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50+1-Regel
"Die Letztbestimmung der Mitglieder ist ein hohes Gut"

Das Bundeskartellamt hat die Ausnahmen von der 50+1-Regel im deutschen Fußball für rechtswidrig erklärt. Dass die Regel erhalten bleiben müsse, waren sich St. Pauli-Präsident Oke Göttlich und Ex-Leverkusen-Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser im Dlf-Sportgespräch einig. Nun müssten die Ausnahmen neu geregelt werden.

Oke Göttlich, Wolfgang Holzhäuser und Thorsten Poppe im Gespräch mit Matthias Friebe |
01.09.2018, Fussball 1. Bundesliga 2018/2019, 2. Spieltag, VfB Stuttgart - FC Bayern München, in der Mercedes-Benz-Arena, Stuttgart. Stuttgarter Fans fordern: Unverhandelbar! 50+1 bleibt! *** 01 09 2018 Football 1 Bundesliga 2018 2019 2 Gameday VfB Stuttgart FC Bayern Munich in the Mercedes Benz Arena Stuttgart Stuttgart fans demand unbreakable 50 1 remains
Fans des VfB Stuttgart demonstrieren 2018 für den Erhalr der 50+1-Regel. (IMAGO / MIS)
Die 50+1-Regel besagt, dass ein Verein im deutschen Fußball immer mindestens 51 Prozent der Anteile besitzen muss. Das soll verhindern, dass Investoren die Mehrheit eines Vereins übernehmen und so die Stimmen der Mitglieder an Einfluss verlieren. Doch es gibt auch Ausnahmeregelungen, etwa für die Werksclubs Bayer 04 Leverkusen und VfL Wolfsburg. Weil die jeweiligen Konzerne Bayer und VW bereits mehr als 20 Jahre in die Vereine investieren, gilt für sie die 50+1-Regel nicht. Und genau diese Ausnahmeregelung hat das Bundeskartellamt nun für rechtswidrig erklärt.
"Dieses Urteil macht sehr deutlich, dass das, was uns in den letzten Jahren benannt worden ist, nämlich dass die bestehende 50+1-Regel gegen Kartellrecht verstößt, falsch war", sagte Oke Göttlich, Präsident des FC St. Pauli im Dlf-Sportgespräch. "Denn es ist ein Verstoß, Ausnahmen von dieser Regel zugelassen zu haben."
Oke Göttlich, Präsident des FC St. Pauli
Oke Göttlich, Präsident des FC St. Pauli (dpa)

"Kartellamt sagt, Ausnahmen sind möglich"

"Es muss sich jetzt mal darüber Gedanken gemacht werden, wie man eine Regelung findet, die 50+1 erhält und kartellrechtskonform ist", ergänzte Wolfgang Holzhäuser, ehemaliger Geschäftsführer von Bayer 04 Leverkusen und ehemaliges Mitglied des Präsidiums der Deutschen Fußball Liga DFL. 50+1 müsse aus Holzhäusers Sicht erhalten bleiben, nur müssten nun die Hürden, die Investoren überwinden müssen, angepasst werden. "Im Grunde sagt das Kartellamt, Ausnahmen sind möglich, aber die jetzige Ausnahme ist kartellamtswidrig."
"Es ist einfach so, dass die Reinform der 50+1-Regel verwässert worden ist", sagte Göttlich. "Man muss sich selbstverständlich fragen, warum diese Reinform verwässert worden ist und welche Folgen das für den Status Quo der Liga und die Integrität des Wettbewerbs hat." Dazu sei die Letztbestimmung der Mitglieder ein hohes Gut, das "dringend herbeizuführen" sei.
Der frühere DFL-Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser
Der frühere DFL-Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser (imago sportfotodienst)
Durch das Urteil des Bundeskartellamts sei auch ein jahrelanger Kulturstreit zwischen Befürwortern und Gegnern der Regel neu aufgeflammt, sagte der Journalist Thorsten Poppe. "Jeder fühlt sich bestätigt". So hat etwa Martin Kind, Präsident von Hannover 96 gesagt, das Problem sei nur zu lösen, indem die 50+1-Regel abgeschafft werde. Kind versucht seit Jahren, bei Hannover 96 das alleinige Stimmrecht zu bekommen, was jedoch durch die DFL verhindert wird. "Es wird vor allem kritisiert, dass der Einfluss des Muttervereins bei der Ausnahmeregelung auf Null reduziert werden könne. Und daran hängt sich das Bundeskartellamt auf, weil das diesem vereinsgeprägten sportlichen Wettbewerb unter dem Dach der DFL entgegenstehen würde", so Poppe.

