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50 Jahre Debüt Jimi Hendrix
Die orchestrale Gitarre und ihre Folgen für die Rockmusik

Jimi Hendrix revolutionierte ab 1967 die Rockmusik und setzte Maßstäbe für das Spiel der Elektrogitarre: Vor 50 Jahren veröffentlichte er sein Debütalbum "Are You Experienced". Er starb 1970 im Alter von nur 27 Jahren und gilt dennoch als einer der einflussreichsten Musiker und Gitarristen aller Zeiten.

Von Tim Schauen |
    Porträt des US-amerikanischen Rocksängers und Gitarristen Jimi Hendrix, aufgenommen in seiner Londoner Wohnung (undatierte Aufnahme).
    Porträt des US-amerikanischen Rocksängers und Gitarristen Jimi Hendrix, aufgenommen in seiner Londoner Wohnung (undatierte Aufnahme). (dpa)
    Uschi Obermeier: "Also, der war so süß, das war einer, der ist ganz scheu, spricht auch ganz leise. Also hat einfach so eine Soul und war wirklich so ein lieber Mensch, wirklich."
    Ein ohrenbetäubend lauter Gitarrenverstärker. 100 Watt stark. Besser 200. Oder gleich ein paar davon. Davor ein schüchterner schwarzer Junge aus Seattle, mit einer weißen Gitarre: eine Fender Stratocaster.
    Marcel Thenee: "Das wird immer wieder gerne gesagt, aber ich glaube: Jimi Hendrix ist tatsächlich der Erfinder der modernen Rockgitarre, der ist der erste Gitarrist gewesen, der die Grenzen der Rockmusik neu definiert und die Gitarre auch komplett ausgelotet hat."
    Ein Amerikaner wird in England zum Superstar. Zu einer Ikone. Einem der größten Musiker aller Zeiten. Dem Vater der modernen Rockgitarre.
    Jimi Hendrix: "Chas Chandler, unser Produzent, war sich sicher - ich selbst wusste es nicht so genau. Schließlich hatte ich bis dahin noch nie für eine Album-Aufnahme gesungen."
    "Hey Joe", "Purple Haze", "Foxy Lady", das magische "The Wind Cries Mary", "Little Wing". Und. Und. Und. Psychedelischer Rock-Sound, der Ohren und Bewusstsein öffnete. Der Soundtrack zum Summer of love. Songs für die Ewigkeit.
    Musik "Hey Joe"
    John Allen Hendrix, geboren 1942 in Seattle. Sein Vater Al nannte ihn um in James Marshall, da war Jimi vier Jahre alt und spielte Mundharmonika. Die Eltern ließen sich scheiden, Jimi wuchs bei seinem Vater auf. Mit 13 bekam er eine akustische Gitarre, bald darauf eine elektrische. Wie alle Jugendlichen damals war er von Little Richard und Elvis Presley, vom Rock 'n' Roll fasziniert. Schon in den frühen 1960er Jahren spielte Hendrix in verschiedenen US-amerikanischen Blues, Soul- und Rhythm & Blues-Bands. Unter anderem für Wilson Pickett, Sam Cooke, Little Richard, die Isley Brothers, die Supremes. Dort lernte er, was als Gitarrist in Soul & R'n'B wichtig ist: Rhythmus und die rhythmische Begleitung auf der Gitarre. Dennoch sollte er später unter anderem dafür berühmt werden, Rhythmus- und Solo-Spiel der Gitarre perfekt zu verschmelzen.
    Musik "Spanish Caste Magic"
    Der Anfang
    Die Revolution der Rockmusik begann, als Chas Chandler, Musikproduzent und Bassist der Animals, den stillen 23-Jährigen Musiker aus den USA ins swingende London holte. Am 21. September 1966, mit einem fünf Tages-Visum. In der britischen Hauptstadt brachte Chandler Hendrix mit dem Bassisten Noel Redding und Schlagzeuger Mitch Mitchell zusammen – und umgehend in ein Studio. Marcel Thenee, stellvertretender Chefredakteur vom Fachmagazin guitar:
    "Die haben dann in Windeseile ein Album namens "Are you experienced" aufgenommen, das auch mit ganz wenig budget, sehr pragmatisch und trotzdem legendär vom Sound aufgenommen worden ist, nämlich in weiten Teilen live aufgenommen worden ist, aufgrund des geringen budgets. Soweit innovative Energie und Magie, dass Songs wie "Are you exeperienced" - das ist der Titelsong - streckenweise sowohl die Gitarrenspur als auch die Drumspuren rückwärts eingespielt wurden."
