Christiane Kaess: Paul Lehrieder ist Mitglied des Bundestages und CSU-Sozialpolitiker, er ist Obmann im Arbeitskreis für Soziales. Ist dieser Vorschlag jetzt Familienpolitik auf Kosten der Unternehmen?
Lehrieder: Ich glaube nicht. Also, grundsätzlich ist jeder Vorschlag, der die Familien unterstützt, zumindest eine gründliche Prüfung wert, da hat die Frau Schwesig nicht ganz unrecht. Aber im Koalitionsvertrag – und den habe ich mir in dieser Passage extra noch mal im Detail durchgelesen – steht von einer Reduzierung der Arbeitszeit bei Vollzeitbeschäftigung auf 32 Stunden kein einziges Wort drin. Und es wäre gut, wenn die Familienministerin sich zunächst an den Koalitionsvertrag halten würde, da haben wir das Elterngeld Plus drin und ich weiß nicht, ob wir mit diesem Vorschlag nicht den Familien Steine statt Brot geben, weil, es gibt sehr viele lokale Bündnisse, es gibt jetzt schon die Bereitschaft von acht von zehn Unternehmen, flexibel auf die Arbeitszeitwünsche der Eltern zu reagieren. Und wir haben aus guten Gründen im Koalitionsvertrag zudem ausgeschlossen, dass wir steuerfinanzierte Leistungen dementsprechend ausbauen wollen.
"Elternzeit darf keine Teilzeitgasse werden"
Kaess: Bleiben wir noch mal bei der Bedeutung für die Unternehmen: Manuela Schwesig sagt ja, das ist letztendlich ein großer Vorteil für die Wirtschaft, weil künftig dann mehr Fachkräfte tätig sind, vor allem gut ausgebildete Frauen.
Lehrieder: Gut, gut ausgebildete Frauen wollen wir natürlich irgendwie mit einer Wiedereinstiegsmöglichkeit auf Vollzeit im Koalitionsvertrag ordnungsgemäß behandeln beziehungsweise ihnen die Möglichkeit geben, wieder auf Vollzeit zu kommen. Die Elternzeit darf keine Teilzeitgasse werden, daran werden wir konstruktiv arbeiten müssen, mit den Unternehmen zusammen. Aber die Unternehmen selbst, nicht jedes Unternehmen hat 400, 500 Mitarbeiter, die dann flexibel in die Arbeitszeitkontingentdispo gehen können, dass mehrere jüngere Familien erträglich mit 32 Stunden eben entsprechend bedient werden können. Das wird, glaube ich, für viele kleinere Unternehmen, Handwerksbetriebe, nicht funktionieren, die werden da erhebliche Schwierigkeiten bekommen. Und ich habe Angst, dass dann der junge Vater, die junge Mutter statt 32 Stunden vielleicht irgendwo in dem einen oder anderen Unternehmen dann null Stunden arbeiten kann und dann hätten wir den Familien Steine statt Brot gegeben. Das kann's nicht sein.
Gut, wenn man jetzt mit den gesellschaftlich relevanten Kreisen einfach mal die Vorschläge diskutiert – und da sollte Frau Schwesig ihren Vorschlag erst mal in schriftlicher Form vorlegen, ich kenne bisher nur aus Medien den Vorschlag –, und dann schauen wir, was tatsächlich eben hier an Positivem dran sein könnte.
Kaess: Und Sie haben es auch schon angesprochen, es gibt längst flexible Arbeitszeiten. Aber offenbar reicht das nicht.
Lehrieder: Passgenauer kann das der Unternehmer mit seinem Arbeitnehmer natürlich aushandeln. Aber es geht hier hauptsächlich bei der Frau Schwesig um die Finanzierung, die Steuerfinanzierung eines Teils des Lohnausfalls, so wie ich das den Medien entnehmen kann. Und wenn junge Eltern jetzt sagen, jawohl, ich trete beruflich jetzt etwas kürzer, weil mir die Familie wichtig ist, finde ich das absolut toll, und natürlich sind auch viele Arbeitnehmer bereit zu sagen, jawohl, wenn ich dadurch parallel dazu eben staatlich Unterstützung wie das Elterngeld, wie eben entsprechend hier auch dieses Elterngeld Plus, was wir im Koalitionsvertrag ja anstreben, auch entsprechendes Kindergeld bekommen, dann bin ich damit gern bereit, etwas weniger zu arbeiten, um die Zeitkontingente für meine Familie zu haben. Es erschließt sich mir im Übrigen auch nicht, warum gerade 32 Stunden, warum nicht 35, warum nicht 30, warum nicht 25 Stunden. Warum muss man immer mit zwei Jahren aufhören. Also, es ist so viel Unausgegorenes in dem Vorschlag dabei, dass es besser gewesen wäre, wir hätten im Fachausschuss, im Bundestag diskutiert, als jetzt über die Medien zu lancieren.
