Für die einen war es infernalisches Getöse, für die anderen eine künstlerische Offenbarung.
Mit einer wilden, genial inszenierten Kakophonie wollten "Deep Purple" gleich mit dem ersten Stück ihrer neuen Langspielplatte klar machen, wohin es mit diesem Album gehen sollte: in Richtung Hardrock – ohne Kompromisse.
"Die ganze Welt war gerade im großen Umbruch. Fünf Jahre vorher, 1965, treten die Beatbands "Hollies", "The Kinks", die "Beatles" noch gemeinsam im Anzug auf. Wohl adrett und die Haare gut geföhnt und gut gelegt. Das ist jetzt plötzlich alles ganz anders", sagt der Bonner Musikwissenschaftler und Rockexperte Volkmar Kramarz.
"The Free", "Led Zeppelin", "Black Sabbath" werden "Paranoid" machen in diesem Jahr. Es ist ein Jahr für mich der ungebrochenen Virtuosität. Das war der Durchbruch in eine neue, progressive Zeit."
Kreativer Neustart als Chance
Die drei Mitbegründer von "Deep Purple", Organist Jon Lord, Gitarrist Ritchie Blackmore und Schlagzeuger Ian Paice, wollten Teil dieser neuen Bewegung sein. Zudem waren sie enttäuscht vom Misserfolg ihrer ersten Alben, die in ihrer Heimat Großbritannien und im restlichen Europa kaum Beachtung gefunden hatten. Lediglich in den USA hatte man Notiz von ihnen genommen.
Ihre einzige Chance sahen die drei Musiker in einem kreativen Neustart.
Sie wollten auf die verwobenen psychedelischen Klänge und auf die Anleihen an die Klassik verzichten, die den Stil ihrer ersten drei Alben geprägt hatten. Und sie wollten keine fremden Stücke mehr von den "Beatles", Joe South oder Neil Diamond covern, sondern ausschließlich eigene Songs schreiben.
Für die neue musikalische Ausrichtung war Roger Glover als Bassist in die Band gekommen und Sänger Rod Evans war durch Ian Gillan ersetzt worden. Gemeinsam mit den drei Urmitgliedern bildeten sie die legendäre Top-Besetzung, die als die bislang beste der Bandgeschichte gilt.
Volkmar Kramarz: "Fangen wir bei Ian Gillan an, dem Sänger. Der konnte unheimlich hoch singen, der konnte die Töne treffen. Ian Paice am Schlagzeug zusammen mit Roger Glover als Bassist. Was für eine hämmernde, wirklich speedige Rhythmusgruppe. Und dann Ritchie Blackmore. Er gehört mitten hinein in diese Top Ten der Wahnsinnsgitarristen forever. Und dann natürlich Jon Lord an der Orgel. Und alle zusammen brachten diese Talente in alle Stücke jeweils ein."
Aufnahmearbeiten von sechs Monaten
Solche musikalischen Duelle zwischen Gitarre und Hammondorgel entwickelten sich fortan zum Markenzeichen bei "Deep Purple". Der 2012 gestorbene Jon Lord bezeichnete sie einmal humorvoll als lautstarke Auseinandersetzungen zwischen sich und Blackmore um die Vorherrschaft in der Band.
"To me, the meat and potatoes at the center of "Deep Purple" is Ritchie’s and my sound in the way it hangs together. And sometimes we have a loud discussion about presidency."
Volkmar Kramarz: "Das, was natürlich herausragte als Monolith aus der ganzen Platte, war "Child in time". Dieser Aufbau, dieses Langsame, diese immer höher steigende Stimme, dann diese irisierend ekstatischen Soli. Das waren für uns echte Kunstwerke. Das waren für uns Sinfonien der Neuzeit."
Die Aufnahmearbeiten für "Deep Purple in Rock" betrugen sechs Monate. Für ihr Debut hatten die Musiker gerade einmal drei Tage, für die beiden Nachfolger jeweils drei Monate Studiozeit benötigt.
Doch dieses vierte Album, am 1. September 1970 in Deutschland veröffentlicht, sollte ein Meisterwerk werden. Es brachte dem Quintett großen kommerziellen Erfolg, weltweite Anerkennung und gilt bis heute als Meilenstein der Rockgeschichte.
Jon Lord: "Ein Album ist erst einmal nur ein Stück Populärkultur für die Zeit, in der es entstanden ist. Mit etwas Glück überdauert es die Jahre und hat auch in späteren Epochen noch Bestand."