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40 Jahre Versuchsschulen
Druckfreies Lernen nur fürs Leben

Schüler sollen nicht nur Mathematik und Deutsch lernen, sondern vor allem: für ihr Leben. Ein dafür adäquates Lernkonzept ohne Druck, Noten und klassischen Unterricht gibt es seit mittlerweile 40 Jahren an zwei Versuchsschulen des Landes Nordrhein-Westfalen.

Von Jacqueline Nienhues |
    In der Dorfschule in Görzig nahe Beeskow schreibt ein Mädchen im Unterricht das Wort "Schule" in ihr Heft.
    Hartmut von Hentig gilt als Vater des Reformprojekts. Der Pädagoge erklärte in einem Interview aus den 70ern, dass sich nicht nur die Lehrinhalte, sondern auch die Lehrer verändern müssten. (ure alliance / dpa)
    Das die Laborschule mit einer klassischen Schule nicht viel zu tun hat, wird schnell klar. Hier lernen mehrere Jahrgänge zusammen in einem großen Raum – deshalb ist es auch viel lauter als in kleinen Klassenräumen. Für die 16-jährige Ronja Müller ist das aber kein Problem.
    "Ich hab auch viele Freunde aus anderen Schulen und krieg dann auch viel mit und ich muss sagen, dass ich schon sehr froh bin hier zu sein."
    Ronja besucht die 10. Klasse und macht im nächsten Jahr ihren Abschluss - im Gegensatz zu ihren Freundinnen auf anderen Schulen verspürt sie keinerlei Leistungsdruck – und das gehört zum Konzept der Schule.
    "Es ist einfach viel freundlicher, die ganze Atmosphäre. Ich glaub das ist auch einfach das Wichtigste hier das die Atmosphäre total offen ist, dass man mit seinen Lehrern wirklich reden kann, wir duzen unsere Lehrer ja auch. Das stellt eine bessere Beziehung zwischen Lehrern und Schülern her... vor allem auch das kein Leistungsdruck ist, das wir bis zur 9. Klasse keine Noten haben. Das fördert halt das Miteinander. Wir haben nicht so das Konkurrenzdenken, wie an anderen Schulen."
    Neue Schulkonzepte seit 1974
    Seit 1974 entwickeln beide Versuchsschulen immer neue Schulkonzepte und probieren sie direkt mit ihren Schülern aus. Dinge anders zu machen, das war und ist bis heute das Ziel, sagt Schulleiter Rainer Devantié:
    "Die Hoffnung war damals glaub ich, dass viele Ideen, die hier existieren sich in anderen Schulen verbreiten. Und jetzt ist es ja so, dass viele Dinge, die man hier sehen kann, Gruppenarbeit, selbstständiges Arbeiten und jahrgangsübergreifenden Unterricht, den gibt es ja auch an anderen Schulen. Und die Primusschule –dieser Schulversuch in NRW, ist ganz deutlich von der Laborschule inspiriert."
    Hartmut von Hentig gilt als Vater des Reformprojekts. Der Pädagoge erklärte in einem Interview aus den 70ern, dass sich nicht nur die Lehrinhalte, sondern auch die Lehrer verändern müssten:
    "Es wäre gerade zu gefährlich, wenn es bedeutete, dass der Lehrer nur noch zum Ausführenden wird, ein perfekter Unterrichtsbeamter. Er würde den Schülern gerade das nicht beibringen können, was die Schüler am meisten brauchen. Eine Vorstellung davon, wie man selbstbestimmt arbeitet und lebt."
    Vor vier Jahren geriet Hartmut von Hentig in die Kritik. Als die Missbrauchsfälle an der Odenwaldschule aufgedeckt wurden, distanzierte er sich nicht schnell genug klar von dem Schulleiter, der sein langjähriger Freund war. Eine Diskussion, mit der auch die Laborschule konfrontiert wurde. Sie untersuchte selbst, ob es in der Vergangenheit Missbrauchsfälle gegeben hat – die soll es aber nicht gegeben haben. Die Schule sei auch kein Internat und habe mit dem Fall der Odenwaldschule nichts zu tun, sagt Schulleiter Rainer Devantiér. Die Laborschule schaut nach vorn, will sich weiter entwickeln und kann noch viel zum bestehenden Schulsystem beitragen, sagt Devantiér:
    "Ich glaube, dass wir im Bereich Inklusion ganz viele Dinge entwickelt haben, die jetzt extrem wichtig werden. Die Laborschule war schon inklusiv als noch niemand diesen Begriff kannte. Und jetzt ist es aber so, dass viele Schulen hierher gucken und schauen, wie macht ihr das eigentlich. Und deshalb glaube ich, dass wir in den nächsten Jahren ganz stark nachgefragt sind. Und deshalb bin ich guter Dinge, dass die Laborschule noch in 40 Jahren gebraucht wird."
    Die Schüler können an der Laborschule den mittleren Schulabschluss machen. Also Real- Hauptschulabschluss oder Fachoberschulreife. Aber auch für künftige Abiturienten gibt es eine Versuchsschule des Landes. Auch das Oberstufenkolleg in Bielefeld feiert heute Geburtstag. Hier können zum Beispiel junge Menschen das Abitur machen, die an einer Regelschule nicht angenommen würden. Auch hier war die Idee für die Schule 1974 eine ganz einfache, sagt Lehrerin Karin Volkwein:
    "Man hat in dieser Zeit tatsächlich gespürt, dass die Bildung sich grundlegend ändern muss. Dass die Bildung dafür da sein muss, dass junge Menschen ihre eigenen Interessen finden und das sie vor allem in einer offenen Atmosphäre lernen. Also es ist eine Kritik der versteckten Pädagogik die auf Drill und auf Disziplinierung aus war und das wollte man anders haben."
    Dass das Konzept beim Land gut ankommt, war nicht immer so
    Und das Konzept kommt beim Land NRW gerade gut an, sagt Lehrerin Karin Volkwein. Das war in den vergangenen 40 Jahren nicht immer so:
    "Wir haben eine ganz große Veränderung erlebt, zu unserer 25-Jahr -Feier. Da hat es kurz so ausgesehen, dass die Schule geschlossen wird. Die Politik war nicht mehr einverstanden mit dem, was wir gemacht haben. Sie haben gesagt, das ist hier so isoliert und wir müssen gucken, was wir neu machen müssen."
    Aber die Schule hat es geschafft und die Oberstufe neu gestaltet - und das wird auch gewürdigt. Zum Beispiel mit dem guten Abschneiden im Pisa Test aber auch mit dem deutschen Schulpreis 2010. Und das macht den Versuchsschulen Mut für die kommenden 40 Jahre.