"Unternehmen können es aufgrund der Größe vielleicht nicht"
Kaess: Jetzt ist es ja so, dass tatsächlich die Bilanz von Arbeitgeberseite so schlecht nicht ist, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, der rechnet heute vor, dass acht von zehn Unternehmen flexible Arbeitszeiten schon anbieten, und jedes dritte unterstützt bereits die Betreuung. Aber was haben denn Sie für eine Erklärung, warum dennoch viele vor allem junge Familien unter ihren alltäglichen Belastungen ächzen?
Lehrieder: Das kommt auf den Einzelfall sicherlich an. Manche Unternehmen können es aufgrund der Größe vielleicht nicht, eben hier auf Teilzeit reduzieren und dann diese Freistellung eben entsprechend für junge Eltern ermöglichen …
Kaess: Aber dann würde doch der Vorschlag von Manuela Schwesig etwas helfen!
Lehrieder: Ja, diese Unternehmen werden dann natürlich sich schwer tun, junge Leute anzustellen beziehungsweise zu sagen, jawohl, ich tu einen jungen Vater oder eine junge Mutter bei der Berufswahl berücksichtigen, sondern da müsste man fairerweise sagen, dass hier ein Hindernis entspringt, um gerade jungen Leuten in der Familiengründungsphase eine berufliche Chance zu geben, dann nehme ich dann lieber den 40-, 50-Jährigen, der vielleicht nicht mehr …
Kaess: Das befürchten Sie, dass es dazu dann kommen könnte?
Lehrieder: Ich befürchte, dass sich das verlagern wird. Im Übrigen sehe ich eine ganz große Position für die jungen Eltern darin, dass sie sagen können, lieber Arbeitgeber, ich gehe zu dir, wenn du entsprechend hier in meinen Arbeitsvertrag reinschreibst, dass solche flexiblen Möglichkeiten im Falle einer Familiengründung, im Falle der Geburt eines Kindes entsprechend mir eingeräumt werden. Ich glaube, das wird eben in Zukunft ein stärkerer Handlungsmarkt, gerade unter dem Stichwort Fachkräftemangel, dass junge Eltern sich raussuchen können, bei welchem Unternehmen zu welchen Konditionen auch in der Familienzeit angeboten bekommen, und da die Unternehmen dann entsprechend auch reagieren. Und viele Unternehmen – Sie haben es bereits ausgeführt, acht von zehn Unternehmen – haben schon reagiert, wissen sehr wohl, was sie an qualifizierten, guten, gut ausgebildeten jungen Menschen haben, und die werden vieles tun, um das zu halten. Aber das sollten wir nicht staatlich vorschreiben, nicht dirigistisch vorschreiben, sondern das muss eben auf unternehmerischer Ebene individuell vereinbart werden. Das wird eben mit einem groben Rechen mit 32 Stunden nicht passen.
Staat soll Leistung der Eltern honorieren
Kaess: Herr Lehrieder, Sie haben den finanziellen Aspekt schon angesprochen. Der geringere Lohn soll zum Teil über Steuermittel ausgeglichen werden, da könnte man ja auch sagen, das ist eine Honorierung der Erziehungsleistung und vielleicht eine, die wirtschaftlich besser geeignet ist als das Betreuungsgeld?
Lehrieder: Tun wir ja in vielen Bereichen. Zum Stichwort Betreuungsgeld erlauben Sie mir noch einen Satz: Das Elterngeld ist eine steuerfinanzierte Leistung, die wir neu eingeführt haben, wo Lohnersatz in Höhe von zwei Dritteln des letzten Einkommens …
Kaess: Aber das wäre eine weitere Honorierung?
