Die irische Band Clannad ist mit ihren stilbildenden Folk-Pop-Rock-New-Age-Interpretationen seit Mitte der 1970er-Jahre weltweit erfolgreich und verfügt vor allem in Deutschland über eine große Fangemeinde. Die Familienband aus der nordwestirischen Region Donegal hob verloren geglaubte traditionelle gälische Songschätze, interpretierte diese mit damals unüblichem Harmoniegesang und arrangierte auch mal soft-jazzig.
Musik: "Thios Cois Na Tra Domh"
"Unten am Strand –mitten in der Nacht.
Die große Welt schläft –und ich bin allein.
Die Seevögel rufen traurig - wie arme Seelen mit Schmerzen.
Oben auf der Landspitze der gesegnete alte Friedhof.
Der Ort, an dem Heilige vor langer Zeit lebten.
Einsamkeit trifft meine Stimmung".
Die große Welt schläft –und ich bin allein.
Die Seevögel rufen traurig - wie arme Seelen mit Schmerzen.
Oben auf der Landspitze der gesegnete alte Friedhof.
Der Ort, an dem Heilige vor langer Zeit lebten.
Einsamkeit trifft meine Stimmung".
Eine Familienband
"Thios Cois Na Tra Domh" - damals vor rund 50 Jahren aufgenommen - ein traditionelles Lied und die überhaupt allererste Studioeinspielung des Quintetts. Clannad eine Familienband mit den Geschwistern Ciaran, Pol sowie Maire Brennan und ihren Zwillingsonkeln Noel und Padraig Duggan. Ciaran Brennan sorgt mit seinen füllenden Kontrabasslinien für das Fundament. Pol Brennan bläst mit seiner Querflöten und Tin Whistle Virtuosität die melodische Vitalität in die Songs und Tunes. Rhythmus-Gitarre spielt Noel Duggan, während Zwillingsbruder Padraig die höher tönenden Verzierungen als "Feinmechaniker" auf Mandoline und Mandola beisteuert. Und da sind natürlich noch die warmen, fließenden Klänge der archaischen keltischen Harfe - gezupft von Maire Brennan, sie singt dabei kräftig unterstützt vom männlichen Part der "Family". Im Nordwesten der Grünen Insel wuchsen die Fünf auf. Hier liegen ihre kulturellen, sprachlichen und auch musikalischen "Roots" eingebettet in eine atemberaubende Landschaft, mit der auch Maire Brennan tief verwurzelt ist.
Maire Brennan: "Aufgewachsen bin ich in Donegal, hier habe ich auch praktisch mein ganzes Leben verbracht. Hier hatte ich eine wundervolle Kindheit in einer Umgebung, die so typisch für Donegal ist. Charakteristisch sind hier die Landschaften mit Stränden und Klippen und mit Bergen und Tälern. All das vermittelt unglaublich erdige Gefühle in einer wildromantischen Schönheit, die man – und das mag vielleicht etwas befangen klingen – nirgendwo anders auf der Welt so findet."
Musik: "Dtigeas a Damhsa"
In den Brennan und Duggan-Elternhäusern befand sich immer ein buntes Sammelsurium von Instrumenten, griffbereit für jeden. Die Band erfuhr in dieser familiären Multikulti-Welt ihre musikalische Frühsozialisation, berichtet Maire Brennan:
"Mit jeder Menge Musik im Haus bin ich aufgewachsen. Mein Vater leitete eine Tanzkapelle, meine Mutter war gelegentlich auch mit dabei. Und so erlebte ich zunächst Musik dort auf dem Lande. Ich lauschte immer, wenn mein Vater mit seiner Band im Wohnzimmer probte. Und da gab‘s auch noch die musikalischen Einflüsse in der Grundschule durch meine Großeltern mütterlicherseits, die beide dort unterrichteten. Die waren sehr in der Tradition der alten gälischen Folksongs sowie der lokalen Poesie verwurzelt. So erlebte und lernte ich Traditionelles auf der einen Seite unserer Familie und gleichzeitig hörte ich von meinem Vater aus dem Wohnzimmer die Songs von Nat King Cole über die Everly Brothers bis hin zu Elvis Presley. Das war eine tolle und aufregende Kindheit, eine solche Fusion von Musikstilen zu erleben. Diese Erfahrungen haben sich ganz bestimmt prägend auf die Einflüsse ausgewirkt, denen ich im Laufe der Jahre begegnet bin."
