Von wegen! Verschandelt haben sie den schönen Fluss in Bonn, vor 40 Jahren, als neben Palais Schaumburg und Villa Hammerschmidt eine riesige Sparkasse eröffnet wird. Helmut Schmidt:
"Mich hat das eigentlich mehr an eine rheinische Giro-Zentrale erinnert!"
Einziehen muss im Juli 1976 der Hanseat von der Elbe. Widerwillig! Helmut Schmidt fremdelt mit dem Protzbau.
"Ich will hier nicht verhehlen, dass mir dieses Bundeskanzleramt eine zu dominierende Rolle einnimmt gegenüber dem Bundestag, der sich dahinter fast verstecken muss!"
"Die Innenausstattung der neuen Zentrale des Bonner Staates ist weit schöner als die dunkelbraune Versicherungspalast-Architektur von außen!" (Reportage-Ausschnitt 1976)
"Früher hieß er NATO-Saal, heute heißt er Nelson-Mandela-Saal."
Behaglichkeit von innen, Dorothee Fiedler empfindet das bis heute so. Die Dame mit den weißen Haaren arbeitet hier, gerät ins Schwärmen - ganz anders als Helmut Schmidt.
"Wenn Sie in dem Gebäude drin sind, dann ist es einfach reizvoll!"
"Ja, er hat das die rheinische Sparkasse genannt, und ich muss Ihnen ehrlich sagen, als ich gehört habe, wir sollen da reinziehen, hatte ich das natürlich auch sofort im Kopf. Aber ich finde, wenn Sie in dem Gebäude drin sind, dann ist es einfach reizvoll!"
Seit dem Regierungsumzug sitzt das Entwicklungsministerium im alten Kanzleramt. Und Dorothee Fiedler ist die Hausherrin, zumindest solange ihr Chef Entwicklungsminister Gerd Müller ist, am zweiten Dienstsitz in Berlin. Gut 500 seiner knapp 1000 Mitarbeiter arbeiten heute dort, wo einst Schmidt, Kohl und Schröder regierten.
Entwicklungsminister Gerd Müller: "Das Kanzleramt steht für Geschichte in Bonn, und diese Geschichte muss dokumentiert werden."
Der Hauch der Geschichte umweht Gerd Müller von Anfang an. Beim ersten Betreten des alten Kabinettssaales schiebt er den leicht erhöhten braunen Kanzler-Sessel mit dem abgewetzten Lederbezug erst einmal zur Seite. Das muss doch erhalten werden! Kurz vor seinem Tod besucht der CSU-Minister den Mann, der dort so häufig Platz genommen hat, Helmut Schmidt:
"Ich habe ihm gesagt, wenn ich in Hamburg geboren worden wäre, wäre ich vermutlich Mitglied der SPD geworden, was er mit Lächeln zur Kenntnis genommen hat. Wir haben gemeinsam nicht eine, sondern mehrere geraucht. Wir werden ihm ein Andenken bewahren hier, das zeigt, wer er war: Ein großer deutscher Bundeskanzler!"
Atombunker für knapp 100 Mitarbeiter des Kanzleramtes
"Was wir jetzt sehen, ist noch einmal sehr speziell Kalter Krieg!"
Bevor sie Einblick in Kabinettssaal und Kabinettssaal gewährt, geht es mit Dorothee Fiedler ganz tief runter, zurück in eisige Zeiten des Kalten Krieges. Im Kanzleramtskeller öffnet sich die Tür zu einem winzigen Atombunker. Weiße Plastiksitze, mit Spinnweben überzogene Kopfstützen, ein paar Pritschen, Essenspakete - hier sollten knapp 100 Mitarbeiter des Kanzleramtes einen Atomschlag überleben.
"Eine Hälfte durfte sitzen, die andere Hälfte durfte liegen. Wir haben noch einen wunderbaren Zettel da vorne hängen, das ist von 1992. Bevorratung mit Einmann-Packungen."
"Dieser Teppich ist ein Geschenk von Breschnew an Helmut Schmidt."
