Abendgebet in der Arche-Gemeinschaft in Landsberg am Lech: Im Gebetsraum sitzt rund ein Dutzend Menschen. Fast jeden Tag um 18 Uhr treffen sich die Bewohner und Assistenten der Arche hier. Die Bewohner, das sind im bayerischen Landsberg zehn Menschen mit geistiger Behinderung. Rund ebenso viele Assistenten kümmern sich um sie. Vielen, die in der Arche-Gemeinschaft leben, ist das Abendgebet sehr wichtig - auch Fred.
"Des is immer was, wo ich dann da hocken kann, um wirklich mal direkt bei Jesus oder beim Gott zu sein. Und des ist einfach für mich wichtig. Weil ich da wieder Kraft krieg."
Der 35-Jährige lebt seit zehn Jahren hier und hat in dieser Zeit große Fortschritte gemacht, erzählt er. Er sei weniger verschlossen, könne besser auf Andere zugehen. Trotzdem ist Fred oft angespannt. Dann tue ihm das gemeinsame Gebet besonders gut.
Die Suppe zum Abendessen haben Assistenten und Bewohner gemeinsam gekocht. So viel wie möglich erledigen die Bewohner im Alltag selbst: Sie halten ihre Zimmer in Ordnung, holen Brot beim Bäcker. Wo nötig, helfen die Assistenten. Tagsüber gehen die Bewohner der Landsberger Arche arbeiten, die meisten in Behindertenwerkstätten in der Nähe.
Etwas völlig Neues
Dann kümmern sich die Assistenten um den Haushalt. Thomas Eggers ist einer der Assistenten, die selbst im Haus wohnen - seit fünf Jahren. Zur Arche kam der Heilerziehungspfleger und Theologe, weil er in einer christlichen Gemeinschaft leben wollte.
"Das Leben im Haus ist was Besonderes, weil man das komplette Leben teilt. Das ist kein Job und dann schmeiß ich irgendwann alles hin und verlasse das Haus, sondern wir teilen das Leben ja auch über Jahre miteinander."
Gemeinsam unter einem Dach zu leben mache die Beziehung zu den Bewohnern intensiver, sagt Thomas Eggers. Assistentin Conny Dering dagegen lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Landsberg. Der Umgang mit Behinderten war für die 59-jährige gelernte Krankenschwester etwas völlig Neues.
"Ich glaub schon, dass es am Anfang auch für die Bewohner schwierig war, weil ich vielleicht auch nicht so reagiert hab, wie man das normal macht. Aber mit der Zeit ist man einfach zusammengewachsen."
Obwohl viele Arche-Assistenten eine Fachausbildung haben, ist das keine Voraussetzung. Grundsätzlich kann jeder Assistent werden - und so lange bleiben, wie er möchte: wenige Wochen oder auch Jahre.
Tiefe Erschütterung
Auch für Jean Vanier, der vor 50 Jahren in Frankreich die erste Arche-Gemeinschaft gründete, war der Umgang mit geistig behinderten Menschen zunächst etwas ganz Neues. Der Besuch in einem psychiatrischen Krankenhaus hatte den Theologen und Philosophie-Dozenten tief erschüttert.
Dort hausten Dutzende geistig behinderte Männer ohne Beschäftigung und Zuwendung in riesigen Schlafsälen. Über diese Begegnung schrieb er später:
"Sie interessierten sich nicht im Geringsten für das, was in meinem Kopf vorging, dafür aber umso intensiver für meine Person: 'Wie heißt du? Was machst du? Wann kommst du wieder?' Alles in ihnen schrie nach Begegnung, nach Freundschaft und Gefühlen. Ihr Schrei rührte mich an."
Im August 1964 nahm der damals 35-Jährige zwei der Männer in sein Haus in einem Dorf nördlich von Paris auf - und nannte die Gemeinschaft 'Die Arche'. Schon bald kamen weitere Helfer hinzu, die Gemeinschaft breitete sich aus. Heute existieren knapp 150 Archen in rund 40 Ländern auf allen Kontinenten. In Deutschland sind es drei.
Mit sich glücklich sein
Die Arche versteht sich als ökumenische Glaubens- und Lebensgemeinschaft, ist aber offen für alle. Das Wichtigste sei, im Geist der Freundschaft zusammenzuleben, erklärt der Leiter der Landsberger Arche-Gemeinschaft, Markus Dietl:
"Ich denke, das ist so ein bisschen der Kern der Arche, dass wir glauben, dass Beziehungen wirklich auch Verwandlung und Veränderung bedeuten kann, dass wir uns miteinander entwickeln. Und da hab ich auch die Jahre hindurch immer wieder so kleine Wunder erlebt, wie manche Menschen aufblühen."
Damit meint er vor allem die Bewohner. Doch das gemeinsame Leben verändert nicht nur sie. Viele Assistenten berichten, der Kontakt mit den Bewohnern habe auch ihr Leben sehr bereichert. Allerdings ist das Gemeinschaftsleben beileibe nicht immer einfach, betonen alle Landsberger Arche-Mitarbeiter. Assistent Thomas Eggers hat sein Leben in der Arche mehrfach grundlegend infrage gestellt:
"In den zwölf Jahren hat es öfters auch Zeiten gegeben, wo ich mich gefragt habe, warum mache ich das, warum tue ich mir das an. Und wäre manchmal auch am liebsten gegangen."
Das lag vor allem an persönlichen Krisen und an Entscheidungen der jeweiligen Gemeinschaft, mit denen Eggers große Probleme hatte. Letztlich hat er aber immer wieder gemerkt, dass das Leben in der Arche ihn trotz aller Schwierigkeiten sehr erfüllt. Und auch Bewohnerin Linde geht es so:
"Ich finde, dass ich jetzt total offen zu neuen Leuten bin und hilfsbereit und ich bin glücklich mit mir."