Wenn man nach dem Film die Musik gerne auch ohne Bilder (nur den Soundtrack) weiter hören möchte - beispielsweise Jackson Browns Song "These Days", 1967 das erste Mal aufgenommen für Nicos Album "Chelsea Girl" (hier gesungen von Trine Dyrholm, die in "Nico, 1988" Nico spielt) - das spricht für die Sängerin, den Song, und das spricht für den Film. In dem geht es um die beiden letzten Lebensjahre von Nico.
"Nico, 1988" beginnt quasi mit dem Credo von Christa Päffgen alias Nico: "Lasst mich in Ruhe mit Warhol und Velvet Underground!" Als der Radiomoderator in Susanna Nicchiarellis Film die Frau - jetzt schon um die 50 - vorstellt als "Femme Fatale" von Lou Reed, "here we are with Lou Reeds Femme Fatale", stellt die Sängerin klar: "Bitte nicht! Ich mag es nicht, wenn Sie mich so nennen."
"Wollen Sie uns was über die Erfahrung mit Velvet Underground erzählen?", fragt der Radiomoderator. "Nein, will ich nicht! Ich habe nach Velvet Underground mit meiner eigenen Musik begonnen", meint Nico. Aber wie denn die Zeit war, 68, damals? "Wir haben eine Menge LSD genommen. Das haben wir gemacht."
Die Prinzessin der Finsternis
Und jetzt, 1988, nimmt Nico noch Heroin. Am Anfang sehen wir sie, wie sie im abgeschlossenen Bad verzweifelt nach einer Vene im Knöchel sucht. Das Problem, als sie in Prag auftritt, einer der letzten legendären Gigs: Die Band konnte den Stoff nicht mit über die Grenze mitnehmen. Der Organisator vor Ort versteht zwar, was die Frau ist - ein Stück Geschichte, Musikgeschichte, Popkultur - aber was die Musiker und die legendäre Nico wollen: "Heroin, wir brauchen Heroin!"
"Die Prinzessin der Finsternis", wie sie genannt wurde, spielt Trine Dyrholm in Susanna Nicchiarellis Biopic mit großer Kraft und Intensität als eine Künstlerin, die aus den Abgründen der Sucht und Exzesse aufzusteigen und wieder zu sich finden will. Wobei Nicos Blick auf sich ohne Illusionen ist: "Ich war ganz oben. Ich war ganz unten. Beide Plätze sind leer."
Was aber dieses Zu-sich-Finden denn nun bedeutet, nach dem Glamour? Falten, Verfall, Erinnerungen. Wir sehen in "Nico, 1988" die Sängerin mit ihrer zusammengewürfelten Band und Manager auf Tour und in schäbigen Hotels. Tristesse. Dann wieder wie kleine, im Farbendelirium eingestreute Collagen mit historischem Archivmaterial, Rückblenden aus der legendären, popkulturell verbrämten Vergangenheit, die aber Nico - wie gesagt um die 50 - nicht verklärt: "Ich war nicht glücklich, als ich schön war."
Die Tour in diesem Jahr 1988, die den Rahmen von Susanna Nicchiarellis Film bildet - also auch Roadmovie, also auch sehr schöne, lange Passagen, wenn Trine Dyrholm Nico spielt und singt - diese Tour bietet der alt gewordenen Künstlerin einen Chance, ihren Sohn Ari quasi wiederzufinden. Ari: von der Mutter fast vergessen, auch drogensüchtig, suzidgefährdet. Man hat ihn Nico weggenommen. War wohl richtig, meint die alte Verblühte: "Ich war zu jung. Und zu verrückt, um mich um ihn zu kümmern."
Die Frau bleibt uns fremd
Dieses Biopic macht uns nicht vor, verstehen zu können, was die Quelle von Musik ist, was die von Sucht, was die von "überleben wollen". Trine Dyrholm spielt Nico nicht als Angebot, uns zu identifizieren. Die Frau bleibt uns fremd. Wir können angewidert sein, wir können staunen, aber ein "tolle Frau" wird uns kaum über die Lippen rutschen. So bleibt eben die Komplexität einer Figur erhalten. Und dazu, zu einer Figur in einem Spielfilm, dazu wird Nico. Inklusive künstlerischer Freiheit von Filmemacherin Susanna Nicchiarelli. So gehört sich das für ein ein Biopic über einen Musiker, eine Musikern, das wir ernst nehmen wollen.
Und der von mir aus arrogante Satz, den Nico einmal sagte: "Ich bin sehr wählerisch mit meinem Publikum. Ich muss nicht von jedem gemocht werden. Das interessiert mich nicht" - vielleicht ist das ja ein Credo auch von Filmemacherin Susanna Nicchiarelli. Nico aus dem Mund geklaut.
"Nico, 1988", diese filmische Dekonstruktion dieser Ikone der Pop-Kultur, also das Hintersichlassen einer falschen Vorstellung, ist grandios. Und Trine Dyrholm als Nico - wow!