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450. Todestag von Pieter Bruegel
Künstler und Kirchenkritiker

Pieter Bruegel gilt als einer der bedeutendsten Künstler seiner Zeit. Sein Werk ist ein Publikumsmagnet bis heute. Bruegel war zeitlebens Katholik, hatte aber offenbar humanistische, kritische Ansichten. Die musste er in seinen Bildern gut verstecken – aus Angst vor der Inquisition.

Von Susanne Fritz |
    Das Gemälde "Der Blindensturz" von Pieter Bruegel dem Älteren (1525-1569)
    "Der Blindensturz" gilt als eines der Meisterwerke von Pieter Bruegel dem Älteren (1525-1569) (imago stock&people)
    Die genauen Umstände und der genaue Tag seines Todes sind nicht bezeugt. Vermutlich ist es der 9. September 1569, an dem der berühmte Maler Pieter Bruegel stirbt, mit 44 Jahren. Er wird in der katholischen Kirche Notre Dame de la Chapelle in Brüssel bestattet. Auch über das Leben des flämischen Malers ist wenig bekannt, sagt Jürgen Müller, Professor für Mittlere und Neuere Kunstgeschichte an der Technischen Universität Dresden:
    "Es gibt eine frühe Biografie um 1604, und da wird der Künstler als ein rechter Hansdampf beschrieben. Also diese Biografie ist von Karel Van Mander, der beschreibt Bruegel als einen Bauernfreund, der auf Bauernhochzeiten geht, erwähnt allerdings am Ende, dass er seine Frau angeleitet habe, als er schon sterbenskrank war, seine Zeichnungen zu vernichten, da er Angst hatte, dass ihr daraus Probleme mit der Inquisition erwachsen."
    Am Ende von Bruegels Leben herrscht der Herzog von Alba in den Spanischen Niederlanden. Dort haben sich im Zuge der Reformation die Konflikte zwischen Katholiken und Protestanten zugespitzt. Alba soll im Auftrag des katholischen Spaniens in den Niederlanden für Ordnung sorgen. Er führt ein Schreckensregime: Wer sich zu einer protestantischen Konfession in Wort, Schrift oder Bild bekennt, gilt als Ketzer und landet auf dem Scheiterhaufen. Fast 20.000 Protestanten lässt der Herzog zum Tode verurteilen. Offenbar fürchtete auch Pieter Bruegel, dass seine Bilder die Inquisition auf den Plan rufen könnten.
    "Also der arbeitet in Antwerpen, die damals als Stadt der Häretiker galt", erklärt Müller: "Und dann schicken die Habsburger den Alba in die südlichen Niederlande, um da aufzuräumen, und das heißt natürlich eine Verschärfung der Inquisition, Hinrichtungen, Denunziationen. Also Bruegel lebt in einer Zeit religiöser Konflikte, die eskalieren."
    "Das ist ein früher Aufklärer"
    Zugleich werden die Ideen der Humanisten in den Spanischen Niederlanden immer populärer. Bruegel kannte vermutlich die Schriften von Erasmus von Rotterdam, der sich für religiöse Toleranz einsetzte. Vermutlich hat er auch die reformatorischen und kirchenkritischen Schriften des deutschen Theologen Sebastian Franck gelesen und war davon begeistert. Franks Werke waren zu Bruegels Lebzeiten bereits ins Niederländische übersetzt und weit verbreitet:
    "Franck ist ein deutscher Theologe, der heute wenig bekannt ist, der - wir würden heute sagen – ein Freigeist ist, wir reden vom Spiritualismus", so Müller. "Also einer Religionsausübung, die nicht dem äußeren Kult die Wahrheit zuspricht, nicht der Messe, nicht der Bibel selbst, sondern der inneren Gotteserfahrung, der mystischen Gotteserfahrung, die am Ende nur jedes Individuum haben kann, aus der aber keine Institution erwachsen kann. Also der Franck ist ein Institutionskritiker."
    Dabei geht der Theologe Sebastian Franck soweit, dass er die Institution der katholischen wie der protestantischen Kirche komplett ablehnt. Für ihn kommt es auf die persönliche Gotteserfahrung an, die jeder Mensch erleben könne, unabhängig von seiner Religionszugehörigkeit. Wer in den Spanischen Niederlanden mit solchen religiösen Überzeugungen und kirchenkritischen Ideen sympathisiert, der lebt brandgefährlich. Und der Maler Pieter Bruegel ist von Sebastian Francks Ideen überzeugt, meint der Kunsthistoriker Jürgen Müller:
    "Das ist ein früher Aufklärer. Er will, dass die Religionen friedlich miteinander umgehen. Der will, dass es keine Inquisition gibt und dass auf andere Religionen heruntergeschaut wird. Der will nicht, dass wir glauben, wir hätten die Wahrheit mit Löffeln gegessen, sondern der mahnt zur Vorsicht und der kritisiert auch dieses militärische Vorgehen der katholischen Kirche."
    Kritik an Inquisition und Kirche
    Pieter Bruegel ist also ein früher Aufklärer und Humanist gewesen, der die reformatorischen Ideen von Sebastian Franck schätzte. So sieht es der Kunsthistoriker Jürgen Müller. Doch es gibt keine Schriftstücke von Pieter Bruegel. Woher wissen wir also, wie Bruegel gedacht hat? "Wir haben keine Briefe, kein Testament, nichts, was direkt auf die Person rückschließen lässt. Und insofern sind wir auf die Gemälde selbst angewiesen, um ihn interpretieren zu können."