Pub als Karrieresprungbrett
Als sich Ende der 1960er-Jahre die Ära der Showbands, der Tanzkapellen, in Irland ihrem Ende neigte, kaufte sich Vater Leo im Nachbardorf Meenaleck einen Pub, um sich selber und vielen anderen "local musicians" eine künstlerische Plattform zu bieten. In dieser Kneipe wurde und wird bis heute Musikgeschichte geschrieben. Maire Brennan erinnert sich gern an "Leo‘s Tavern" als Clannads Karrieresprungbrett.
"Das bedeutete, dass auch wir dort diese Bühne zum Musizieren benutzten. Immer wenn wir in den Collegeferien nach Hause kamen, erlaubte uns mein Vater jeweils einen kurzen Spot, bevor er selber auf die Bühne ging. Und wir sangen und spielten dann einfach alles, ob es Lieder in Gälisch waren oder moderne Songs, die uns beeinflussten, von den Beach Boys über The Mamas and the Papas bis hin zu Joni Mitchell und natürlich waren auch die Beatles mit dabei. Unser Repertoire war auch durchmischt von traditionellen irischen Songs. Wir liebten Musik, deshalb haben wir halt einfach alles gespielt, was wir mochten. Ganz besonders beeindruckt und beeinflusst hatten uns die Beach Boys mit ihren vielschichtigen Vokalharmonien. Diese Stilistik mit entsprechendem Sound kreierten und entwickelten wir innerhalb unserer Familie. Dabei entdeckten wir, dass das Timbre unserer Stimmen eine erstaunlich wohlklingende mehrstimmige Mischung erzeugte."
Musik: "Nil Se´n La"
Die Spots der fünf Teenager in "Leo‘s Tavern" erfreuten sich generell wachsender Beliebtheit bei der Laufkundschaft und auch bei dem einheimischen Stammpublikum, lösten aber auch eine sprachliche Kontroverse aus.
"Es war irgendwie eine sehr komische Situation, weil wir gälische Songs sangen. Damals in den 1960er Jahren hörte man solche Lieder praktisch gar nicht in der Öffentlichkeit. Sie galten zu jener Zeit als Songs der Armen und Ungebildeten und als "culchie" wie es in Irland heißt. Von den Einheimischen gab‘s für die gälischen Lieder jedenfalls keinen Applaus, die fühlten sich mit ihrer sprachlichen Identität eher vorgeführt. Diese Reaktionen waren zwar ziemlich beeindruckend, dennoch blieben wir stur und hartnäckig. Wir schritten mit unserer Entwicklung und Bearbeitung einfach immer weiter voran."
Plattenvertrag als Preis
Und genau dort in "Leo‘s Tavern" gründeten Ciaran, Pol und Maire mit ihren Onkeln Noel und Padraig ihre Familienband Clannad. Das war im Jahre 1970. Im selben Jahr gab es auch gleich den ersten Karriereschub. Bei einem Nachwuchswettbewerb im Rahmen vom "Letterkenny" Folk Festival" gewannen die "Youngsters" mit ihren innovativen Arrangements traditioneller Lieder den 1. Preis. Als Belohnung erhielt die Band einen Plattenvertrag für ihr Debutalbum. Von da an spielten sie keine Pop-Cover mehr, aber traditionelle gälische Songs und Eigenkompositionen.
"Wir haben viele unbekannte Songs bearbeitet und damals hatten wir ja noch kein eigenes Material produziert. Wir besuchten vor allem die ältere Generation, nahmen ihre Lieder auf und lauschten ihren alten Geschichten und deren Ursprung. Dieses Vorgehen kreierte für uns die Wurzeln, als wir begannen, selber zu komponieren und zu texten. Dies geschah erst nach unserem sechsten Album. Nur gut, dass wir nicht auf die Leute gehört haben, die gesagt hatten: "Mit den gälischen Liedern werdet ihr nirgendwo landen!Ganz im Gegenteil, das hat uns eher angespornt und unser eigenes Songwriting bereichert. Es war gut, genau dies so zu tun."
