, sind Gefährder abgeschoben worden. In diesem einen Fall hat das Gericht jetzt juristische Bedenken. Denen werden wir Rechnung tragen. Aber wie ernsthaft das Bemühen von Minister Stamp ist, dass Gefährder unmittelbar das Land verlassen müssen, das muss man auch in Rechnung stellen in diesem Fall.
Armbrüster: Eine Frage dazu habe ich noch. Da gibt es ja jetzt viele Vorwürfe gegen Herrn Stamp, dass er sozusagen die Unwissenheit des Gerichts ausgenutzt hat und sozusagen ein Zeitfenster genutzt hat, um an diesem speziellen Tag Sami A. abzuschieben. Halbe Wahrheiten, mit denen habe er gearbeitet, das ist der Vorwurf. Wäre das nicht ein Anlass für weitere Schritte?
Laschet: Er wird sich dazu erklären, er wird seine Argumente zugrunde legen. Wir wenden Recht und Gesetz an. Wenn ein Gericht in einem einzelnen Fall von vielen anderen einmal der Meinung ist, hier ist das Recht nicht richtig angewandt worden, dann folgen wir dem Oberverwaltungsgericht.
Armbrüster: Armin Laschet, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Vielen Dank für das Interview heute Morgen!
Laschet: Bitte schön!
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