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50 Jahre Atomwaffensperrvertrag
Andauernder Streit um die nukleare Abrüstung

Als Kanzler Willy Brandt den Atomwaffensperrvertrag 1969 unterzeichnen ließ, hatten CDU und CSU noch Einwände: Den einseitigen Verzicht auf die Atombombe fanden viele unfair. Tatsächlich halten die Atommächte ihr Abrüstungsversprechen auch fünfzig Jahre später nicht ein. Der Vertrag ist in Gefahr.

Von Ulrike Winkelmann |
Llewelyn Thompson - US-Botschafter in Russland hat den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet, während der sowjetische Außenminister Andrei Gromyko und der britische Botschafter Sir Geoffrey Harrison zusehen. In der hinteren Reihe stehen als sowjetischer Ministerpräsident Alexei Kosygin zweiter von links und der sowjetischer Verteidigungsminister Andrei Grechko (Uniform)
Unterschrift unter den Atomwaffensperrvertrag (Imago / United Archives International)
Willy Brandt war erst seit wenigen Wochen Bundeskanzler, als er am 28. November 1969 verkündete, die Bundesrepublik Deutschland habe den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet: "Es gelang uns, dafür zu sorgen, dass keine Bestimmung des Vertrages die friedliche Nutzung der Kernenergie behindert."
Brandt kannte den Vertrag gut. Er hatte ihn zuvor, als Außenminister in der Großen Koalition, mit ausverhandelt.
Dossier: Atomwaffen
Ausbreitung von Atomwaffen verhindern
Die westdeutsche Unterschrift war damals nur eine von vielen. Der Atomwaffensperrvertrag war vor fünfzig Jahren der sicherlich anspruchsvollste, und ist bis heute vielleicht der weitreichendste Vertrag der Weltgemeinschaft.
Sein Ziel: die Ausbreitung von Atomwaffen zu verhindern und die friedliche Nutzung der Atomkraft zu ermöglichen. Die Zahl der Atomwaffen besitzenden Staaten sollte auf dem Stand der späten 60er-Jahre eingefroren werden, während die Verheißungen der Atomenergie der ganzen Welt zuteilwerden sollten.
"Außerdem ist Vorsorge getroffen, dass der Nichtverbreitungsvertrag in keiner Weise unsere militärische Sicherheit und die Zusammenarbeit im Nato-Bündnis beeinträchtigt."
Willy Brandt
Willy Brandt hatte den Atomwaffensperrvertrag als Außenminister mit ausverhandelt (Imago / Sven Simon)
Für Brandt war der Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag ein weiterer Schritt, um Westdeutschland keine 25 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs ein Profil als "Kraft des Friedens und der Entspannung" zu geben: "Dieser Vertrag - bei all seinen Unzulänglichkeiten - ist für uns in größerem Maße als für irgendeinen anderen ein Element der Gleichberechtigung der Bundesrepublik Deutschland."
Einwände von CDU und CSU
Zwei Wochen vor Unterzeichnung hatte der frisch gewählte Kanzler einer sozialliberalen Koalition sich noch im Bundestag rechtfertigen müssen. Denn CDU und CSU, nun in der Opposition, hatten noch keinen Frieden mit dem Vertrag gemacht.
Zwar war der Hauptteil der Verhandlungen unter CDU-Kanzler Georg Kiesinger geführt worden. Ein "Nein" zum Vertrag mochte der Vize-Fraktionschef der Union, Gerhard Stoltenberg, im Bundestag also nicht ankündigen. Aber: "Der vorgesehene Verzicht der nicht-nuklearen Staaten auf die Entwicklung und den Erwerb von Atomwaffen ohne Gegenleistung der Nuklearmächte hat zahlreiche ernste Fragen aufgeworfen."
Worum diese Fragen kreisten: War es nicht ganz grundsätzlich ungerecht, dass die Atommächte ihre Atombomben behalten – während alle anderen Staaten für immer darauf verzichten sollten? Lehnten nicht auch andere Staaten den Vertrag deshalb ab? Warum gab es keine gemeinsame europäische Linie? War es sicher, dass die zivile Entwicklung der Atomkraft weitergehen konnte? Wie sollten die Kontrollen funktionieren: Würden nun bei jedem Atomreaktor sowjetische Inspekteure im Türrahmen stehen - wobei die Sowjetunion selbst ja keine Kontrollen dulden wollte?