Clannad hoben verloren geglaubte traditionelle gälische Songschätze, interpretierten diese mit dem damals unüblichen mehrstimmigen Harmoniegesang und versahen diese Lieder mit soft-jazzigen Arrangements. In dieser Machart gestaltete Clannad die ersten 6 von insgesamt 16 Studioalben. Fast ausschießlich eigenes Songwriting zeigte die Gruppe dann seit Anfang der 1980er Jahre ab dem Album Nummer 7 "Magical Ring". Zu den akustischen Instrumenten kamen zunehmend mystische Synthie-Flächen und stärkere Rhythmik, begleitet von hallorientierten Vokalharmonien.
Musik: "Croi Croga"
Anfang der 1980er kam der Erfolg und Clannad spielten zunehmend auf größeren europäischen Bühnen, vor allem in Deutschland, wo dieser "zeitgenössische Folk" gut ankam. Zwischen 1979 und 1981 gehörte auch die jüngere Schwester Eithne zum Ensemble. Später war sie als Enya solo weltweit erfolgreich. Angelockt besonders durch Clannads intensive Vokalpräsenz bemühten sich Anfang der 1980er Jahre Autoren und Produzenten einer britischen TV-Produktionsfirma um die irische Band. Die Gruppe nahm einen Kompositionsauftrag an und produzierte den Titelsong für einen mehrteiligen Polit-Thriller.
"Wir hatten keine Ahnung, wovon der Film endetwas reingezogen werden. Hier ging es nämlich um die Unruhen in Nordirland. Als wir den Rohschnitt des Films sahen, stellten wir fest, dass das Konzept, sich gegenseitig umzubringen einfach nicht funktioniert. Wir lasen dann in einer uralten irischen Schrift wie positive Eigenschaften von uns Menschen verschwinden, wenn wir nicht sorgfältig sind. Wir entdeckten antike Weisheiten über den Mond und die Sonne, über Jugend, Schönheit und das Alter. Diese Sprüche reflektierten uns ins Jetzt und wie wir gerade dabei sind uns in dieser Welt selbst zu zerstören. Wir nahmen den Song auf und jeder mochte ihn."
"Theme from Harry‘s Game" schlug ein wie eine Bombe. Direkt nach der TV-Ausstrahlung spielten die britischen Radiostationen den Titel hoch und runter. Das geschah 1982. "Theme from Harry‘s Game" landete sogar auf Platz 5 in den britischen Top Ten. Das dazugehörige Clannad-Album "Magical Ring" blieb insgesamt 6 Wochen in den Charts.
Klangtüftler für Filmmusik
"Wir waren von dem Erfolg total überrascht, weil der Song in Gälisch war. Hätten wir geplant einen Hit zu schreiben, wäre das ganz bestimmt nicht in Gälisch geschehen. "Wie fühlt man sich, wenn man einen erfolgreichen Pop-Song geschrieben hat?" wurden wir gefragt. Das ist kein Pop-Song! war unsere Antwort. Nichtsdestotrotz wurden wir ins britische Fernsehen zu "Top of the Pops" eingeladen und sangen dort erst- und einmalig einen Song in Gälisch. Es war absolut toll, dass wir dort mit unserem eigenen Stil gelandet waren und Anerkennung erfuhren für das, woran wir wirklich glaubten. Und das war außergewöhnlich."
Musik: "Theme from Harry´s Game"
"Harry‘s Game" lief in Deutschland als "Das tödliche Patt". Der Titelsong verhalf Clannad zum internationalen Durchbruch und war bis heute ihr größter kommerzieller Erfolg. Clannads Stilistik bewegte sich nun immer mehr in Richtung "New Age - Synthie-Pop" mit fast ausschließlich englischen Texten. Das Quintett war als Klangtüftler und Soundtrack-Interpreten gefragt. Mehr als ein Dutzend Kompositionen für Film- und Fernsehproduktionen lieferte die Gruppe in den Folgejahren ab, u. a. für die TV- Serie Robin Hood. Zahllose Trophäen, Plaketten, goldene, silberne und Platindiscs zieren die Wände und Regale in "Leo‘s Tavern" in Meenaleck. Dieser Pub gilt immer noch als Kultort und Pilgerstätte mit weltweitem Ruf für handgemachte Livemusik sämtlicher Genres. Dieser historische Ort blieb auch Clannads Familienstammkneipe, die nach dem Tod von Vater Leo von einem weiteren Brennan Sohn in dessen Sinn und Philosophie weitergeführt wird. Ganz besonders stolz ist die Gruppe über einen "Grammy". Den gab‘s 1999 in der Kategorie "New Age" für das Album "Landmarks".
