Ende der 1970er-Jahre saß der Schock über die erste Ölpreiskrise noch tief. Deshalb wollte sich die Bundesregierung unabhängiger machen von Importen und suchte nach eigenen Rohstoffquellen. Das ewige Eis der Antarktis, unter dem gewaltige Bodenschätze vermutet wurden, klang da sehr verlockend. Aber über die Antarktis konnten nur die zwölf Nationen verfügen, die Mitglied des Antarktisvertrages waren, erinnert sich Gotthilf Hempel.
"Um in diesen Klub hineinzukommen, musste man Mitglied des Konsultativrates werden. Und dazu bedurfte es der Gründung einer Antarktisstation, einer Überwinterungsstation. Die Bundesrepublik beschloss also, eine solche Station dort zu bauen. Um eine solche Station dann aber zu betreiben, brauchte man ein Versorgungsschiff. Und um ein Versorgungsschiff und eine Station zu betreiben, musste man ein Logistikzentrum aufbauen. Dieses Logistikzentrum sollte ein Institut sein."
Und für dieses Institut brauchte es einen Standort. Wissenschaftler wie der erste Institutsleiter Gotthilf Hempel sprachen sich für Kiel aus, wo damals schon viel Polarforschung stattfand. Die Politik aber, allen voran Bundeskanzler Helmut Schmidt, entschied sich für das vom Niedergang der Fischerei, von Werftenschließungen und hoher Arbeitslosigkeit gebeutelte Bremerhaven.
Umweltforschung statt Rohstoffsuche
Am 15. Juli 1980 wurde das Alfred-Wegener-Institut für Polarforschung dann gegründet – benannt nach einem der ersten deutschen Polarforscher und Entdecker der Plattentektonik. Anfangs bestand das Institut nur aus einer Handvoll Mitarbeiter. Sie koordinierten die Forschungsarbeiten der Antarktisstation sowie Expeditionen mit dem Versorgungsschiff in die abgelegensten Regionen des Planeten.
In den ersten Jahren konzentrierte sich die Arbeit auf das Südpolarmeer, denn den Arktischen Ozean hatten die Sowjetunion und die USA während des Kalten Krieges quasi zur Sperrzone erklärt – unerreichbar für zivile Forschung. In der Antarktis konnten die Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts dagegen frei entscheiden, was sie erforschen wollten. Die Rohstoffsuche geriet dabei sehr schnell in den Hintergrund, erinnert sich der Polarforscher Heinrich Miller, der Mitte der 1980er-Jahre nach Bremerhaven kam.
"In diesen Jahren wurde auch klar, dass eben die mineralischen Ressourcen, also die Rohstoffe aus der Antarktis eigentlich nicht wirklich förderbar sind. Und wenn, dann nur unter so enorm hohen Umweltauflagen, dass es sich einfach nicht lohnt, und das ist auch heute noch so."
Stattdessen gerieten die Umweltforschung und der Klimawandel in den Fokus des Alfred-Wegener-Instituts. Denn im Laufe der Jahre wurde immer deutlicher, dass die Polargebiete eine zentrale Rolle im Klimageschehen der Erde spielen.
Heute ist das Institut neben der Polar- auch für die Meeresforschung zuständig und hat über tausend Mitarbeiter an vier verschiedenen Standorten: in Bremerhaven und Potsdam sowie auf Sylt und Helgoland – und immer wieder auf seinem Schiff.
"Es war ein Glücksgriff, muss man heute im Nachhinein sagen, dass die Bundesregierung damals nicht geknausert hat, sondern einen ordentlichen Forschungseisbrecher, nämlich die ‚Polarstern‘ in Auftrag gegeben hat. Und dieses Schiff hat es auch sozusagen möglich gemacht, dass die deutsche Polarforschung innerhalb kurzer Zeit ein sehr hohes internationales Ansehen gewonnen hat. Es ist nach wie vor der beste Forschungseisbrecher, den es weltweit gibt. Und der ist 310 Tage im Jahr auf See. Und kann in Regionen kommen, wo vorher kein Schiff mehr oder weniger Forschungsarbeit leisten konnte."
Arktisexpedition zu Klimawandel
Genau dort ist er auch jetzt. Seit fast einem Jahr treibt die Polarstern mit dem Meereis über den Arktischen Ozean – im Rahmen der größten Arktisexpedition aller Zeiten. Noch nie zuvor haben Forschende einen ganzen Winter lang rund um den Nordpol Messdaten aus dem Eis, dem Ozean darunter und der Atmosphäre sammeln können. Der Atmosphärenphysiker Markus Rex leitet die MOSAiC-Expedition.
"Die Arktis ist ja der Bereich unseres Planeten, der sich am schnellsten erwärmt, die Erwärmung ist hier mindestens doppelt so groß wie im Rest der Welt und im Winter ist sie sogar noch deutlich größer als das, und gleichzeitig ist sie die Region unserer Erde, in der wir das Klimasystem am schlechtesten verstehen."
Das soll sich durch die aktuelle Expedition des Alfred-Wegener-Instituts ändern. Die hier gewonnenen Daten können genauere Vorhersagen über den Wandel des Klimas ermöglichen und dazu beitragen, das Leben auf den ehemals weißen Flecken der Erde besser zu verstehen.