    Der US-amerikanische Rocksänger und Gitarrist Jimi Hendrix bei seinem Auftritt beim Popfestival auf der Ostsee-Insel Fehmarn 1970.
    Der US-amerikanische Rocksänger und Gitarrist Jimi Hendrix bei seinem Auftritt beim Popfestival auf der Ostsee-Insel Fehmarn 1970. (picture-alliance / dpa)
    Musik "Are You Experienced"
    "Im Kontext der Rockgeschichte ist das mit Sicherheit ein Meilenstein, das ist ein benchmark, der hat nicht nur Legionen an Gitarristen beeinflusst - damals wie heute -, sondern der hat auch berühmte Künstler wie Jeff Beck maßgeblich beeindruckt."
    Die erste Single war "Hey Joe". Ein Song, den Hendrix schon in Amerika in seinem Repertoire hatte. Dabei war Hendrix selbst anfangs nicht mal sicher, ob das Stück Potenzial hatte.
    Jimi Hendrix: "Chas Chandler, unser Produzent, war sich sicher - ich selbst wusste es nicht so genau. Schließlich hatte ich bis dahin noch nie für eine Album-Aufnahme gesungen."
    Musik "The Wind Cries Mary"
    Musik "Little Wing" - Stevie Ray Vaughan & Double Trouble
    Gegen Hendrix sah Gitarrengott Clapton alt aus
    Jimi Hendrix schlug im swingenden London ein wie eine Bombe - und die Stadt galt immerhin als Kulturnabel der Welt. Die Spitze der Popmusik war dort versammelt, die Beatles, die Stones. "Clapton is god" stand an den Wänden - und Gitarrengott Eric Clapton konnte, ebenso wie Jeff Beck und Pete Townsend von The Who, kaum glauben, was Jimi Hendrix bei seinen Londoner Shows abfeuerte: seine Gitarrenspieltechnik und sein Sound: den Verstärker voll aufgerissen! Melodiöses Spiel in ohrenbetäubender Lautstärke – bislang gab es im Rock, grob gesagt, Rhythmus- und Solo-Gitarre, der junge Amerikaner verschmolz es perfekt – im Stile der alten Blueser sang er Phrasen, die er auf der Gitarre beantwortete. Dazu die Art, wie er sich auf der Bühne bewegte, die Gitarre streichelte, auf sie einschlug, anzüglich zwischen den Beinen, hinter dem Rücken oder mit der Zunge spielte.
    Jimi Hendrix: "Wenn man eine Woche lang jeden Abend eine unserer Shows sieht, sind sie alle unterschiedlich unterschiedlich, denn die Musik berührt uns jeden Abend emotional anders."
    Prototypisches Rockstarverhalten!
    Dabei hatte er am Anfang schlicht Angst:
    Jimi Hendrix: "Oh, das war so hart für mich anfangs, ich hatte solche Angst und wollte gar nicht auf die Bühne - lieber hinter dem Vorhang bleiben und da spielen. Als ich in die Band kam, kannte ich drei Songs, ich wollte lieber hinten bleiben. Und die anderen Gitarristen, die sind alle so viel besser – da muss man immer dran bleiben, immer dran bleiben - so kann man es schaffen."
    Marcel Thenee: "Da gibt es eine berühmte Geschichte: Im Rahmen einer kleinen Clubshow hat er zu Gast damals bei Cream auf der Bühne im Grunde schon bei Eric Clapton dafür gesorgt, dass Clapton wieder nach Hause gegangen ist und wieder geübt hat."
    Hendrix fegte sie alle von der Bühne, gegen ihn sah Clapton alt aus. Jack Bruce, Bassist von Cream, sagte später: "Als ich Clapton spielen hörte, dachte ich, das ist ein Meister seines Fachs. Aber Jimi war eine Naturgewalt." Sie alle spielten damals schon laut - doch Jimi Hendrix war noch lauter: Unterarm auf alle Regler am Verstärker, die mit einer Armbewegung nach rechts voll aufgedreht wurden. Die sogenannte "englische Einstellung": So kommt auch die Endstufe des Verstärkers an ihre Grenzen, Röhren verzerren. Der Verstärker trägt zum singenden, lyrischen Gitarrenton bei - mit der Lautstärke eines Kampfjets.
