Es begann mit einem Systemabsturz. Als Wissenschaftler den ersten Abschnitt des Arpanet, dem Vorläufer des heutigen Internets, zwischen zwei Knoten-Rechnern an der University of California in Los Angeles und dem Stanford Research Institute testen wollten, da versagte der neuartige Internet Message Processor erst einmal. Das war am Abend des 29. Oktober 1969, also vor 50 Jahren und vier Tagen.
Doch noch am selben Abend funktionierte der Router mit der damals brandneuen Technologie und das erste paketvermittelte Fernverkehrs-Datennetz war in Betrieb. Es heißt heute Internet und einer der Pioniere, nämlich der systemverantwortliche Wissenschaftler an der UCLA kann sich an die Details noch lebhaft erinnern. Manfred Kloiber hat Professor Leonard Kleinrock über die Geburtsstunde des Internets interviewt.
Kloiber: Der 29. Oktober 1969, was war das damals für ein Tag?
Kleinrock: Es war ein ganz normaler Tag und wir hatten keine Kamera und kein Tonbandgerät.
Kloiber: Und was haben Sie an diesem Tag gemacht, nachts um halb elf, war es, glaube ich?
Kleinrock: Wir hatten den zweiten Knoten des Arpanets, dem Vorläufer des Internets installiert, sodass wir nun mit dem Stanford Research Institut und der University of California in Los Angeles ein Zwei-Knoten-Netzwerk hatten, mit dem wir die grundlegende Funktionalität ausprobieren konnten. Nämlich sich an seinem lokalen Computer so auf einem anderen, entfernten Computer anmelden zu können, als ob es der eigene wäre. An diesem Abend war ich zusammen mit einem meiner Softwareingenieure, einem Doktorand, in unserem Labor. In Stanford war es ähnlich und wir waren soweit, die erste Nachricht zu senden.
Allerdings hatten wir keine gute Nachricht parat. Alexander Graham Bell hatte eine gute Nachricht für das Telefon. Samuel Morse hatte eine gute für den Telegrafen. Und Neil Armstrong, als er auf dem Mond landete, hatte seine wundervolle Botschaft "ein riesiger Schritt für die Menschheit". Diese Jungs waren schlau. Sie verstanden die Bedeutung der Presse und der Medien. Wir dagegen hatten keine Botschaft, wir wollten uns einfach nur auf dem Remotecomputer anmelden. Dazu musste man L O und G eingeben, also nur drei Buchstaben, um eine Verbindung herzustellen. Allerdings testeten wir ja die brandneue Paketvermittlungs-Technik aus. Und wir hatten keine Ahnung, ob das funktionieren würde. Theoretisch ja, aber hier war ja die Praxis.
Und damit alles gut geht, hatten wir eine ganz normale Telefonverbindung von meinem Programmierer zum Programmierer beim Stanford Research Institute. Und jetzt denken sie mal an die Ironie: Wir verwenden das Telefonnetz, um eine neue Technologie zu testen, die das Telefonnetz am Ende überflüssig machen wird. Los ging es. Charlie tippte das L und am anderen Ende der Telefonleitung war Bill Duval und sagte, hab das L. Die allererste Botschaft über das Internet war also "lo" wie in lo and behold, also ‚siehe da!‘. Wir hätten uns keine pathetischere, keine profundere, keine stärkere Botschaft wünschen können als dieses einfache ‚lo‘. Und das war, wie Sie sagten, am 29. Oktober 1969 um halb elf Uhr nachts.
"Eine sehr effiziente, dynamische Nutzung"
Kloiber: Sie haben ja erzählt, dass sie die Paketvermittlungstechnik ausprobieren wollten. Was ist die Idee hinter der Paketvermittlung?
Kleinrock: Also, vergleichen wir das mal mit dem Telefonnetz. Wenn Sie und ich miteinander telefonieren, werden eine Reihe von Leitungen im Telefonnetz geschaltet, die uns miteinander verbinden. Während unseres Telefonats sind diese Leitungen nur für unsere Unterhaltung bestimmt. Und wenn ich zwischendurch einen Schluck Kaffee nehme oder eine Pause einlege, dann werden diese Leitungen für diese kurze Zeit verschwendet. In einem normalen Gespräch schweigen Sie ungefähr ein Drittel der Zeit, das ist völlig normal.
Bei Datenleitungen ist dieser Effekt aber viel stärker. Mehr als 99 Prozent der Zeit herrscht Schweigen, weil einzelne Befehle oder Dateien immer als kurzer, intensiver Schwall versendet werden. Bei der Paketvermittlung wird beim Senden einer Datei die Datei in kleine Stücke geschnitten. Und jedes Paket wird unabhängig voneinander Knoten für Knoten durch das Netzwerk geleitet, bis es das Ziel erreicht. Und wenn diese Pakete dort ankommen, dann werden sie wieder in die richtige Abfolge gebracht. Wir stellen die ursprüngliche Nachricht wieder her und übermitteln sie an den Endcomputer. Aber auf dem Weg, wenn ein Paket zwischen zwei Knoten gesendet wird und die Übertragung beendet ist, dann kann die Verbindung zwischen diesen beiden Knoten von einem anderen Benutzer verwendet werden. Es ist also eine sehr effiziente, dynamische Nutzung des Kommunikationssystems. Wenn ich es nicht benutze, kann es jemand anderes benutzen.
