"The Real Heart of the European Electronic Tradition was to be found in Cologne." Das Herz der elektronischen Musiktradition Europas schlägt in den 1960er Jahren in Köln. So beschreibt es die britische BBC-Dokumentation "Krautrock: The Rebirth of Germany".
"Das war die spannendste Stadt in Westdeutschland", sagt Irmin Schmidt. Schwarz gekleidet hockt er vor seinem Cappuccino in einem Café in der Kölner Südstadt. Beim Treffen im Januar 2018 ist er das letzte lebende Gründungsmitglied von Can - der Band, die er 1968 gegründet hat. "Alles, was im 20. Jahrhundert neu in der Musik passiert ist - Jazz und der daraus entstandene Rock einerseits, aber eben auch die Neue Musik. Ich wollte das zusammenbringen, alles.
Und da waren sie: Holger Czukay, der völlig verrückte Freigeist, bei ihm war alles ein Experiment. Jaki Liebezeit, der eigentlich als Free-Jazz-Schlagzeuger seinen Platz gefunden hatte. Michael Karoli, der einzige Rocker. Und Schmidt selbst, der klassisches Klavier spielt und dirigiert. Also alle Genres, die man sich vorstellen kann: Jazz, Be-Bop, Rock, Klassik. Nur eines fehlte: Der Klang der Charts damals. Neben den Beatles: Schlager, damit konnte sich die breite Masse auch 20 Jahre nach dem Ende des Krieges noch betäuben und betören lassen. Doch für Schmidt, der bei Stockhausen studierte, war das zu viel. Er wollte etwas Eigenes und Neues. Und vor allem: nicht wie die Engländer klingen.
Irmin Schmidt: "Schon unsere erste Tournee in England war ein Riesenerfolg. Verständlicherweise hatten die wenig Interesse daran, eine Gruppe aus Deutschland zu hören, die versucht so zu klingen wie die The Kinks. Die waren völlig fasziniert. Und in Frankreich übrigens auch."
"Die wollen Rock machen, können es aber nicht"
Im Ausland waren Can also ziemlich beliebt und einflussreich. In Deutschland gaben sich die Journalisten trotz des kurzen Charterfolgs 1972 eher skeptisch bis ignorant: "Die können ja gar nicht mit ihren Instrumenten umgehen." "Die wollen Rock machen, können es aber nicht." Zehn Jahre standen die vier mit wechselnden Sängern auf der Bühne und im Studio in Weilerswist bei Köln. Dann war die Luft raus.
Doch die Geschichte mit den Fans und der Anerkennung ist 1978 noch nicht zu Ende. Kanye West sampelt 2007 in seinem Song "Drunk & Hot Girls" Cans "Sing Swang Song". Can sind Pop geworden. "Ja, heute ist Can hoch im Kurs muss man sagen", sagt Gregor Schwellenbach, Musiker und Can-Fan aus Köln. Er unterrichtet Komposition am Pop-Studiengang der Folkwang-Universität in Essen und hat mit Irmin Schmidt ein Tribute-Konzert in London komponiert. "Mir scheint, dass Can heute auf dem Papier, in der Theorie, wesentlich mehr Anerkennung kriegen, als sie es während Ihrer aktiven Zeit in Deutschland bekommen haben."
Heißt also: Am Einfluss der Band zweifelt heute wohl keiner mehr und jeder Song oder Gitarrenriff ist mittlerweile auf Anthologien, Lost Tapes und Single-Sammlungen veröffentlicht.
"Deswegen werden die immer noch gespielt in Clubs oder Bars, wo Leute irgendwie auflegen, die einen guten Geschmack haben.", sagt Caroline Kox. Sie ist Anfang 30 und lebt als Musikerin in Köln. Can zu kennen, Can zu mögen und um Cans Einfluss zu wissen - steht heute für einen guten Geschmack. Bekommt die Band also auch in Deutschland die Anerkennung, die sie schon in den 1970er Jahren hätte bekommen müssen?
Gregor Schwellenbach: "Also ich bin dann ein bisschen misstrauisch, ob Can nicht im Moment eine Band ist, mit der man sich schmückt, dass man sie hört." Can ist eine Facebook-Band meint er, mit der man gut angeben kann. "Als die große Can-Box raus kam mit den Wiederveröffentlichung aller Alben war ich bei so einer Veranstaltung, bei der hatte quasi meine komplette Facebook-Freund Liste angegeben, dass sie bei der Veranstaltung dabei sind. Und dann kam ich da hin. Und dann waren wir insgesamt drei Leute unter 50."
Can passen zum Individualitätswunsch der Hipster
Musik als Accessoires, das die eigene Individualität und den guten Geschmack betont. Das betrifft nicht nur Can, sondern ist ein Phänomen unserer Zeit. "Man definiert sich darüber, welche Band man mag, und das ist aber ein Zeichensystem das auskommt oder den Inhalt selber also ohne dass man die Musik wirklich hören muss. Kann man sagen: Ich mag Stockhausen und Can."
Can passen zum Individualitätswunsch der Hipster. Ihre Musik ist sehr Eigen – inspiriert von amerikanischer, englischer und afrikanischer Musik, aber keine schlecht gemachte Kopie, sondern neu. "Das versucht man immer noch als Musiker, dass man diese super Einflüsse, die man aus der ganzen Welt kriegen kann, aufgreift ohne sie zu imitieren."
Can ist 50 Jahre nach der Gründung ziemlich schick. Ihre Musik klingt zeitlos, und trotzdem brauchen die teils ellenlangen Songs, die sich immer wiederholen nur langsam verändern, heute noch mehr Aufmerksamkeit. Und die hat in Zeiten des Internets und Social Media ja eigentlich längst keiner mehr. Da reicht es wohl, wie Gregor Schwellenbach sagt, so zu tun, als höre man sie und dann kann man ja wieder Kanye West anmachen. Oder was man eben sonst heimlich hört bei Streamingdiensten. Trotzdem: Der Ansatz von Can, etwas völlig Neues zu erschaffen, der bleibt.