Am 19.April 1964 wurde das Institut für Deutsche Sprache (IDS) gegründet. Die außeruniversitäre Einrichtung hat ihren Sitz in Mannheim. Finanziert wird die Stiftung des bürgerlichen Rechts aus Landes- und Bundesmitteln. Das Jahresbudget liegt bei rund 11 Millionen Euro. Über einhundert Wissenschaftler arbeiten dort und beschäftigen sich mit drei Arbeitsschwerpunkten. Die Abteilung Grammatik befasst sich mit den grammatischen Strukturen der deutschen Gegenwartssprache. Die Abteilung Lexik durchforstet die deutsche Sprache und bringt ihre Ergebnisse in speziellen Lexika, wie dem "Deutschen Fremdwörterbuch" oder der Sammlung über "Wortbedeutungen" heraus. Und die Abteilung Pragmatik schaut den Menschen in Deutschland im wahrsten Sinne des Wortes auf den Mund, möchte wissen, wer, warum wie spricht und auf welche Weise mit der deutschen Sprache im Alltag umgegangen wird.
Der Direktor des Instituts, Ludwig Eichinger, packt die grundsätzliche Aufgabe des Instituts in eine kurze Formel: "Wir haben das Ziel, möglichst viel über das Deutsche, möglichst genau Bescheid zu wissen." Direktor Eichinger hat auch sofort ein überraschendes Beispiel dafür parat, dass sich nicht nur Sprachwissenschaftler mit Anfragen an das Institut wenden, sondern, dass es mitunter auch sehr profane Gründe geben kann, etwas über die korrekte Anwendung der deutschen Sprache erfahren zu wollen. "Zum Beispiel kann ich sagen, dass wir in den letzten Wochen mehrere Anfragen bekommen haben von Institutionen, die so etwas machen, wie sprechende Navigationsgeräte", erzählt Eichinger.
Frei von wirtschaftlichen und politischen Interessen
Ja, auch solche profanen Dinge gehören zum Kerngeschäft des IDS. Das Institut stellt seinen Wissensschatz und die Ergebnisse zurückliegender und aktueller Forschungen der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Gesellschaft und der Politik zur Verfügung, arbeitet dabei vollkommen frei und unabhängig von wirtschaftlichen und politischen Interessen. Anders als bei unseren französischen Nachbarn soll es laut IDS-Direktor Eichinger keine Sprachendiktatur geben, die genauestens vorschreibt, was richtig und was falsch ist: "Wir sind ja nicht, wie in Frankreich, die Academie Francaise. Also dass wir sagen, so ist es richtig. Aber mehr und mehr geben wir doch, weil wir durchaus meinen, im Lauf der Jahrzehnte ein Wissen erworben zu haben, Akzeptabilitätsurteile. Und auch weil wir das Deutsche in Breite und Tiefe erforschen, möchten wir der Erforschung und der Vertretung des Deutschen auf der Welt eine Stütze zu geben. Und wir verstehen uns in diesem Kontext auch als Teil der Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland."
Ein hehres Ziel. Auf dieser Ebene arbeitet das IDS eng mit den "Auslandsvertretungen" der deutschen Sprache, also mit dem Goethe-Institut und mit dem Deutschen Akademischen Austausch-Dienst (DAAD) zusammen. Es bestehen auch enge internationale Kontakte mit den Germanistik-Fakultäten an den Universitäten in anderen Staaten. Jedes Jahr sind rund 80 ausländische Sprachwissenschaftler in Mannheim zu Gast, die dort von einer Woche bis zu einem ganzen Jahr an verschiedenen Forschungsprojekten arbeiten und am IDS mit Sicherheit zu jedem Themenfeld die passenden Fachleute finden, die sie beraten und betreuen. Wie in jedem Wissenschaftszweig, geht auch in der Germanistik das Probieren oft über das Studieren. Für die Pragmatik-Abteilung des IDS heißt das oft: Weg vom Schreibtisch, weg von den Büchern, weg von der Theorie und hinein ins pralle Leben.
Bandbreite des Deutschen
Eichinger: "Wir versuchen ja dem Standard-Deutschen und seiner Umgebung nahe zu kommen. Dann haben wir von ein paar Jahren an 180 Orten im deutschen Sprachgebiet Vororterhebungen gemacht mit vier Abiturientinnen und Abiturienten und zwei über 50-jährigen Menschen, die auch mindestens Abitur hatten, die wir dann in verschiedenster Weise dazu gebracht haben, so hochdeutsch wie möglich zu sprechen und so "unhochdeutsch" wie möglich zu sprechen, um zu sehen, wie die Bandbreite ist und um zu sehen, wie realistisches Standarddeutsch aussieht. Dazu gibt es wenig konkrete Erkenntnisse. Da sitzen jetzt vierzig Hilfskräfte dran und transkribieren. Und die Ergebnisse werden sicher in Aussprachewörterbüchern einfließen."