"Deutschlands Wissenschaft und Wirtschaft kann auf diesem Schlüsselgebiet der Zukunft keine Diskriminierung hinnehmen." Um die Furcht vor der Sowjetunion kreisten die Bedenken der Vertragsskeptiker im Kern. "Dies ist das einzige Land der Welt, das sich einer Interventionsanmaßung der Sowjetunion ausgesetzt sieht, und das Thema muss noch vom Tisch, meine Damen und meine Herren", rief Unions-Fraktionschef Rainer Barzel Mitte November 1969 ins Plenum des Bundestags.
Indien, Pakistan und Israel bis heute keine Mitglieder
"Also es ist der wichtigste und wirksamste Vertrag zur Kontrolle von Rüstung, der je abgeschlossen worden ist", sagt Harald Müller, langjähriger Leiter der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, heute.
Zwar sind die drei Atomwaffenstaaten Indien, Pakistan und Israel bis heute nicht Mitglied, Nordkorea ist 2003 ausgetreten. Aber Südafrika zum Beispiel habe sieben Atombomben produziert – und sie nach dem Ende der Apartheid wieder aufgegeben.
In einer Bahn-Station in Seoul in Südkorea schauen Menschen einen Fernsehbeitrag, in dem Nordkoreas Machthaber Kim Yong Un zu sehen ist.
In Südkorea informieren sich Menschen 2016 übers Fernsehen über einen Atomwaffentest im Nachbarland. 2003 war Nordkorea aus dem Atomwaffensperrvertrag ausgetreten. (AFP/ Jung Yeon-Je)
"Ich habe mal zusammen mit einem Kollegen untersucht, wieviel Staaten eigentlich insgesamt Kernwaffen entwickeln wollen, Machbarkeitsstudien gemacht haben und so weiter. Und das sind alles zusammen 37, und von denen sind neun übrig geblieben. Und die allermeisten haben ihre Programme aufgegeben, nachdem dieser Vertrag auf dem Tisch lag. Und das ist natürlich für die Wirkung eines Vertrags auf die nationale Souveränität von Staaten ein enormer Effekt, der so in der Geschichte noch nicht vorgekommen ist."
Säulen Nichtverbreitung, Abrüstung und technische Zusammenarbeit
Als die Bundesrepublik dem Vertrag beitrat, war der schon über ein Jahr alt. Am 1. Juli 1968 fanden feierliche Unterzeichnungszeremonien parallel in Washington, Moskau und London statt. Paris und Peking, die anderen beiden zu diesem Zeitpunkt anerkannten Atommächte, waren noch nicht dabei - sie folgten beide erst 1992.
Im Weißen Haus erkannte der sowjetische Botschafter in den USA, Anatoli Dobrynin, im Vertrag einen "bedeutsamen Fortschritt darin, die Menschheit von der atomaren Bedrohung zu befreien. Drei sogenannte Säulen hatte der Vertrag: Erstens die Non-Proliferation, also die Nichtverbreitung, sprich: den Verzicht der bombenlosen Staaten. Zweitens ein Abrüstungsversprechen der bombenbesitzenden Staaten. Drittens sicherte man sich untereinander die technische Zusammenarbeit bei zivilen Nuklearprojekten zu. Die Kontrolle all dessen wurde der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) in Wien übertragen.
Das Vienna International Centre mit Bürotürmen der IAEO in Wien. 
Die Bürotürme der IAEO in Wien (picture alliance / Daniel Kalker)
Ebenfalls ein Ziel: Akzeptanz der zivilen Atomenergie fördern
Schon in den frühen 50er-Jahren hatte die US-Regierung an Plänen gefeilt, unter dem Eindruck des Horrors von Hiroshima und Nagasaki eine Ausbreitung von Atomwaffen zu verhindern – und gleichzeitig die Akzeptanz der zivilen Atomenergie zu fördern. "Atoms for Peace" hieß das Programm, das die USA 1953 den Vereinten Nationen vorstellten.
Nach der Explosion einer französischen Atombombe 1971 schwebt dieser riesige Atompilz über dem Mururoa-Atoll.
Atombombe und Moral: Die Waffe, die nicht sein darf
Mehr als 120 Staaten haben bei der UNO einen Vertrag vorgelegt, um Atomwaffen zu ächten. Auch Repräsentanten aller Weltreligionen unterstützen dieses Anliegen: Die Bombe gilt in ihren Augen als das Böse schlechthin, ihr Besitz als Sünde, ihr Einsatz als Apokalypse. Doch das Wettrüsten geht weiter.
Die Nicht-Verbreitung, Non-Proliferation, wurde Thema in der UNO. Die Geheimdienste warnten, dass immer mehr Staaten Atomwaffenpläne auflegten. Irland schlug 1958 vor, einen Vertrag zu entwerfen.