    Beim Stichwort "Endstufenverzerrung" gucken Gitarristen bis heute verklärt. In der Folge von Hendrix' Londoner Gastspiel entbrannte ein Wettstreit darum, wer der lauteste ist – Pete Townsend von The Who büßte dabei sein Gehör ein. Und nebenbei kam so der Markt für Gitarrenverstärker in Gang. Der britische Schlagzeuger und Elektriker Jim Marshall - aktiv seit 1962 - spielte dabei eine wahrlich, ja, verstärkende Rolle und baute als "Lord of Loud" eine Weltfirma des Rock 'n' Roll auf. Hendrix nutzte gleich mehrere 200 Watt und 100 Watt Verstärker mit einer entsprechenden Anzahl Boxen. Auch setzte er das oftmals entstehende Pfeifen einer Rückkopplung meisterhaft ein. Dazu muss man sich im richtigen Moment im richtigen Winkel zum Verstärker drehen, damit es rückkoppelt - oder sich direkt vor den Verstärker stellen.
    Der amerikanische Gitarrist Jimi Hendrix tritt am letzten Tag (06.09.1970) des dreitägigen Pop-Festival "Love and Peace" auf der Ostseeinsel Fehmarn auf. Es war sein letzter Konzert-Auftritt. Hendrix starb am 18.09.1970 in London im Alter von 27 Jahren.
    Der amerikanische Gitarrist Jimi Hendrix tritt am letzten Tag (06.09.1970) des dreitägigen Pop-Festival "Love and Peace" auf der Ostseeinsel Fehmarn auf. (picture alliance / Dieter Klar)
    Linkshänder mit Gitarre für Rechts
    Hendrix war Linkshänder, Gitarren für Linkshänder gab es nur selten, also nahm er anfangs eine Rechtshändergitarre. Dass dann, wenn er sie umdrehte, die drei dicken Saiten unten waren und nun eine ganz andere Spieltechnik erforderten, das störte ihn nicht. Später spannte er die Saiten immerhin richtig herum auf seine umgedrehte Gitarre und griff dann mit dem Daumen von oben auf die Basssaiten, noch so eine Eigenart. Er verwendete im Rock unübliche Akkorde, die eigentlich aus dem Jazz stammten, vermied aber vermied aber althergebrachte Griffbilder. Hendrix hatte das Instrument so gut verstanden, dass er nur die Töne griff, die er wirklich brauchte – so konnte er viele leere Saiten spielen, der Sound bleibt offen. 1967 war - Zufall! - gerade das Wah Wah-Pedal auf den Markt gekommen. Natürlich nutzte Jimi es. Nicht als Erster. Aber unnachahmlich!
    Musik "Voodoo Chile (Slight Return)"
    Typisch Hendrix ist auch seine Zweistimmigkeit auf der Gitarre: Er spielte double stops, zweistimmige Licks und Riffs, also kurze Phrasen, die melodiös klangen. Dieser Einfluss wirkt bis heute nach: Stevie Ray Vaughan, Robin Trower, John Mayer - die Liste seiner Fans unter den Gitarristen ist schier unendlich. Einige habe Hendrix besonders gut studiert: John Frusciante – einst bei den Red Hot Chili Peppers. Gut zu hören im Song "Under The Bridge".
    Musik "Under The Bridge" (Red Hot Chili Peppers)
    Aus England kehrte Jimi Hendrix in die Vereinigten Staaten zurück – als Superstar! Natürlich hatte man von seinem Erfolg in Europa gehört.
    Das zweite Album
    Sieben Monate nach dem Debüt erschien "Axis: Bold As Love". Der britische New Musical Express schrieb:
    "Wenn Ihr das nächste Mal ein UFO mit gleißend blauen Flammen vom Nachthimmel herabstürzen seht, schaut genau hin. Es könnte dieser Reisende durch Zeit, Raum und Sound sein – Jimi Hendrix."
    Musik "Exp"
    Musik "Up From The Skies"
    Klar gab es Drogen, die ganze Szene war voll, transzendierte Althergebrachtes. Marihuana, Speed, Koks, Heroin. Der Sommer of love, die Hippies erlebten ihn nicht clean. Genau so klingt "Axis: Bold As Love". Die Welt drehte sich psychedelisch.
    Jimi Hendrix 1970
    Der US-amerikanische Rocksänger und Gitarrist Jimi Hendrix auf dem Pop-Festival auf der Ostsee-Insel Fehmarn 1970. (picture alliance/dpa/Foto: Dieter Klar / Wagenbach)
    Jimi Hendrix: "Meine persönliche Philosophie ist: Musik ist Teil meines Lebens, Teil von mir. Wir wollen das Publikum in einen hypnotischen Zustand versetzen,, vielleicht sogar ein Erweckungserlebnis schaffen. Jeder Song sollte am Ende eine Lösung anbieten. Unsere Songs entwickeln sich weiter, die sind wir kleine Babys, wenn wir sie loslassen, können sie gerade alleine laufen."