"Mitgliederversammlung muss über Investoren entscheiden"

Wolfgang Holzhäuser versteht nicht, warum es so wichtig ist, dass in der Bundesliga Vereine gegen Vereine spielen. Dennoch sei er klar Anhänger der 50+1-Regel. "Man kann ja durchaus mal darüber diskutieren, ob man die 50+1-Regel nicht so gestaltet, dass jeder Verein die Möglichkeit hat, sich mit Investoren zu bedienen. Wenn – und das halte ich für ganz wichtig – die Mitgliederversammlung als einzig dafür geeignetes Instrumentarium darüber entscheidet, ob und wie man sich mit Investoren zusammentut."
Göttlich stimmte Holzhäuser in diesem Punkt zu. Dennoch sei es eine Wettbewerbsverzerrung, wenn bei einem Club Investition von einem Konzern oder Gönner abgesichert seien und in einem eingetragenen Verein nicht. Holzhäuser hielt dagegen, dass aber auch Gewinne wieder an den Konzern abgeführt werden müssten. "Gerade jetzt in der Corona-Krise hat sich gezeigt, wie sehr die eingetragenen Vereine unter Einnahmenverlusten leiden und wie sehr die Konzernvereine aufgefangen werden", ergänzte Journalist Thorsten Poppe.
Ein Schild weist auf den Eingang zum Bundeskartellamt hin.
Weiter Streit um 50+1-Regel
Für das Bundeskartellamt ist die Grundregel "50+1" aus rechtlicher Sicht unbedenklich. Doch die Gesamtregel mit den Ausnahmeregelungen für Werksvereine eben nicht.
Holzhäuser sagte, er werfe der DFL vor, es nicht geschafft zu haben, eine andere Regelung zu finden. "Man hat darauf gewartet, dass irgendetwas passiert. Jetzt haben wir ein Gutachten auf dem Tisch, das mit einem Ergebnis endet, das man nicht haben wollte. Denn jetzt laufen wir Gefahr, dass die komplette Regelung von jemand Böswilligem abgeschossen wird. Und das müssen wir vermeiden. Allerdings müssen wir die Ausnahmen neu regeln."
St. Pauli-Präsident Göttlich, der heute auch im DFL-Präsidium sitzt, schloss sich Holzhäusers Kritik an. "Dieses heiße Eisen ist über 15 Jahre nicht angefasst und weitergeschmiedet worden. Und zwar in einer Art und Weise, dass die Ausnahmeregelungen besser geregelt werden können." Diese Meinung bringe er auch im DFL-Präsidium regelmäßig ein. "Und natürlich muss ich jetzt mit meinen Kollegen eine Regelung für die Ausnahmen zu finden, um dieses Eisen so zu schmieden, dass 50+1 einen ganz klaren, manifesten Beitrag für die Wettbewerbsintegrität leistet. Nur so werden wir unser Produkt attraktiv halten können und Leute für unseren Sport interessieren."

"Es gibt immer einen Mittelweg"

Holzhäuser brachte etwas bestimmte Regeln für Investoren ins Spiel, wie eine Mindestlaufzeit. "Man kann alles machen, nur man muss es mal wollen und nicht eine Diskussion darüber führen, ob schwarz oder weiß richtig ist. Es gibt immer einen Mittelweg."
"Was wir jetzt machen müssen, ist Ideen für die Zukunft entwickeln", sagte Göttlich. "Und für die Zukunft haben wir ganz klare Punkte. Und natürlich haben wir zwei große Themen innerhalb der DFL. Das sind das Lizensierungsverfahren und der Verteilungsschlüssel der TV-Gelder, die das Thema des Wettbewerbsvorteil der Ausnahmeclubs über dieses Vehikel lösen. Und darum geht es dem Bundeskartellamt."
Die DFL müsse nun klar machen, "wo sie abbiegen will", schätzte Poppe ein. "Will sie die vollständige Kommerzialisierung und schafft die 50+1-Regel ab? Oder biegt sie zur anderen Seite ab und steht zu 50+1. Da muss sich die DFL klar äußern und dann kann nach vorne gedacht werden."
Holzhäuser sagte: "Die DFL muss es jetzt schaffen, eine Regelung zu finden, die auch den normalen Clubs die Möglichkeit bietet, Ausnahmen zu beantragen. Das ist möglich und ich halte es auch für kartellrechtlich konform, wenn man es geschickt anpackt."
Göttlich kündigte an, dass sich das DFL-Präsidium mit dem Thema beschäftigen werde. "Es geht darum, dass wir einen vereinsgeprägten Wettbewerb organisieren, dass wir eine Ausgeglichenheit des sportlichen Wettbewerbs zu Sorge tragen müssen und dass die Stabilität des Wettbewerbs der Klubs zu gewährleisten ist. Die Letztbestimmung der Mitglieder muss gewährleistet sein. Sie ist für das soziale und gesellschaftliche Miteinander der wesentliche Aspekt, der die Attraktivität der Bundesliga absolut hochhält. Und diese Attraktivität ist am Ende auch eine, die es den Leuten Spaß macht, sowohl vor dem Fernseher als vor allen Dingen auch im Stadion Fußball genießen zu können."