Musik: "A Mhuirnin Ó"
Clannad arbeitete auch häufig mit Kollegen: u.a. mit Paul Young, Van Morrison oder Bruce Hornsby. Und Bono, Frontmann der irischen Rockband U2, steht der Band immer noch bewundernd nah. Seine Gruppe ließ lange Zeit bei ihren Liveshows Clannads "Theme from Harry‘s Game" als Intro weltweit in den Hallen und Stadien ertönen, bevor sie selber die Bühnen erklommen. Und als Clannad Ende 2019 den "Meteor", die prestigeträchtigste irische Musikauszeichnung für ihr Lebenswerk erhielten, da sprach er die Laudatio: Bono
Bono: "Zusammen destillierten sie die rauhe Landschaft und den melancholischen Himmel ihres geliebten Donegal zu einer Musik, die nicht nur auf einer Insel festgehalten werden konnte. Und so wurden sie zur weltweiten Legende. Hiermit sei festgeschrieben, seit dem großen irischen Komponisten Sean Ó Riada hat es nicht mehr solch einzigartiges Talent gegeben, das uns daran erinnert, wer wir sind, wer wir waren und wer wir sein können, nämlich altehrwürdig und modern gleichzeitig, Clannad wir haben zu danken!"
Und damals, 1985 - spielte Bono einen Titel mit der Gruppe ein: den Pop-Song " In a Lifetime".
"Es war wirklich das erste Mal, dass wir zusammenarbeiteten. Man konnte gar nicht an irgendjemand Größeren denken. Es war einfach fantastisch. Wir hatten die rohen Instrumentalspuren bereits vorher aufgenommen als Bono ins Studio kam. Am ersten Abend, wir brauchten insgesamt nur zwei Sessions, haben wir mit verschiedenen Ideen herumgespielt und viel Spaß dabeigehabt. Als wir dann nachts nach Hause kamen gab‘s einen unnormal heftigen Gewittersturm. Am nächsten Tag kam jeder ins Studio mit Texten über Sturm, Blitz und Donner. Und so wurde dieser Song geboren. Und es war fantastisch zu erleben, wie Bono diesen Song zu einem Kunstwerk gestaltete, wie er die höchsten Töne traf. All das war unheimlich beeindruckend. Und der Titel klingt auch heute noch gut!"
Musik: Clannad mit Bono "In a Lifetime"
"In a Lifetime", damals 1985 festgehalten auf dem Clannad-Album "Macalla". Und heute – 2020 - ist "In a Lifetime" der Titel von Clannad‘s Anthologie, einer "37 Titel-Zeitreise". Auf dem vorliegenden Album hat die Gruppe als Bonus zwei Neuwerke eingespielt. Eins davon ist "A Celtic Dream" betitelt. Maire Brennans Bruder Pol erläutert die Entstehungsgeschichte dieses Songs.
Der keltische Traum
Pol Brennan: "A Celtic Dream" begann als unser Projekt schon in Bewegung war. Dann erst entschieden wir, dass wir der Anthologie einige neue Songs hinzufügen sollten. Wir haben uns beim Komponieren und Texten richtig viel Zeit gelassen. Wir experimentierten mit verschiedenen Themen und Melodien. Mein Bruder Ciaran kam schließlich mit der Idee vom keltischen Traum sowohl als Mythos wie auch als Bezug zu unserer eigenen Reise heraus aus unserer Unschuld in Donegal. Er hat dann für diesen Titel die musikalische Führung übernommen. Ich glaube wir erzielten mit diesem Song eine Verneigung vor dem Clannad Sound."
Musik: "A Celtic Dream"
Nun bereitet sich die Gruppe nach 50 Jahren "on the road" auf den Ruhestand vor. Die große "Farewell World-Tour" musste zum Leidwesen der Band und der weltweit riesigen Fangemeinde im März Corona bedingt abgebrochen werden. Clannad schrieb Musikgeschichte: mit ihrem typischen Sound getaucht in keltischer Mystik mit sphärischen Klangflächen, versehen und angereichert durch filigrane Mehrstimmigkeit sowie experimenteller Improvisationslust. Und natürlich über allem schwebt Maire Brennans magische Stimme, voll eindringlicher Empathie und Wärme.
Musik: "Eleanor Plunkett"