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40 Jahre Radio Dreyeckland
Vom Rucksack aus in den Äther

Bis Ende der 1980er-Jahre waren Piratensender in der Bundesrepublik noch weit verbreitet. Erst nach und nach wurden sie als alternative Sender und Bürgerradios zugelassen. Radio Dreyeckland aus Freiburg ist der älteste noch bestehende Sender.

Von Philipp Schnee |
    Das Logo von "Radio Dreyeckland" ist in Freiburg (Baden-Württemberg) an einer Tür zu sehen. Der Sender in Freiburg, der aus der badischen und elsässischen Anti-Atomkraft-Bewegung der 1970er Jahre entstanden ist, ist das älteste freie Radio Deutschlands. Er funkte in den ersten elf Jahren illegal als Piratensender. Vor 25 Jahren, im Juli 1988, erhielt er eine Sendelizenz. Er wurde damit als erstes freie Radio in Deutschland legalisiert.
    Das Logo von "Radio Dreyeckland" ist in Freiburg (Baden-Württemberg) an einer Tür zu sehen. (picture alliance / dpa / Patrick Seeger)
    "Piratensender, wenn man sich das vorstellt: Man hat ja kein festes Studio, keinen Sendeturm, keine feste Adresse, man hat nur eine feste UKW-Frequenz.Und man hat 'ne feste Sendezeit, das war über mehrere Jahre immer Freitagabend um dreiviertel Acht."
    Michael Karthäuser war früh dabei, als Radiomachen noch illegal war.
    "Hier Radio Verte Fessenheim zwischen 100 und 104 Megahertz 101,4 Megahertz"
    Besetzter Strommast als Sendestandort
    Radio Verte Fessenheim, wie Radio Dreyeckland zunächst hieß, entstand aus der Anti-Atomkraftbewegung in Südbaden, grenzüberschreitend auf Schweizer, französischer und deutscher Seite wurde protestiert, grenzüberschreitend gesendet, mehrsprachig auf Französisch, Deutsch, Elsässisch und Alemannisch:
    Die erste Sendung am 4. Juni 1977, 12 Minuten lang, von einem besetzten Strommasten.
    "Jeder hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Wir von Radio Verte Fessenheim nehmen dieses Recht wahr, indem wir senden."
    Produziert wurden die Sendungen mit ein paar Mikrofonen, Plattenspieler und Kassettenrekorder in WG-Küchen, am Ende stand jeweils eine "Sendekassette", mit Sendungen nicht länger als 15 Minuten.
    "Die 12. Sendung direkt aus dem Kaiserstuhl. Und gleich ein wichtiger Anlass. Beim Austausch der Brennelemente im Kernreaktor Fessenheim ereigneten sich mehrere Unfälle."
    Gesendet wurden diese Kassetten, mit Hilfe eines Rucksacksenders, erzählt Michael Karthäuser.
    "Das Sendeteam ist in der Regel auf einen höhergelegenen Berg im Schwarzwald oder im Kaiserstuhl gewandert. Und wenn man dann oben war und hatte den freien Blick über das Rheintal und Freiburg, dann konnte man sicher sein, das ist ein guter Sendestandort. Und wir hatten über ein Dutzend solcher Sendestandorte, die abwechselnd benutzt wurden. Und man kannte auch das Risiko, man musste auf der Hut sein."
    Erstes Studio im Elsass
    Öffentliche Meinung übers Radio war ein Katz und Maus Spiel mit Post, Polizei und Behörden. Peilwagen der Post versuchten die Sendestandorte ausfindig zu machen. 1981 verbesserten sich die Bedingungen. In Frankreich durften nun freie Radios Studios betreiben. Die Freiburger Radiomacher sendeten von einem Studio im französischen Elsass über den Rhein nach Deutschland. Radio Dreyeckland wurde vom Anti-AKW-Sender zu einem Sender der linksalternativen Szene in Freiburg. 1985 kündigen die Radiomacher an, aus Deutschland zu senden. Auch, wenn das hier weiterhin illegal war.
