Weiche Gesichtszüge, eine Fülle blonder Locken, lebhafte Augen und immer eine geistreiche Bemerkung auf den Lippen, so trat Anne de Lenclos, genannt Ninon, ihren Verehrern im Frühjahr 1640 entgegen.
"Schon als junges Mädchen hatte Ninon verstanden, dass ihre einzigen Ressourcen ihre Intelligenz und ihre Schönheit waren. Denn damals konnten Frauen, die weder über eine angemessene Mitgift verfügten, noch aus der aristokratischen Elite stammten, nur zwischen Kloster und Prostitution wählen. Ninon entschied sich für Prostitution auf hohem Niveau."
Die römische Literaturwissenschaftlerin Benedetta Craveri, Verfasserin einer grundlegenden Studie zur französischen Salonkultur.
In der Tradition antiker Hetären
Ninon de Lenclos wurde am 10. November 1620 in Paris geboren und galt als musikalisches Wunderkind. Ihr Vater geriet mit dem Gesetz in Konflikte und floh ins Exil. Die Mutter starb, als Ninon Anfang 20 war. Der Begriff Prostitution klinge zwar brutal ergänzt Benedetta Craveri, aber:
"Ninon war eine hochgebildete Autodidaktin. Sie kannte sämtliche Klassiker, war durch die Philosophie Epikurs geprägt und bezog sich auf die Tradition der antiken Hetären, die mit Aspasia, der Geliebten von Perikles, begann und sich dann in der italienischen Renaissance fortsetzte. Diese Frauen waren äußerst kultivierte Dichterinnen, ihre Salons wurden zu intellektuellen Umschlagplätzen. Für die Vertreter des freien Gedankens, für die Libertins im Wortsinn, war auch Ninon ein zentraler Bezugspunkt."
Offensiv atheistisch
Sie stand offen zu ihrem Atheismus, aber als 1651 während der Fastenzeit ein Priester unter ihrem Küchenfenster entlangspazierte und von einem Hühnerknochen getroffen wurde, musste sie die Untat im Kloster büßen. Königin Christine von Schweden, die von Ninons intellektueller Verve beeindruckt war, erreichte ihre Begnadigung. Und Ninon nahm ihr mondänes Leben wieder auf. Dazu Benedetta Craveri:
"Der Begriff des Salons stammt aus dem 19. Jahrhundert, zu Ninons Zeiten existierte er noch nicht, man sprach stattdessen von ruelle. Die ruelle ist der Platz zwischen Mauer und Alkoven, denn damals empfing man oft im Schlafzimmer."
Inbegriff der "ehrbaren Dame"
Es fanden sich Schriftsteller und Philosophen wie Henri de La Rochefoucauld, Charles Perrault und Jean Racine ein, der Komponist Jean Baptiste Lully, Elisabeth Charlotte von der Pfalz, die Schauspielerin Marie Desmares und Françoise d’Aubigné, die zukünftige Madame de Maintenon. Denn auch die Damen zollten der zweifachen Mutter großen Respekt, selbst die, denen sie die Ehemänner und Söhne abspenstig gemacht hatte. Dazu Benedetta Craveri:
"Ninon war wegen ihrer Konversation berühmt. Eine brillante, spritzige, kluge Konversation. Sie berührte sämtliche Ausprägungen des Menschlichen mit großer Leichtigkeit und unendlichem Scharfsinn. Auch in ihrer sexuellen Libertinage achtete sie immer auf gute Manieren. Deswegen galt sie zu Beginn des 18. Jahrhunderts nicht nur wegen ihres Esprits als beispielhaft, sondern auch wegen ihrer exzellenten Manieren. Sie war die Verkörperung der honnête femme, der ehrbaren Dame."
So Benedetta Craveri weiter. Das Alter brachte gewisse Lasten mit sich, die Ninon gelassen ertrug. Benedetta Craveri stieß auf einen Brief von 1698 an Charles de Saint-Évremond, der im Londoner Exil ausharrte:
"Wie gern würde ich noch einmal mit Ihnen zu Abend essen. Aber ist es nicht vulgär, sich nach einem Abendessen zu sehnen? Der Geist hat dem Körper gegenüber große Vorteile, doch unser Körper kann uns viele kleine Genüsse bereiten, die sich wiederholen und die Seele von ihren traurigen Grübeleien entlasten. Sie, mein Freund, spotteten oft über meine Tätigkeit, jetzt habe ich all das aufgegeben, denn diese Dinge ziemen sich nicht mehr, wenn man am Ende seines Lebens angelangt ist. Man muss sich mit dem Tag zufriedengeben, an dem man lebt. Mir scheint dies eine Lehre, die wir heute auch noch beherzigen können."
Im Oktober 1705 starb Ninon de Lenclos. Ihre geschliffene Ausdrucksweise und ihre Briefe sind bis heute unvergessen.