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Vor 45 Jahren
Spaniens erste freie Wahl nach dem Bürgerkrieg

Am 15. Juni 1977 fanden in Spanien erstmals seit 1936 wieder freie Wahlen statt. Das daraus hervorgegangene Parlament sollte die bis heute gültige Verfassung ausarbeiten. Es war ein Meilenstein auf dem Weg von der Franco-Diktatur zur Demokratie.

Von Julia Macher |
Eine lange Schlange bildete sich schon vor der Öffnung des Wahllokals in einem Arbeitervorort von Barcelona
Wähler stehen am 15. Juni 1977 in Barcelona zur Stimmabgabe an (picture-alliance / dpa)
Als am Morgen des 15. Juni 1977 in Spanien die ersten Wahllokale öffnen, ziehen sich die Warteschlangen teils um ganze Häuserblocks. Zum ersten Mal nach fast 40 Jahren Militärdiktatur stimmen die Spanierinnen und Spanier frei und demokratisch über ihre Vertreter ab. Das Volk soll sprechen – die Erwartungen sind riesig.

Spanien am Scheideweg

Der greise General Francisco Franco war knapp anderthalb Jahre zuvor gestorben. Spanien stand am Scheideweg: „Ruptura o reforma“, ein radikaler Bruch mit der Diktatur oder Reform. Der gesellschaftliche Rückhalt für das mit strenger Hand geführte Regime war bereits seit den 1960er-Jahren geschwunden. Spanien hatte sich von einer abgeschotteten Agrar- zu einer weltoffenen Industriegesellschaft entwickelt, der Tourismus brachte neue Ideen ins Land. Arbeiter, Studenten, die regionalen Minderheiten im Baskenland und Katalonien forderten politische Rechte. Doch die alten Eliten und das Militär saßen fest im Sattel.

König Juan Carlos, noch von Franco zum Staatsoberhaupt ernannt, setzte auf einen langsamen Übergang. Er berief den gleichaltrigen Adolfo Suárez zum Premier. Unter dessen Regie machte die franquistische Ständevertretung im November 1976 den Weg frei für das Gesetz zur politischen Reform und stimmte ihrer Selbstauflösung zu.

Rückkehr der linken Opposition aus dem Exil

Aus Spanien sollte eine parlamentarische Monarchie werden. Neue Parteien wurden zugelassen, die linke Opposition, die im Exil überdauert hatte, legalisiert. Atemlos verkündete der Sprecher des spanischen Radios am Ostersamstag 1977 ungläubig:
„Meine Damen und Herren, vor wenigen Augenblicken haben Regierungskreise verkündet, dass die Kommunistische Partei, Entschuldigung … die Kommunistische Partei Spaniens wurde legalisiert. Wir wiederholen die Nachricht … Die kommunistische Partei wurde von der spanischen Regierung legalisiert.“
Ein entscheidender Schritt, mit dem Premier Suárez bewies, dass er die Demokratisierung auch gegen Widerstände vorantreiben wollte. Für die Armee waren die Kommunisten, die Erzfeinde aus dem Bürgerkrieg, immer noch ein rotes Tuch. Doch die Generäle hielten still, aus Loyalität zum König. Auch der kommunistische Parteichef Santiago Carrillo, ein alter Bürgerkriegskämpfer, bemühte sich um einen konzilianten Ton.
„Wir werden die Rechte aller respektieren und verteidigen. Wir haben uns für einen friedlichen Übergang von der Diktatur zur Demokratie ausgesprochen und respektieren die demokratischen Spielregeln.“

Das Trauma Bürgerkrieg

„Moderación“, Mäßigung statt Konfrontation: Das war das Gebot der Stunde. Statt unversöhnlich auf einer Position zu beharren, bekundeten die Parteien immer wieder ihre Bereitschaft zum Kompromiss. Der blutige Bürgerkrieg, der Franco an die Macht gebracht hatten, wirkte als Trauma nach. Am entschiedensten verkörperten Adolfo Suárez und sein Wahlbündnis der Demokratischen Mitte diese Politik:
„Auch wenn wir für ein anderes Gesellschaftsmodell stehen, glauben wir, dass wir Spanien nur gemeinsam mit der Rechten und der Linken aufbauen können. Das wollen wir durch Mäßigung, Dialog und politische Zusammenarbeit erreichen. Denn niemand ist im Besitz einer absoluten Wahrheit.“

Mit fast 35 Prozent gewann Suárez die Wahlen, gefolgt von der Sozialistischen Partei unter Felipe González. Spanien hatte sowohl der radikalen Rechten wie der radikalen Linken eine Absage erteilt. Am 22. Juli 1977 eröffnete König Juan Carlos die erste Sitzung des neu gewählten Parlaments.
Adolfo Suarez (l.) am 17. November 1978 im Gespräch mit dem spanischen König Juan Carlos auf dem Flughafen von Madrid
Adolfo Suarez (l.) am 17. November 1978 im Gespräch mit dem spanischen König Juan Carlos (dpa/EFE/FILES)
„Die Demokratie hat begonnen. Jetzt müssen wir sie konsolidieren. Daher müssen wir in diesem entscheidenden Moment unserer Geschichte für immer die historischen Ursachen unserer Zwistigkeiten begraben. Und ich glaube, dass wir fähig sind, uns gemeinsam eine Zukunft in Frieden und Fortschritt aufzubauen.“

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Der Appell stieß auf Gehör. Zur Ausarbeitung der Verfassung bestimmte das Parlament einen Ausschuss mit Vertretern aller Fraktionen und verabschiedete ein Amnestiegesetz, das sowohl die Opfer als auch die Täter des Franco-Regimes freisprach. Spanien hatte sich erfolgreich auf gemeinsame demokratische Grundsätze geeinigt. Doch das Schlussstrich-Gesetz sollte zum Hindernis werden, als mit Beginn des neuen Jahrtausends die Debatte um eine Aufarbeitung der Franco-Verbrechen begann.