    "Hier ist das zweite Studio von Radio Dreyeckland. Wir senden weiter auf 101,7 Megahertz. Die Frequenz haben wir noch, obwohl wir nicht wissen, was sich abspielt in der Grether-Fabrik im Hauptstudio. Ich höre jetzt gerade das Telefon."
    "Ich muss darüber berichten, dass ein großer Polizeieinsatz hier stattfindet bei Studio 1 auf dem Grethergelände. Wir versuchen weiter den Sender zu schützen..."
    Offizielle Sendelizenz seit 1988
    Nach Jahren von Versteckspielchen, Polizei-Razzien und Gegenprotesten bekam der Sender 1988 eine offizielle Sendelizenz. Seit den 1980er-Jahren war der Rundfunk in Deutschland liberalisiert worden. Überall, auch in Freiburg, entstanden neue, kommerzielle Lokalradios. Gegen Sie richtete sich Radio Dreyeckeland vor allem, sagt Michael Menzel, der seit den 1980ern dabei ist. Und sein Radiokollege Andreas Reimann ergänzt:
    "Im Statut von Radio Dreyeckland steht: Es ist ein linkes und alternatives Medium - und das würde ich nach wie vor auch noch so sehen. Wir stehen ganz stark auf Seiten der Zivilgesellschaft und zivilgesellschaftlicher Gruppen und der Subkultur und auch der autonomen Linken. Und das unterscheidet uns strukturell auch nochmal von anderen Medien. Ich würde jetzt aber nicht so einen dichotomischen Block aufbauen und sagen, hier sind wir und da die anderen."
    Der Pressesprecher Andreas Reimann von Radio Dreyeckland hält am 18.07.2013 vor dem Studio von Radio Dreyeckland in Freiburg (Baden-Württemberg) ein Mikrofon in der Hand.
    Der Pressesprecher von Radio Dreyeckland, Andreas Reimann, vor dem Studio des Senders in Freiburg (Baden-Württemberg). (picture alliance / dpa / Patrick Seeger)
    Heute sendet Radio Dreyeckland 24 Stunden am Tag, finanziert aus Mitgliedsbeiträgen, Projektgeldern und einem kleinen Anteil, der den freien Radios aus den Gebührengeldern zusteht. Die meisten Radiomacher arbeiten ehrenamtlich. Wer aktuelle Sendungen macht bekommt eine Aufwandsentschädigung.
    Freies Radio - ein sozialer Ort
    Freies Radio, das heißt heute häufig langatmig, manchmal langweilige Sendungen, aber auch ungehobelter und untergründiger. Radio Dreyeckeland hat fast 50 unterschiedliche Musik-Genres-Sendungen, eine Filmsendung. Schon lange gibt es schwule, lesbische und queere Sendungen:
    "Sie hören Radio Ech, das russische Programm auf Deutsch. Und Radio Ech auf Russisch können Sie jeden Samstag von 13 bis 14 Uhr hören."
    Und mehrsprachig: Seit den 80ern sendet Radio Dreyeckland auch in Nicht-Deutschen Sprachen: türkisch, kurdisch, koreanisch, portugiesisch, russisch - auf fast 20 Sprachen.
    Wie relevant Radio Dreyeckland ist, das ist seit den Anfangstagen umstritten. Wirklich groß war die Hörerschaft nie, zwischen 4000 und 5000 Hörern pro Tag sagen die aktuellen Zahlen, die Frequenz ist schwer zu empfangen. Die Mitgliedszahlen im Unterstützungsverein sind deutlich geschrumpft in den letzten Jahren. Und welche Rolle spielt lineares Radio überhaupt in Zeiten des Internets? Das eigene Programm auch ins Netz zu bringen, hat Radio Dreyeckland schon früh versucht, trotzdem soll das lineare Radio der Kern bleiben, sagt Andreas Reimann:
    "Ja, viel besser als z. B. die vielen Podcaster oder Blogger, die letztlich ziemlich einsam vor sich hin bloggen, ist das freie Radio nach wie vor auch ein sozialer Ort. Man trifft sich, man diskutiert viel. Dadurch ist Radio Dreyeckland auch sehr stark in der Freiburger Stadt verankert. Und ich glaub nicht, das ein reines Internetmedium so eine starke Verankerung haben kann."