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325. Todestag der Madame de Sévigné
Brief-Korrespondenz als Weltliteratur

Die mehr als tausend Briefe der Madame der Sévigné eröffnen ungeahnte Einblicke in das Leben einer adligen Dame am Hof von Ludwig XIV. Bald nach ihrem Tod am 17. April 1696 wurde ihre stilprägende Korrespondenz veröffentlicht - und gehört längst zum Kanon der französischen Literatur.

Von Maike Albath |
    Ein Farbgemälde aus dem 17. Jahrhundert zeigt eine Frau mit Putten-gleich geschminktem Mund in einem blauen Kleid mit offenem Dekollete, dicker Perlenkette und großer, schwarzer Schmetterlingsbrosche
    Die hochgebildete, französische Lettristin Madame de Sévigné auf einem Porträt Claude Lefebvres von 1665 (picture alliance / united archives )
    "Wenn Sie in Ihrer Konversation lebhafter werden, entfaltet all das, was Sie sagen, einen so großen Reiz, dass Ihre Worte Lachen und Anmut anziehen, und das Funkeln Ihres Geistes Ihrem Gesicht und Ihren Augen einen Glanz verleiht, der, obwohl der Geist doch eigentlich nur das Gehör berührt, zweifellos auch den Blick blendet."

    So porträtierte Madame de Lafayette 1659 ihre verehrte Freundin Madame de Sévigné. Ihre faszinierende Wirkung verdankte die Marquise vor allem ihrem Esprit, der auch mit ihrer Herkunft zusammenhing. Denn Schlagfertigkeit war ein hohes Gut in ihrer Familie

    Marquis de Sévigné verprasste ihr Vermögen

    Marie de Sévigné wurde im Februar 1626 als Tochter des alteingesessenen Adelsgeschlechts Rabutin geboren, das für seinen treffenden Witz so berühmt war, dass der Name als Genrebezeichnung galt. Eine "Rabitunade" war ein geistreiches Buch voller Spott. Früh verwaist, wuchs das Mädchen in der Obhut ihrer Großeltern in Paris auf, bis sie zu einem Onkel kam. Dort lernte Marie, sich im Tanzsaal und auf dem Pferd zu bewähren, aber sie erhielt auch eine umfassende literarische Bildung. Mit 18 wurde die blond gelockte junge Frau, inzwischen eine reiche Erbin, mit Marquis Henri de Sévigné verheiratet.

    Mittelpunkt der Pariser Gesellschaft

    Sie bekam eine Tochter und einen Sohn. Der Marquis verprasste unterdessen das Vermögen seiner Frau mit diversen Geliebten, duellierte sich 1651 und fand prompt den Tod. Madame de Sévigné geriet in Schwierigkeiten, weil sie unter dem Schutz von Kardinal Gondi stand, der in die "Fronde", die Aufstände gegen den Minister Mazarin, involviert war. Sie musste Paris verlassen, kehrte aber zwei Jahre später zurück, genoss ihre Unabhängigkeit und wurde zum glänzenden Mittelpunkt der Gesellschaft:
    "Sie sind von Natur aus die liebenswerteste und höflichste Person der Welt. Alles, was Sie tun, vermittelt den Eindruck von Spontaneität und Sanftheit, und auf Ihren Lippen werden aus den einfachsten Komplimenten, die uns die gute Erziehung gebietet, Freundschaftsbekundungen."
    Madame de Maintenon - Die heimliche Fädenzieherin Ludwig XIV.
    Sie war als "Gouvernante Frankreichs" verschrien und galt unter Zeitgenossen als heimliche Fädenzieherin: Madame de Maintenon, zuerst die Mätresse und später die inoffizielle Ehefrau Ludwig XIV. Sie hielt es am längsten mit dem sprunghaften Sonnenkönig aus.
    Zu ihren Bewunderern gehörten Madeleine de Scudéry und der Finanzminister Nicolas Fouqué. 1662 erhielt sie Zutritt zum Hofe, und schon damals war sie für ihre Briefe berühmt. Als 1669 ihre geliebte und bewunderte Tochter mit dem Grafen François de Grignan verheiratet wurde und zwei Jahre später zu Madame de Sévignés Entsetzen nach Aix-en-Provence umzog, nahm sie eine regelmäßige Korrespondenz mit ihr auf.
    "Mittwoch, 4. März 1671
    Ach, meine Liebe, Gute, welch ein Brief! Welch eine Schilderung der Lage, in die Sie geraten sind! Und Monsieur de Grignan lässt Sie die Ruder führen, und wenn Sie tollkühn sind, gefällt es ihm, Sie noch zu überbieten; anstatt zu warten, bis das Unwetter vorüber ist, wagt er es, Sie dem Sturm auszusetzen! Diese Rhone, vor der alle Leute Angst haben!"

    Auch Wetter, Klatsch und Tratsch

    Sogar über die Wetterverhältnisse und Reisegewohnheiten erlauben die Briefe Aufschluss. Aber auch Tratsch und Klatsch, Eheschließungen, politische und private Verwicklungen und der Gemütszustand der Verfasserin flossen mit ein. Zwei bis drei Mal pro Woche griff Madame de Sévigné zur Feder.
    "Freitag, 6. November 1676
    Monsieur de Langlée hat Madame de Montespan ein Kleid aus lauter Gold geschenkt, flach mit Gold bestickt, dies mit Gold umrändert, dann noch gekräuseltes Gold und mit zweierlei Goldfarben durchwirkt, was alles vereint den herrlichsten Stoff ergibt, der je geschaffen worden ist. Die Feen müssen ihn insgeheim gewoben haben."
    Porträt von Jean-Baptiste Colbert, Marquis de Seignelay (1651-1690). Der Künstler ist  Jean-Marc Nattier (1685-1766)
    Jean-Baptiste Colbert - die Geldmaschine des Königs
    Seit Ludwig XIV. 1661 zum absolutistisch herrschenden Monarchen aufgestiegen war, konnte er sich auf einen Mann an seiner Seite verlassen: Jean-Baptiste Colbert. Für die Finanzierung von Kriegen und den aufwendigen Lebensstil seines egozentrischen Herrschers erschloss er zahlreiche Geldquellen.

    Für viele Schriftsteller prägend

    Am 17. April 1696 starb Madame de Sévigné auf Schloss Grignan bei ihrer Tochter. Nach ihrem Tod kürzten und glätteten die ersten Herausgeber ihre Korrespondenz. Auch ihre Enkelin ließ für eine Ausgabe von 1734 allzu private Details tilgen und vernichtete die Originale sowie die Antworten ihrer Mutter. Doch in den folgenden Jahren fand man in anderen Nachlässen Abschriften, die näher an den ursprünglichen Schreiben waren. Es kam zu zahlreichen Editionen.
    Die 1.120 erhaltenen Briefe wurden für Generationen französischer Schriftsteller prägend. Marcel Proust erhob Madame de Sévignés absichtslose Leichtigkeit und ihren eleganten Satzbau zum Stilbild