    Junger Mann, der Blues mochte
    In den sieben Monaten seit seinem Debüt hatte Hendrix sich unglaublich weiter entwickelt - als Songwriter und als Gitarrist. Auch mit 50 Jahren Abstand beeindrucken der Sound der Produktion sowie vor allem sein Gitarrenspiel. Im Gesang klingt er einen Schritt weiter - dabei war er ja immer noch ein junger Mann, der Blues mochte.
    Musik "If Six Was Nine"
    1967 war Hendrix zu Gast in Deutschland, er spielte in der Offenbacher Stadthalle vor einem Publikum, dass eher brave Beatmusik erwartet hatte – die Gesichter mancher Zuschauer jedenfalls wirken eher schockiert – noch nicht überall war die Welt bereit für die Revolution des Rock, obwohl die Beatles und die Stones gute Vorarbeit geleistet hatten.
    Jimi Hendrix: "Es ist schön zu sehen, wie die Leute die Shows genießen – wenn sie so Ausrasten könnte das auch mit Sex zu tun haben. Außerdem können sie vielleicht das ganze Jahr über nicht Schreien und so lassen sie alles auf einmal raus."
    "Das wird sie etwas runterbringen"
    Im Interview mit dem Hessischen Rundfunk erklärte der junge Rockstar auch seine Haltung zu typischer amerikanischer Unterhaltungsmusik:
    Jimi Hendrix: "Das wird sie jetzt vielleicht etwas runterbringen, aber meiner Meinung nach ist der Detroit-Sound sehr künstlich und kommerziell, es ist ein synthetischer, elektronisch hergestellter Sound. Das ist nicht der Sound, wie Schwarze singen! Es ist so schön konstruiert, dass ich dabei überhaupt nichts fühlen kann – außer vielleicht bei den Isley Brothers und den Four Tops. Das Geheimnis ist vielleicht der tolle Beat, den sie hinzufügen. Tausend Tambourins, dann tausend Geigen, tausend Blechbläser. Dann wird der Gesang tausendfach gedoppelt oder mit Echos belegt. Zwar hat das einen guten Beat und klingt auch gut, aber mir und anderen jüngeren Leuten ist das einfach zu künstlich, zu kommerziell."
    Grenzenloser Hype
    Innerhalb kürzester Zeit wurde Jimi Hendrix zum Weltstar, der Hype um ihn war grenzenlos. Er spielte eine Menge Konzerte, auf Festival: Monterey, Newport, Fehmarn, die Isle of Wright. 1968 erschien das dritte und letzte Album zu Lebzeiten: "Electric Ladyland". Sein Auftritt in Woodstock 1969 ist noch so eine Legende - dort hackte er die amerikanische Nationalhymne in Stücke, klares Statement gegen den Vietnamkrieg.
    Musik "Star Spangled Banner"
    Erstick am Erbrochenen
    Am 27. November 2017 wäre Jimi Hendrix 75 Jahre alt geworden. Wäre! Doch er starb da, wo seine Karriere begann: in London. Am 18. September 1970 fand ihn seine damalige Freundin, Monika Dannemann, leblos in ihrer Wohnung. Hendrix, übernächtigt und erschöpft, hatte Amphetamine, Wein und Schlaftabletten zu sich genommen - zusammen mit zwei Tunfisch-Sandwiches eine tödliche Mischung. Der Erfinder der modernen Rockgitarre war tot. Erstickt an seinem Erbrochenen. Er wurde nur 27 Jahre alt – in diesem kurzem Leben hat er die Musik-Welt verändert, weiterentwickelt, Maßstäbe gesetzt. Sein Schaffen wirkt bis heute nach. Generationen von Gitarristen sind von ihm beeinflusst. Nach ihm kamen Abermillionen, aber nur ganz wenige passen in seine Fußstapfen: darunter Stevie Ray Vaughan, Eddie Van Halen, Joe Satriani und Steve Vai.
    Wie wohl seine Entwicklung weiter gegangen wäre? Wir wissen es nicht, so früh gestorben Es bleiben nur die Bilder vom schmächtigen, scheuen Burschen – der auf der Bühne sein Refugium gefunden hatte. Gestorben mit 27 - forever young!
    Musik "All Along The Watchtower"
    Diese Sendung können Sie nach Ausstrahlung sieben Tage online nachhören.