    Das sind 40 Gemälde und 67 Zeichnungen und viele dieser Werke von Pieter Bruegel sprechen nach Ansicht von Jügen Müller eine eindeutige Sprache. So auch in der beeindruckenden Skizze für einen Kupferstich mit dem Titel "Justitia" – Gerechtigkeit. In der Mitte des Bildes ist eine Allegorie der Gerechtigkeit zu sehen - in Gestalt einer Frau mit verbundenen Augen. Doch was um sie herum geschieht, lässt eher an die Hölle denken als an Gerechtigkeit, so Müller:
    "Also wir sehen, wie Menschen bestraft werden, wie denen die Hände abgehackt werden, wie die hingerichtet werden, wie die verbrannt werden, wie die verhört werden. Also dieses Bild ist unendlich grausam und vielleicht ist unter all den Strafen eine besonders wichtig, nämlich das Verbrennen. Das ist eine Strafe, die den Ketzern drohte. Die wurden verbrannt und ihre Existenz vollkommen bestritten. Da durfte auch kein Leichnam mehr über bleiben."
    Werke von Pieter Bruegel im Kunsthistorischen Museum Wien
    Werke von Pieter Bruegel im Kunsthistorischen Museum Wien (Deutschlandradio / Ellen Wilke)
    Bruegel kritisiert mit diesem Bild die brutale Verfolgung Andersgläubiger durch die katholische Inquisition in den Spanischen Niederlanden. Doch er darf seine Kritik nicht offen aussprechen. Zu groß ist die Gefahr, selber bestraft zu werden. Deshalb versteckt er seine kritischen Ansichten. Mit einer Inschrift suggeriert Bruegel, mit den grausamen Strafen auf dem Bild einverstanden zu sein. Da heißt es:
    "Ziel des Gesetzes ist es, den zu bessern, den es bestraft oder die übrigen Menschen in Folge seiner Bestrafung besser zu machen oder dass durch das Beiseiteschaffen der Übeltäter die übrigen Leute sicherer leben könnten."
    Die Inschrift steht im krassen Widerspruch zu dem dargestellten Grauen. Statt Zustimmung löst das Bild Mitleid mit den Opfern aus. Der Betrachter empfindet die brutalen Strafen nicht als gerecht, sondern als unmenschlich und barbarisch. Vermutlich hat Bruegel genau diese Wirkung beabsichtigt. Doch nicht nur die katholische Inquisition kommt auf diese Weise schlecht weg, sondern auch die Protestanten.
    "Am Ende sind wir alle blind, wenn wir Gott suchen"
    In Bruegels Skizze "Justizia" steht vor einer Folterbank ein Mann mit langem Bart und Hut. Er ist in eine Debatte vertieft und unbeeindruckt von dem, was um ihn herum geschieht. Es ist ganz offensichtlich: Der empathielose Gelehrte sieht aus wie der protestantische Reformator Johannes Calvin.
    Als Meisterwerk von Pieter Bruegel gilt das Gemälde "Der Blindensturz". Darauf sind sechs Blinde dargestellt. Sie gehen in Reihe und Glied und halten sich aneinander fest. Der erste Blinde ist in einen Graben gefallen, der zweite gerät gerade ins Wanken, auch der dritte verliert den Halt. Nur die letzten drei laufen noch ahnungslos. Bruegel bezieht sich hier auf ein Gleichnis aus dem Neuen Testament. Da sagt Jesus Folgendes über die Pharisäer:
    "Lasst sie, sie sind blinde Blindenführer. Wenn aber ein Blinder den anderen führt, so fallen sie beide in die Grube."
    Dazu Jürgen Müller: "Der Blindensturz wird mehrfach im Neuen Testament erwähnt. Und das wird Rahmen der Reformation eine Exklusionsmetapher. Also der Luther nennt den Papst einen Blindenführer, der selbst blind ist und die anderen Blinden in die Grube führt. Und das tun auch andere Reformatoren. Die frühesten Darstellungen des Blindensturzes in der Reformationszeit zeigen die Blinden immer als Jakobspilger, also als Katholiken, die sich den falschen Glaubenszeugnissen anheim stellen. Und die kritisieren das. Und der Bruegel sagt aber, so ist das nicht!"
    Bruegel geht es demnach nicht wie im Gleichnis um Kritik an einer bestimmten religiösen Auslegung wie die der Pharisäer im Judentum. Und ihm geht es nach Jürgen Müller auch nicht wie den Reformatoren um Kritik an der katholischen Konfession. Bruegels Blinde sind einfach Suchende. Der Maler ist überzeugt von den spirituellen Vorstellungen des Theologen Sebastian Franck. Deshalb thematisiert er in dem Gemälde die individuelle, oftmals scheiternde Suche nach Gott, sagt der Kunsthistoriker Jürgen Müller:
    "Also das Tolle an dem Bild ist, da sind diese sechs Blinden und die sind in einer Reihe und der erste fällt, und die Frage ist: Wird auch der letzte fallen? Das wissen wir aber nicht. Sicher ist nur, dass die Ersten gestürzt sind und den falschen Weg beschritten haben. Aber letzten Endes ist das auch nicht hochmütig gegenüber den ersten Dreien. Am Ende sind wir alle blind, wenn wir Gott suchen."
    Jeder ist bei der schwierigen Suche nach Gott auf sich allein gestellt. Denn der Mensch muss dabei den Blick nach innen richten. Das will Bruegel nach Ansicht von Jürgen Müller mit dem Blindensturz ausdrücken. So wie der Theologe Sebastian Franck glaubte auch Bruegel, dass der Mensch die verborgene Quelle der göttlichen Erkenntnisfähigkeit in sich selbst findet. Zwar war Pieter Bruegel ein Leben lang Katholik. Doch wer genau hinsehe, so Jürgen Müller, entdecke in seinen vielen ästhetisch beeindruckenden Gemälden und Zeichnungen seine wahren religiösen und humanistischen Überzeugungen.