Die Verhandlungen kamen jedoch erst wirklich in Schwung, sagt Friedens- und Rüstungsforscher Harald Müller, als die USA und die Sowjetunion 1962 nach der Kuba-Krise Sorge hatten, "dass ein Atomkrieg zwischen ihnen von einer kleinen dritten Atommacht ausgelöst werden könnte. Sie waren deswegen der Auffassung, dass es für das Management ihrer Beziehung entscheidend war, dass nicht allzu viele weitere Staaten Kernwaffen erwerben. Und natürlich waren Deutschland und Japan die allerwichtigsten Objekte der Diplomatie: Wir mussten da unbedingt rein."
Deutscher Diplomat: "Waren die Underdogs, denen misstraut wurde"
"Der Nichtverbreitungsvertrag in seinen Ursprüngen war ein antideutscher Vertrag." Adolf Ritter von Wagner war Jahrzehnte lang deutscher Diplomat. "Man hatte Angst davor, dass die Bundesrepublik Deutschland irgendwie irgendwann an Kernwaffen dran kommen könnte. Und dafür wurde er konzipiert. Dafür wurde er erfunden, und so wurde er auch verhandelt. Man muss sich nur darüber im Klaren sein, dass wir hundertprozentig die Underdogs waren, denen misstraut wurde, gegen die verhandelt wurde, und wir eigentlich nur akzeptieren konnten, was die anderen machten."
Während die Nuklearmächte in der zweiten Hälfte der 60er Jahre in Genf verhandelten, hatte Adolf von Wagner seinen ersten wichtigen Posten in der deutschen Botschaft in Washington.
Eines Tages wurde der deutsche Botschafter ins State Department, zu Außenminister Dean Rusk zitiert - "und der Botschafter Knappstein hat sich den Jüngsten in der Botschaft geschnappt, der ihn begleiten sollte - das war ich. Und als dieses Gespräch zu Ende war, kam der Botschafter wieder raus aus dem Büro von Rusk, und sagte, der Rusk hätte ihm zwei Vertragsartikel übergeben, die zurzeit in Genf verhandelt würden: 'Da haben Sie sie. Machen Sie was.' Das war mein Anfang vom Nichtverbreitungsvertrag. Und auch der Anfang der Bundesrepublik Deutschland in diesem Vertrag. So ging das tatsächlich los."
Adenauer und Strauß wollten die Atombombe
Nun hatte die Bundesrepublik Deutschland zu diesem Zeitpunkt nicht nur außenpolitisch wenig zu melden – es gab auch kein Atomwaffenprogramm, auf das man hätte verzichten können. Deshalb sei Abrüstungspolitik ein Fremdwort in der deutschen Diplomatie gewesen, sagt von Wagner.
"Der Botschafter meinte, dass mein Bericht dazu ein bisschen dünn war, aber ich wusste auch nicht, was ich dazu sagen sollte. Ich hatte keine Ahnung, und in der Botschaft war man nicht darauf vorbereitet. Weil es eben so was Nebensächliches für uns war, hat man den Jüngsten damit beschäftigt."
Die Ratlosigkeit der deutschen Diplomaten erstaunt ein wenig. Denn nur wenige Jahre zuvor hatte die Bundesrepublik sehr wohl eigene Atomwaffenpläne. Bundeskanzler Konrad Adenauer, CDU, und sein Minister Franz Josef Strauß, CSU, wollten Ende der 50er-Jahre die Atombombe ganz ausdrücklich. Zwar hatte Adenauer im Jahr '54 für die Bundesrepublik den Verzicht auf Massenvernichtungswaffen erklärt. Doch viele historische Quellen weisen darauf hin, dass er dies nur für eine vorläufige Verpflichtung hielt.
Friedensforscher Müller: "Die Story war die, dass Franz Josef Strauß zusammen mit seinen italienischen und französischen Kollegen, also den Verteidigungsministern, vereinbart hat, und zwar schriftlich, Kernwaffen zu entwickeln. Die sollten auf Unterseebooten stationiert werden jeweils der drei Nationen. Und sie sollten entwickelt werden in Frankreich, weil Deutschland vertraglich zu diesem Zeitpunkt schon verpflichtet war, das nicht auf eigenem Territorium zu tun. Durch dieses Schlupfloch wollte Franz Josef Strauß schlüpfen, übrigens mit Wissen von Bundeskanzler Adenauer. De Gaulle hat sehr kurz nach seinem Einzug in den Élysée Palast 1958 dieses Abkommen für nichtig erklärt."
Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß telefoniert im September 1960 
"Das Tor zu einer europäischen Atomstreitmacht einer Europäischen Union offenhalten" - Franz Josef Strauß gehörte auch nach seinem Rücktritt noch zu den Kritikern des Atomwaffensperrvertrags (dpa / London_Express)
Strauß soll in der Erwartung, er werde Bundeskanzler, seine nuklearen Ideen dennoch weiter verfolgt haben. Erst als der neue US-Präsident John F. Kennedy ab 1961 den Deutschen erklärte, dass eine deutsche Bombe nicht erwünscht war, Strauß nach der Spiegel-Affäre zurücktreten musste und schließlich '63 auch Adenauer abtrat, galten die Atomwaffenpläne der Bundesrepublik als beerdigt.
Was nicht bedeutete, dass CSU-Politiker Strauß ganz davon abgelassen hätte: "Nach meiner Auffassung sollten wir einem so weitreichenden Verbot überhaupt nicht zustimmen. Wir sollten vor allen Dingen das Tor zu einer europäischen Atomstreitmacht einer Europäischen Union offenhalten."
Abrüstungsparagraf nicht erfüllt?
Als der Entwurf des Atomwaffensperrvertrags 1967 in Deutschland bekannt wurde, sahen Kanzler Kiesinger und Außenminister Brandt darin durchaus eine Chance, die Isolation der West-Republik zu überwinden. Doch wurde diese Sicht nicht von vielen geteilt.
Der Spiegel widmete dem Vertrag eine Titelgeschichte und frotzelte, die öffentliche Meinung sei in eine "Atomsperr-Hysterie" geraten. Der 90-jährige Adenauer erklärte im Spiegel-Interview, er finde "diese ganze Sache ungeheuerlich. Das ist wirklich der Morgenthau-Plan im Quadrat" – entspreche also einer De-Industrialisierung Westdeutschlands, die am Ende nur den Kommunisten helfen werde.
Nun hätte auch Adenauer wissen müssen, dass nur Mitarbeit und Unterzeichnung langfristig im deutschen Interesse sein konnten, sagt Müller. Aber: "Man kann etwas überspitzt sagen, dass der Entwurf, den damals die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten gemeinsam vorgelegt haben, ein ziemlich brutales imperiales Diktat war."
Mehrere wichtige Punkte, erklärt der Friedens- und Konfliktforscher, konnten die Bundesrepublik und andere nicht-nukleare Staaten noch in den Vertragsentwurf hineinverhandeln: Die Kontrollen der zivilen Atomprogramme wurden so eingeschränkt, dass die nationalen Industrien außerhalb des Atomclubs zufrieden sein konnten.
Und: Auch durch den Verhandlungseinsatz der Bundesrepublik verpflichteten sich die Atommächte zur Abrüstung. Der Abrüstungsparagraf, sagt Müller, habe einen fortwährenden Disput ausgelöst: "Nämlich, ob die Kernwaffenstaaten genug tun, um dieser Verpflichtung gerecht zu werden. Und die ganze überwältigende Meinung in der Gemeinschaft der Nichtkernwaffenstaaten ist, dass sie das nicht tun, dass sie zu wenig abrüsten und auch gar nicht abrüsten wollen. Und das ist heute die Hauptkontroverse im Vertrag."
Friedensforscher: "Abrüstungssäule ist der schwächste Teil des Vertrags"
Tatsächlich steht der Vertrag unter größtem Druck – und nicht etwa erst, seit US-Präsident Donald Trump und der russische Präsident Wladimir Putin die nuklearpolitische Ordnung demontieren. Schon seit Langem endeten die regelmäßigen Überprüfungskonferenzen für den Atomwaffensperrvertrag frustrierend, berichtet Tytti Erästö vom Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI.
Donald Trump mit dem Memorandum zum Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Atomabkommen.
Am 8. Mai 2018 kündigt Präsident Trump den Ausstieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran an (picture alliance / AP / Evan Vucci)
"Die Abrüstungssäule ist der schwächste Teil des Vertrags. Anders als bei der Nicht-Verbreitung gibt es hier auch keine Fristen oder Kontrollen. Dass hier so wenig passiert ist, hat in den 50 Jahren seit Vertragsschluss zu einem allgemeinen Gefühl der Desillusionierung der Vertragsstaaten geführt. Das Verhalten der Nuklearstaaten erfüllt die Erwartungen nicht. Statt Abrüstung sehen wir Modernisierungsprogramme der Atomwaffenarsenale und eine nukleare Aufrüstung auch in der politischen Rhetorik."
Erästös Erwartungen an die Konferenz im kommenden Jahr sind entsprechend niedrig.
