"The Artists are the foreground. The Label is just a process to help them to release their records."
Die Künstler stehen im Vordergrund. Das Label sei nur das Medium, ihre Platten zu veröffentlichen. Meint Daniel Miller, Chef und Gründer des britischen Independent-Label "Mute Records". Der heute 66-Jährige mit der markanten, eckig-schwarzen Brille pflegt britisches Understatement. Mit seiner Plattenfirma hat der Engländer Talente entdeckt und gefördert, die mit dem Label im Rücken Weltstars wurden. Wie Depeche Mode.
Vom Nichtmusiker zum Labelgründer
Eigentlich hatte Miller selbst Ambitionen zum Musiker. Seine eingeschränkten Fähigkeiten als Gitarrist frustrierten ihn jedoch. Rockmusik in den 70er Jahren war pompös, virtuos, aufgemotzt. Punkrock zum Ende der Dekade – eine Befreiung.
Nicht musikalische Fertigkeiten waren gefragt, sondern Energie und Mut zum Dilettantismus. Mit den ersten erschwinglichen elektronischen Instrumenten ergaben sich dann nochmal ganz neue Möglichkeiten. Daniel Miller:
"Einer der Gründe, warum ich meine erste Single rausbringen wollte: Ich hielt elektronische Musik für die Zukunft der Musik. Tatsächlich fand ich, dass das noch mehr Punk war als Punkrock selbst - denn es war einfacher zu machen. Du musstest keine Akkorde lernen. Du konntest ein absoluter Nicht-Musiker sein und trotzdem Musik mit Hilfe von Elektronik kreieren. Ich habe die Single gemacht, weil ich hoffte, Leute würden sie hören und auf diesem Weg weitergehen."
Unter dem Namen "The Normal" veröffentlichte Miller 1978 den Song "Warm Letherette" und musste dafür glatt ein eigenes Label gründen. Mute war geboren.
Künstler als Partner, nicht als Produkt
Und bald kamen andere Bands dazu: Die Deutsch Amerikanische Freundschaft zum Beispiel, kurz DAF:
"Als ich mit DAF gearbeitet habe, war ich pleite. Zu dem Zeitpunkt lebte ich bei meiner Mutter und DAF haben dort auch auf dem Boden geschlafen. Als ich meine erste Single machte, hatte ich tagsüber immer noch einen regulären Job. Ich sparte mein Geld, um die erste Single rauszubringen, und die lief dann ziemlich gut. Aber es war alles von der Hand in den Mund, die Singles hielten das Label gerade so über Wasser. Ich war allein, außer mir hat niemand sonst dort gearbeitet."
Er mag zwar pleite gewesen sein - aber einen guten Riecher hatte Daniel Miller. Das hat er in seiner fast 40-jährigen Labelgeschichte immer wieder unter Beweis gestellt.
Zum Beispiel, als er die jungen, vollkommen unbekannten Depeche Mode unter Vertrag nahm. Mit dem Durchbruch der Band kam 1990 endlich Geld rein, von dem auch Mute profitierte. 50 Prozent für die Band, 50 Prozent für das Label. Künstler wurden nicht als Produkt gesehen, sondern als Partner, im Kreativen wie Geschäftlichen. Vielleicht das Geheimnis von Mute, warum Künstler wie Depeche Mode 30 Jahre blieben.
"In der einen Minute ein Reinfall, in der nächsten ein Genie"
Neben elektronischer Musik von Depeche Mode, Erasure & Co. war Mute aber auch offen für andere Stile. Zum Beispiel für Rockmusik von Nick Cave and The Bad Seeds und Industrial-Noise von den Einstürzenden Neubauten. Ende der 90er Jahren kam dann jedoch eine Flaute für das Label. Die Gitarren des Britpop regierten die Musikszene. Mute entschied sich, zu einem guten Deal zu verkaufen. Trotz der Erfolge war das jedoch kein Selbstgänger zu der Zeit.
"Leute sagten über Mute: "Ja, nicht schlecht, Depeche Mode und so, das ist unglaublich, aber die Luft scheint raus zu sein. Keine neuen Erfolge mehr. Aber dann brachte Moby das Album "Play" raus, ein Riesenerfolg. Bis heute unser meistverkauftes Album. Jeder sah Mute nun anders, was absurd war. In der einen Minuten bist Du ein Reinfall, in der nächsten ein Genie. Genauso funktioniert das Musikgeschäft."
Daniel Miller führt heute wieder ein eigenständiges Plattenlabel unter dem Namen "Mute Artists Ltd." Mit dem Verkauf an EMI hat er jedoch die Rechte am Backkatalog von Mute verloren. Alte Weggefährten wie Vince Clark und Erasure veröffentlichen jedoch nach wie vor bei ihm. Außerdem streckt Miller seine Fühler nach neuen, interessanten Künstlern aus. Wenn man ihn fragt, wofür sein Label steht? Dann antwortet Daniel Miller als Gentleman und Überzeugungstäter, der seinen Idealen treu geblieben ist.
"We stand for trying to put out the music we love. Music we love by people we can have a creative relation ship to. That's pretty much it."