Kloiber: Aber es ging ja nicht nur um die Paketvermittlungen, sondern auch ganz konkret um den Aufbau des Arpanets. Was war das Neue am Arpanet?
Kleinrock: Also die Organisation, die das Arpanet finanziert hat, die Agentur für fortgeschrittene Forschungsprojekte, kurz ARPA, die war beim Verteidigungsministerium angesiedelt und hat das Arpanet gegründet. Und warum? Die Arpa finanzierte viele Forschungszentren in den Vereinigten Staaten. Jeder dieser Standorte bildete Schwerpunkte heraus. Zum Beispiel exzellente Computergrafik an der Universität von Utah oder Höchstleitungsrechnen an der Universität von Illinois. Und damit zum Beispiel ein Anwender an der University of California auf die Computergrafik in Utah zugreifen konnte, kam der Wunsch nach diesem Netzwerk auf. 1966 wurde diese Netzwerk-Idee geboren, die Forschungsstandorte miteinander zu verbinden, damit die Hardware und die Software geteilt werden konnten.
Am Labour Day, am Tag der Arbeit ist der erste Switch bei der University of California angekommen. Einen Monat später, im Oktober, traf der zweite Switch beim Stanford Research Institute ein und jetzt hatten wir das Netzwerk mit zwei Knoten. Einen Monat später traf an der University of California Santa Barbara der dritte Knoten ein. Und einen Monat später im Dezember 1969 stand der vierte Knoten an der University of Utah. Tatsächlich war der erste Teil des Internet-Rückgrats die Verbindung zwischen der University of California und dem Stanford Research Institute. Und sie lief mit der rasanten Geschwindigkeit von 50.000 Bit pro Sekunde, was heute sehr langsam ist – damals aber sehr schnell. Das Netzwerk wuchs und wuchs zu dem riesigen Netzwerk an, das wir heute Internet nennen.
Kloiber: Wie wurden denn diese Verbindungen zwischen den Knoten realisiert? Waren das gebündelte Telefonleitungen oder spezielle Datenleitungen?
Kleinrock: Das ist sehr interessant. Wir haben gemietete Telefonleitungen von AT&T verwendet. Wobei mehrere Leitungen gebündelt wurden, damit wir auf eine Kapazität von jeweils 50 Kbit pro Sekunde kamen. Aber die üblichen Telefonvermittlungen haben wir durch spezielle Vermittlungsrechner ersetzt, um die neue Paket-Vermittlungstechnik nutzen zu können.
"Heute aber ist die dunkle Seite des Netzes so allgegenwärtig"
Kloiber: Und warum war diese erste Nachricht jetzt so wichtig?
Kleinrock: Nun, wenn Sie das Ganze mal als Organismus betrachten, dann sprach das Kleinkind Internet seine ersten Worte. Es war das erste Mal, dass zwei Maschinen an unterschiedlichen Orten in ihrer eigenen Sprache kommunizieren. Sie können sich auf dem entfernten Computer anmelden und dessen Dienste an seinem Standort verwenden. Und es war das erste Mal, dass zwei verschiedene Maschinen per Paketvermittlungstechnologie verbunden wurden. Das war die Grundlage für dieses enorme Netzwerk, in dem Sie nicht nur Text oder Daten, sondern auch Videos senden können, Dateien oder Sprache. Es war der Beginn der Computer-zu-Computer-Kommunikation von heute.
Kloiber: Wenn Sie sich heute in der gleichen Situation wie 1969 befänden, was würden Sie dann anders machen?
Kleinrock: Ich hätte vielleicht erkannt, dass sich dieses Netzwerk anders verhält, wenn es von ganz normalen Menschen und von der Wirtschaft genutzt wird. In diesen frühen Tagen des Internets haben wir doch jedem im Netz vertraut. Ich kannte sie alle. Das waren alles angesehene Leute, die kein Interesse daran hatten, das Netz zu verletzen. Heute aber ist die dunkle Seite des Netzes so allgegenwärtig. Identitätsdiebstahl, Datenskandale, Spam, Phishing, Betrug. All das haben wir damals nicht geahnt. Auf solche Attacken auf die Infrastruktur haben wir uns nicht vorbereitet. Sonst hätte ich für stärkere Benutzerauthentifizierung und für stärke Datei-Authentifizierung gesorgt, damit das System sich gegen Angriffe besser verteidigen kann. Denn die dunkle Seite beschädigt das Netzwerk erheblich, wie Sie wissen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.