Auch in der Abteilung Grammatik des IDS rauchen zurzeit die Köpfe der Wissenschaftler. Dort wird an einem interessanten Projekt gearbeitet, bei dem die grammatikalischen Strukturen verschiedener europäischer Sprachen im Vergleich zum Deutschen untersucht werden. Grammatikalische Regeln, sprachliche Schön- und Feinheiten werden in der modernen zwischenmenschlichen Kommunikation allerdings immer öfter über Bord geworfen. Per Twitter oder SMS werden Nachrichten versendet, die oft nur noch aus einer reinen Kürzelsprache bestehen. Und auch beim Mailverkehr scheint alles vergessen, was man im Deutschunterricht einmal über Form und Gestaltung eines Textes und einer schriftlichen Konversation gelernt hat. Wie sieht der Direktor des IDS diese Entwicklung? "Es ist erkennbar, dass hier Kommunikationsbedürfnisse gestillt werden. Dass man SMS mal schreibt, weil's praktisch ist und dass die, vernünftiger Weise, eine Kürze anstreben, wenn es schnell gehen soll. Solange das auf diese Medien beschränkt ist, und man nicht nur diese Medien benutzt, scheint mir das für den Sprachgebrauch nicht so dramatisch. Bei E-Mails von meinen Studenten da bekomme ich was von „Sehr geehrter Herr Professor und mit freundlichen Grüßen" bis „Hi Prof. und Gruß sowieso". Die Sprache als Ganzes ist dadurch sicher nicht gefährdet. Man sollte auch sehen, dass so etwas sprachsymbolisch ist. Jugendsprachliche Varianten wachsen sich auch wieder aus."
Einfluss der Migranten auf die deutsche Sprache
1955 wurde auf bilateraler Ebene das deutsch-italienische Anwerbeabkommen vereinbart. Die ersten Gastarbeiter, wie man sie damals nannte, kamen aus Italien nach Deutschland, um beim Wirtschaftsaufschwung mitzuhelfen und die Lücken auf dem hiesigen Arbeitsmarkt zu füllen. Doch die Italiener brachten nicht nur ihre Arbeitskraft mit nach Deutschland, sondern auch ihre Kultur. Ab 1960 folgten weitere Anwerbeabkommen mit Spanien, Griechenland, der Türkei, Marokko, Südkorea, Portugal und Jugoslawien. Nachkriegsdeutschland wurde zur Multikulti-Gesellschaft. Welchen Einfluss die damaligen Gastarbeiter und heutigen Migranten auf die deutsche Sprache haben, ist natürlich auch ein Forschungsfeld des IDS.
Eichinger: "Es gibt von 1968 einen berühmten Aufsatz des australischen Kollegen Michael Clyne über das Gastarbeiter-Deutsche. Seither wird das mit unterschiedlicher Intensität diskutiert. Im letzten Jahrzehnt eher mehr. Es gibt tatsächlich in der Sprachwissenschaft die Hypothese, dass sich neue Art-Dialekte des Deutschen entwickeln würden, die von Leuten auch gesprochen wird, die keinerlei Migrationshintergrund haben, das wird untersucht und ist umstritten. Die Mehrheitsmeinung ist allerdings, dass es im Wesentlichen soziale Stile sind, dass die meisten Sprecher auch andere können und zu bestimmten sozialen Zwecken so eine Sprachform nutzen."
Päpositionen werden weggelassen
"Typische Merkmale sind ja auch, dass Präpositionen weggelassen werden, Artikel weggelassen werden. Und es ist zweifellos wahr, dass solche Vereinfachungen keine simplen Fehler sind, sondern einem System folgen. So gesehen hat man gelernt, was man früher auch schon für die Dialektik gelernt hat, dass das nicht bloß einfach nur schlechtes Deutsch ist, sondern dass dahinter Strategien stehen. Wie weit dies auf die Sprechsprache langfristig Einfluss nehmen wird, dazu kann man heute noch nichts Verlässliches sagen", sagt der Institutsleiter.
Für solche Untersuchungen arbeiten die Sprachwissenschaftler des IDS fachübergreifend mit Sozialwissenschaftlern und manchmal, wenn es um sprachgeschichtlich relevante Dinge geht, auch mit Historikern zusammen. So geschehen bei einem Projekt, das sprachliche Entwicklungen im Kontext mit historischen Umbrüchen im 20. Jahrhundert beleuchten soll. Besonderes Augenmerk verdienen dabei die Weimarer Republik, die unmittelbare Nachkriegszeit um 1945 und der gesellschaftliche Wandel von 1968. Aber auch die objektive fachliche Beratung und die Schlichtung bei der sehr heiß geführten Diskussion um die Rechtschreibreform von 2006 sind wichtige Aufgaben, die eine Einrichtung wie das IDS notwendig machen.
"Und das ist auch die Rechtfertigung so eines Instituts, dass man für die deutsche Sprache das Wissen in dieser Größenordnung bereitstellen möchte und die Universitätsforschung sich daran auch bedienen kann und ihre Spezialforschungen daran anschließen kann", sagt Eichinger.