"Die Aussichten auf die Überprüfungskonferenz 2020 sind nicht besonders gut. Viele kleine Abrüstungsschritte, die auf Konferenzen seit 1995 vereinbart wurden, wurden nie umgesetzt. Egal, was die Nicht-Nuklearstaaten einbringen, wie sie sich einsetzen – am Ende hängt alles an den Nuklearstaaten. Und wegen der Atomwaffen in Großbritannien und Frankreich spricht auch Europa nicht etwa mit einer Stimme, sondern ist tief gespalten."
Überprüfungskonferenz 2015 gescheitert
"Ich glaube, dieses Jahr muss man zu einer Analyse kommen, dass die internationale Abrüstungs- und Rüstungskontroll-Architektur tatsächlich in schwierigem Fahrwasser ist." Susanne Baumann ist die Bundesbeauftragte für Abrüstung und Rüstungskontrolle; sie arbeitet im Auswärtigen Amt. "Wir sehen, dass viele Staaten eine zunehmende Ungeduld haben mit den, wie sie sagen, fehlenden Abrüstungsfortschritten der 'P5', also der Nuklearwaffenstaaten."
Dieser Unmut habe schon auf der letzten Überprüfungskonferenz 2015 eine große Rolle gespielt, die auch deswegen gescheitert sei. Die Bundesregierung sei in "intensivem Dialog" mit den nuklearen Staaten, versichert Baumann, und fordere diese "P5" auch zu Abrüstungsschritten auf.
Es gebe gute Anzeichen, erklärt sie: "Die Zeichen bestehen allein schon darin, dass dieser sogenannte P5-Dialog, der über weite Strecken zum Erliegen gekommen war, jetzt wieder sehr, sehr regelmäßig stattfindet. Ich kann jetzt nicht aus diesen Treffen berichten, weil mir diese Informationen auch nur vertraulich mitgeteilt werden. Aber es gibt da eben Dinge, dass Initiativen, die wir in diese Gruppe (einbringen) seit vielen Jahren - zum Beispiel die Transparenz von Nuklear-Arsenalen als ersten Schritt zu erhöhen, oder wie kommt man weiter bei nuklearwaffenfreien Zonen -, dass das tatsächlich sehr ernsthaft in diesem Kreis diskutiert wird."
Diese Fragen spielten auch bei der Vorbereitung der kommenden Konferenz eine Rolle, betont Baumann, "aber ich glaube, man muss den Fokus auch so ein bisschen wegnehmen von der ersten Säule, von Artikel sechs, sich immer nur auf die Abrüstung zu fokussieren. Weil, wenn man sich den Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag anschaut, geht es eben auch sehr, sehr stark um Proliferations-Verhinderung."
Politische Initiative nicht in Sicht
Blanke Theorie, widerspricht Friedensforscher Müller, der seit 1985 auf jeder Überprüfungskonferenz war: "In der Praxis geht das überhaupt nicht. Das war ein Handelsgeschäft: Die Mehrzahl verzichtet auf Kernwaffen, und diese Ungleichheit muss aufgehoben werden dadurch, dass sich die Kernwaffenstaaten auf den Pfad der Abrüstung begeben. Ein ganz klares Geschäft, das steht auch letztlich so im Vertrag, und die Kernwaffenstaaten liefern ihren Teil nicht. Ja, es ist im Grunde ein Vertragsbetrug, wenn Sie so wollen. Und deswegen ist der Versuch, jetzt das Schwergewicht auf die Nichtverbreitung zu legen, das ist alles gut und schön. Aber es wird politisch nicht funktionieren und würde keine Balance in diesem Vertrag schaffen."
Adolf Ritter von Wagner, der seine Karriere als Diplomat in den 60er-Jahren begann – und später auch den Chemiewaffenverbotsvertrag in Genf aushandelte –, sagt, für jede erfolgreiche Abrüstungsverhandlung brauche es eine politische Initiative von Staatsführern. Diese Initiative könne er derzeit weder in den USA noch in Russland erkennen.
"Das braucht es schon, dass von oben entsprechender Druck und entsprechende Initiative entsteht, damit die da unten tatsächlich auch arbeiten können." Es werde sich in der nuklearen Abrüstung daher nicht mehr viel bewegen, glaubt Wagner: "Da bin ich ziemlich sicher."
Er könne sich aber auch nicht vorstellen, dass Atomwaffen je wieder zum Einsatz kämen. "Natürlich gibt es ein paar Verrückte. Und natürlich muss man da ganz besonders aufpassen. Aber meine Fantasie reicht nicht weit genug, um mir das vorstellen zu können."