Lehrieder: Sicherlich kann man darüber nachdenken, aber das Betreuungsgeld ist auch eine Honorierung von Erziehungsleistung, ich freue mich ja, dass sich die Familienministerin zumindest mit dem Vorschlag in unsere Richtung bewegt und das Betreuungsgeld anerkennt offensichtlich, weil sie sagt, eine häusliche Betreuung muss dem Staat was wert sein, dann hätte sie unserem Betreuungsgeld ja zustimmen können. Ich freue mich, dass da ein gewisses Umdenken unserer Familienministerin zu verzeichnen ist.
Kaess: Wo sehen Sie denn in dem Vorschlag eine Anerkennung des Betreuungsgeldes?
Lehrieder: Nicht des Betreuungsgeldes, der häuslichen Erziehung! Weil, wenn die Eltern für die häusliche Erziehung steuerfinanzierte Unterstützung erhalten sollen, dann geht das in dieselbe Richtung wie das Betreuungsgeld auch. Da sagen wir, jawohl, wenn zuhause erzogen wird, muss das dem Staat auch etwas wert sein. Also, von daher wäre es konsequenter gewesen, wenn Frau Schwesig das dann auch tatsächlich beim Betreuungsgeld hätte so geäußert.
Kaess: Das Elterngeld Plus, Sie haben es schon erklärt, ist im Koalitionsvertrag festgehalten. Also, Eltern, die wieder Teilzeit in den Job einsteigen, bekommen mehr Zuschuss zum Gehalt. Welchen Effekt, glauben Sie, wird das denn letztendlich haben? Die familienpolitischen Leistungen der letzten Jahre haben ja gar nichts gebracht!
Lehrieder: Das kann man so nicht sagen. Ich glaube schon, dass die familienpolitischen Leistungen eben einiges gebracht haben, wir haben zumindest eine konstante Geburtenquote von 1,41 Kindern pro Frau etwa derzeit. Der große Sprung nach oben wird nicht am Geld liegen, sondern die Menschen brauchen eben ein familienfreundliches Lebensumfeld. Da gehört mehr als nur das Geld dazu. Und wir haben sehr viele familienspezifische Leistungen eben in Deutschland, die den Familien zugute kommen. Und mit dem Elterngeld Plus wollen wir den Partnerschaftsbonus in Höhe von zehn Prozent des Elterngeldes einführen, der dann, wenn die Eltern beide parallel in Teilzeit arbeiten wollen, 25 bis 30 Wochenstunden arbeiten wollen, dann eben entsprechend gewährt wird. Das geht da in die ähnliche Richtung. Aber einen Rechtsanspruch wird es …
Neuer Koalitionskrach?
Kaess: Entschuldigung, was ist mit Vollzeit arbeitenden Eltern, warum wird das nicht honoriert?
Lehrieder: Vollzeit arbeitende Eltern … Elterngeld ist ja gedacht als Lohnersatz, Lohnausgleich, ähnlich wie die steuerfinanzierte Reduzierung der Arbeitszeit von Frau Schwesig. Das ist ja etwas, was tatsächlich entsprechend den Wegfall von ansonsten bestehenden Erwerbseinkommen absichern soll. Und Vollzeit tätige Eltern haben ja keinen Lohnverlust, haben ja keinen Einkommensverlust.
Kaess: Herr Lehrieder, wenn ich Sie recht verstehe, so wie Sie jetzt im Interview argumentiert haben, ist der Vorschlag von Frau Schwesig nicht im Sinne der Großen Koalition, sondern eher ein SPD-Alleingang. Steht da der nächste Koalitionskrach ins Haus?
Lehrieder: Ach nein, Krach nicht. Man muss immer … Ich habe es eingangs bereits gesagt: Jeder Vorschlag, der jungen Familien hilft, ist konstruktiv zu diskutieren. Ich möchte ihn auch nicht pauschal vom Tisch wischen. Aber ich sehe momentan die Risiken und Nebenwirkungen größer als das, was eben hier für die Familien dabei herausspringen könnte.
Kaess: Sagt der CSU-Sozialpolitiker Paul Lehrieder. Danke für das Gespräch heute Mittag!
Lehrieder: Gut, danke schön!
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