Nein, der Teppich des Sowjet-Führers lag nie im Atombunker, sondern ganz oben im Allerheiligsten, dem ehemaligen Kanzlerbüro.
"Wenn man jetzt hier auf den Schreibtisch guckt, dann sieht man natürlich die Pfeife, man sieht ein Buddelschiff von Helmut Schmidt."
Judith Kruse und Peter Hoffmann vom Bonner Haus der Geschichte führen durch den alten Kanzlerarbeitsplatz. Wer die Schublade aufzieht, findet – natürlich – Menthol-Zigaretten und Schnupftabak. Die Historikerin hat recherchiert, seine Figuren stehen da, wo sie im Terror Herbst 1977 schon stumme Zeugen wichtiger Entscheidungen wurden.
"Elefanten, Nilpferd und so, das kann man auf Fotos eindeutig wiedererkennen. Ebenso wie die Bilder, die hier in der sogenannten Kitsch-Ecke hängen, hat Helmut Schmidt auch mal so genannt."
Und so sieht auch diese Ecke aus, wie sie Helmut Schmidt 1982 verlassen hat: Eine Urkunde, Orden, Widmungen – "meinem langjährigen Koalitionspartner", hat Walter Scheel unter sein Konterfei gekritzelt. 'Allzu viel Gestaltungsmöglichkeiten wurden mir ja nicht gelassen.' Hat Schmidt kurz nach seinem Sturz schmunzelnd verraten.
"Kunst war nicht vorgesehen. Im Gegenteil: Es wurde mir bedeutet, der Raum sei außen wie innen architektonisch voll durchgegliedert und jeder Zusatz sei überflüssig. Und das hieß zwischen den Zeilen: Durch das Aufhängen von Bildern könne man hier nur noch was verderben!"
Mit der Bonner Architektur hatten die Chefs so ihre Probleme
Nein, mit der Bonner Architektur hatten die Chefs so ihre Probleme, auch mit dem Bungalow im Park gleich nebenan, haben sie gefremdelt.
Helmut Kohl: "Ein absurdes Bauwerk im Sinne einer Wohnung des Bundeskanzlers!"
Hat Helmut Kohl einst gebeichtet. Wann immer es ging, fuhr er zum Wohnen nach Oggersheim. Dass die Geschmäcker unterschiedlich sind, zeigt sich auch im Büro. Schmidt brauchte Kunst zur Entspannung, Kohl seine Fische, FAZ-Korrespondent Günther Bannas weiß noch genau, wo sein legendäres Aquarium stand:
"Wenn man von dem Vorzimmer reinkam halb rechts, wie so eine Art Raumteiler."
Kollege Dieter Wonka, Korrespondent der Leipziger Volkszeitung, fällt beim Kanzlerrundgang eine ganz andere Geschichte ein.
"Bei Helmut Kohl hier in diesem Kanzleramt habe ich 'ne kritische Frage gestellt. Kohl hat grummelig geguckt und natürlich nicht geantwortet und hat hinterher seinem Ackermann gesagt: Den Wonka lädst Du nicht mehr ein! – So war das, wenn man bei Hofe gegen die Sitten verstoßen hat."
Seit 1979 steht die Henry Moore Skulptur vor der Tür
Schön war es nicht bei Hofe. Helmut Schmidt jedenfalls holte die Kunst am Ende zumindest vor die Tür. Erst seit 1979 steht auf grünem Rasen die goldene Henry Moore Skulptur, die zum Symbol der Bonner Republik werden sollte. Zuvor war der Hof einfach asphaltiert.
"Das Schlimmste haben die Meisten nicht gesehen. Das war diese Mischung von Heldengrab und Westwall-Hindernis, der Vorplatz nämlich. Unvorstellbare Fehlleistung! Wir haben das dann nach ein paar Jahren wechgemacht."
Wechgemacht haben sich alle 1999. Und Helmut Kohl gab an der Spree ein Kanzleramt in Auftrag, gegen das die Zentrale am Rhein kaum mehr war als eine kleine Sparkassenfiliale.
"Ach, es war schon schön. Aber es ist auch gut, dass es vorbei ist. Diese Rheinische Republik!"