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30 Jahre Tienanmen-Massaker
"Nichts rechtfertigt den Einsatz von Panzern"

Zhang Wei war als Student dabei, als vor 30 Jahren Millionen von Chinesen in Peking für Demokratie demonstrierten. Dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz entging er knapp. Inzwischen ein erfolgreicher Geschäftsmann, fordert er die Aufarbeitung der damaligen gewaltsamen Niederschlagung der Proteste.

Von Steffen Wurzel |
Zwei Soldaten der Volksbefreiungsarmee mit Geschützen auf der Oberfläche eines Panzers 1989 in Peking.
In der Nacht vom 3. auf den 4. Juni 1989 schlug das chinesische Militär die prodemokratischen Proteste in Peking brutal nieder (picture alliance / Sadayuki Mikami)
Zhang Wei ist ein erfolgreicher Geschäftsmann. Er hat einiges erreicht in den vergangenen Jahrzehnten. Sein mittelständisches Handels-Unternehmen beschäftigt mehr als 100 Menschen.
Sein Alter sieht man dem 50-jährigen Geschäftsmann nicht an. Er ist schlank, gut in Form und sportlich-elegant gekleidet.
"Viele Menschen schlossen sich uns an"
Zhang Wei heißt in Wirklichkeit anders. Seinen echten Namen im Radio zu nennen könnte gefährlich sein für ihn. Denn das Thema, über das er sprechen möchte, ist heikel. Obwohl inzwischen 30 Jahre vergangenen sind seit der gewaltsame Niederschlagung der chinesischen Demokratiebewegung. Hunderte, möglicherweise sogar Tausende Menschen kamen damals im Zentrum Pekings ums Leben.
Doch die Geschichte der chinesischen Demokratiebewegung spielt nicht nur in Peking.
Die Demonstrationen, Streiks und Protestaktionen von vor 30 Jahren waren eine landesweite Massenbewegung. Millionen von Menschen gingen damals auf die Straßen, in ganz China und über Wochen hinweg. Sie forderten die Bestrafung korrupter Parteileute, mehr Mitbestimmung und echte Demokratie in China.
"Ich war damals der Fahnen-Träger bei den Uni-Sportveranstaltungen. Und so war ich dann auch bei unserem Protest-Marsch ins Stadtzentrum derjenige, der mit der Fahne vorneweg lief. Wir waren nicht nur Studenten, viele Menschen schlossen sich uns an.
Im Laufe des Aprils 1989 machte sich Zhang mit einigen weiteren Studentenaktivisten auf den Weg nach Peking. Dort campierten auf dem zentralen Tiananmen-Platz bereits zigtausende Demonstranten in Zelten und unter freiem Himmel.
"Irgendwann bekamen wir tatsächlich Fahrkarten für den Nachtzug nach Peking. Und ich weiß noch: Als wir einstiegen, räumte ein Mann freiwillig sein Schlafwagen-Abteil für uns. Er arbeitete bei irgendeiner Behörde und er sagte uns: 'Hier, bitteschön! Nehmt mein Abteil. Und hier habt Ihr auch noch zwei Packungen Zigaretten. Geht auf den Tiananmen-Platz in Peking und skandiert bitte ein paar Slogans für mich mit.' Der Mann war nämlich selbst auch sehr unzufrieden."
"Schnell weglaufen, falls du verhaftet wirst"
Historiker schätzen, dass sich Mitte Mai 89 im Zentrum Pekings mehr als eine Million Demonstranten aufhielten. Einige Wochen lang campierten auch Zhang Wei und seine Mitstreiter auf dem Tiananmen-Platz. Am 2. Juni, also zwei Tage bevor Chinas Führung Panzer und Soldaten auf die Protestierenden losschickte, fuhr er zurück in seine Heimat.
Dass Zhang damals nach Hause fuhr, statt auf dem Platz zu bleiben, hat ihm möglicherweise das Leben gerettet. Doch zurück an seiner Uni engagierte er sich weiter politisch, sehr zum Argwohn seines Vaters, erinnert er sich.
"Er wollte nicht, dass ich dort mitmache. Aber als ich darauf bestand, sagte er mir, dass er mich verstehe, weil er ja auch einmal jung gewesen sei. Er warnte mich aber vor möglichen Konsequenzen. Vor allem nach dem 4. Juni, nach der blutigen Niederschlagung in Peking, sagte er mir: Junge, zieh‘ Deine guten Sportschuhe an, damit Du schnell weglaufen kannst, wenn sie Dich verhaften wollen."
"Nichts rechtfertigt den Einsatz von Panzern"
Zhang Wei wurde nicht verhaftet. Heute ist der nordchinesische Geschäftsmann sichtlich stolz auf sein politisches Engagement von damals. Einerseits. Andererseits versucht er, nachzuvollziehen, warum Chinas Staats- und Parteiführung die Proteste damals gewaltsam und blutig beendete.
"Ja, die Studentenproteste haben der Regierung eine Menge Scherereien bereitet. Sie wusste damals nicht, wie sie damit umgehen soll. Aber: Die Führung hätte anders handeln können. Nichts rechtfertigt den Einsatz von Panzern in den Straßen Pekings. Das werden wir niemals verzeihen."
Der frühere Studenten-Aktivist und heutige Geschäftsmann Zhang ist hin- und hergerissen. Einerseits verdanke er seine Karriere der Wirtschaftspolitik der Staatsführung, wie er sagt. Andererseits wünscht er sich Aufklärung über das, was vor 30 Jahren in der chinesischen Hautstadt passierte und so viele Menschen das Leben kostete.
"Über die Geschehnisse damals zu sprechen ist unsere nationale Pflicht. Aber wer tut es denn schon? Die Regierung aus welchen Gründen auch immer jedenfalls nicht. Jeder einzelne sollte aber darüber sprechen. Das ist riskant. Aber als jemand, der damals dabei war und heute 50 ist, fühle ich mich verpflichtet, darüber zu sprechen. Für mich und für meine Tochter."