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35 Jahre Solidarnosc
Wegbereiter für ein freies Osteuropa

Aus Protest gegen die Erhöhung der Fleischpreise begannen polnische Arbeiter im 1980 mit Streiks. Die Allianz aus Arbeitern und Intellektuellen konnte das Regime nach kurzer Zeit zu weitgehenden Zugeständnissen bewegen: Am 31. August unterzeichnete Arbeiterführer Lech Walesa mit Regierungsvertretern den Grundstein für unabhängige, sich selbst verwaltende Gewerkschaften.

Von Henryk Jarczyk |
    13. Dezember 1981 – der polnische Alptraum ist Realität geworden. General Wojciech Jaruzelski, Oberbefehlshaber der Armee, verfügt das Kriegsrecht. Überall im Land stehen Panzer auf den Straßen. Die Grundrechte werden massiv eingeschränkt, es herrscht Ausgangssperre. In den folgenden Tagen werden Regimekritiker massenweise verhaftet und in Internierungslager gesteckt. Darunter auch der Danziger Werftelektriker Lech Walesa. Der Staat müsse vor einem Desaster bewahrt werden, argumentieren die Machthaber. Eine Argumentation, sagt Jerzy Wenderlich, Sejm-Abgeordneter der Demokratischen Linken, die vielen bis heute nachvollziehbar erscheine:
    "Das Kriegsrecht war ein Übel. Aber ein großer Teil der Polen will das Übel stets mit einem Adjektiv versehen und sagt, das sei ein kleineres Übel gewesen. Polen sei damit verschont worden, vor einem Eingriff der Sowjetunion und vor Blutvergießen, in einem polnisch-polnischen Krieg."
    Dabei hatte alles so verheißungsvoll begonnen. Nur 16 Monate zuvor – im August 1980 - gelang es den streikenden Arbeitern im ganzen Land, das Regime zu weitgehenden Zugeständnissen zu bewegen.
    "Wir haben endlich unabhängige, sich selbst verwaltende Gewerkschaften. Wir haben das Recht zu streiken. Und die nächsten Rechte werden wir schon bald festlegen."
    Was niemand für möglich gehalten hatte, war nach einem rund drei Wochen langen landesweiten Arbeitskampf endlich erreicht: Der 31. August 1980 geht in die Geschichte ein. Um Punkt 17 Uhr unterzeichnet Arbeiterführer Lech Walesa mit Regierungsvertretern ein bis dahin in einem Ostblockstaat einmaliges Abkommen.
    Binnen kürzester Frist steigt die Mitgliederzahl von Solidarnosc auf knapp zehn Millionen. Dazu zählen – was von großer Bedeutung ist – nicht nur Arbeiter und Angestellte, sondern auch Intellektuelle. Sie sind die eigentlichen Lenker einer Bewegung, die für das kommunistische Regime zum ernsthaften Problem wird. Denn im Unterschied zu den Streiks der 60 und 70er- Jahre, als es den Arbeitern nahezu ausschließlich um ihre Löhne ging, richten sich die Proteste jetzt gegen das bestehende politische System. Die Parteiführung mit Wojciech Jaruzelski an der Spitze reagiert zunehmend nervös.
    "Es ist die Stunde einer harten Probe gekommen. Wir müssen dieser harten Probe standhalten. Noch ist Polen nicht verloren – solange wir leben!"
    Solidarnosc organisierte den "zivilen Ungehorsam"
    Der im Dezember 1981 eingeführte Ausnahmezustand dauert knapp zwei Jahre. Es ist das wohl dunkelste Kapitel polnischer Geschichte unter den Kommunisten. Mehr als 10.000 Menschen werden interniert, etliche systematisch gefoltert. Es gibt auch Todesopfer. Doch Solidarnosc lässt sich nicht einschüchtern. Sie organisiert Streiks, Straßenproteste - kurz die gesamte Bandbreite des zivilen Ungehorsams.
    Auch die 2. Pilgerreise von Papst Johannes Paul den II im Juni 1983 setzt Warschau politisch unter Druck. Unmittelbar nach der Papstvisite wird das Kriegsrecht aufgehoben. Das System bröckelt zunehmend. Es kommt zu Verhandlungen am runden Tisch und den ersten demokratischen Wahlen im Nachkriegspolen.
    Lech Walesa wird Präsident, Solidarnosc-Mitglieder übernehmen die Regierung. Ein historisches Ereignis von weltweiter Bedeutung, sagt der ehemalige polnische Präsident, Bronislaw Komorowski:
    "Der Kommunismus brach zuerst in Polen zusammen. Danach ist der Völkerherbst wie ein Gewitter durch ganz Mittel- und Osteuropa gezogen. Wir werden immer stolz darauf sein, dass dieser Völkerherbst in Polen begann."
    Heute verfügt Solidarnosc über nur noch wenige Mitglieder, spielt in der Politik kaum eine Rolle und hat vor allem Symbolcharakter. Doch die immensen positiven Folgen der Bewegung sind 35 Jahre danach nicht zu verkennen. Sowohl in Polen als auch im benachbarten Ausland.