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Bundestagsdebatte vor 50 Jahren
Das 22-Stunden-Ringen um die Ostverträge

Im Juni 1972 traten die "Ostverträge" zwischen der Bundesrepublik Deutschland, Polen und der Sowjetunion in Kraft. Zuvor hatten sich Willy Brandts sozial-liberale Regierung und die Opposition vom 23. Februar 1972 an einen legendären Schlagabtausch im Bundestag geliefert.

Von Otto Langels |
PD- Abgeordnete beklatschen ihre Fraktionsrednern bei der ersten Lesung der Verträge von Warschau und Moskau im Deutschen Bundestag in Bonn am 23. Februar 1972. Ohne Regung bleiben die Fraktionskollegen Willy Bartsch (2. von links) neben Holger Börner und Herbert Hupka (Mitte rechts)
Noch guten Mutes. SPD- Abgeordnete beim Auftakt der Aussprache über die Verträge von Warschau und Moskau im Deutschen Bundestag am 23. Februar. 1972. Die Debatte wird sich über drei Tage ziehen (picture-alliance/ dpa)
„Es gilt darauf zu achten, dass Deutschland von der Weltpolitik Nutzen hat und nicht unter ihre Räder kommt.“ / „Die Politik dieser Bundesregierung führt nicht zu mehr Freiheit, sondern zu mehr Abhängigkeit, nicht zum Brückenschlag, sondern zur Verhärtung.“

Schlagabtausch im Deutschen Bundestag im Februar 1972. Zur Debatte standen die Ostverträge mit der Sowjetunion und Polen, ausgehandelt von der sozialliberalen Bundesregierung unter Willy Brandt. Der versprach im Oktober 1969 in seiner ersten Regierungserklärung unter Beifall:"Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein und werden, im Innern und nach außen."

Wie ließ sich die die starre Blockkonfrontation überwinden?

Das Ziel: Wandel durch Annäherung. Eine neue Entspannungspolitik sollte die starre Blockkonfrontation zwischen Ost und West überwinden. Wenige Monate später trafen sich westdeutsche und sowjetrussische Delegierte zu ersten Sondierungsgesprächen. Das Ergebnis war das Abkommen vom 12. August 1970. In dem "Moskauer Vertrag" heißt es:
„Die Bundesrepublik Deutschland und die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken betrachten es als wichtiges Ziel ihrer Politik, den internationalen Frieden aufrechtzuerhalten und die Entspannung zu erreichen." - " sie verpflichten sich, die territoriale Integrität aller Staaten in Europa in ihren heutigen Grenzen uneingeschränkt zu achten.“

Durchbruch mit dem "Warschauer Vertrag": Verzicht auf Gebietsansprüche

Am 7. Dezember 1970 wurde dann der Warschauer Vertrag unterzeichnet, in dem die Bundesrepublik Deutschland und die Volksrepublik Polen die bestehenden polnischen Grenzen anerkannten und auf wechselseitige Gebietsansprüche verzichteten.
Beide Verträge bedurften der Zustimmung durch das Parlament. Doch innenpolitisch war die neue Ostpolitik höchst umstritten und führte ab dem 23. Februar 1972 zu einer dreitägigen, heftigen Debatte im Bonner Bundestag. CDU/CSU-Fraktionschef Rainer Barzel warf der Bundesregierung den „Ausverkauf deutscher Interessen“ vor:
"Sie organisiert und institutionalisiert die Rivalität und die Spannung. Wir wollen dauerhaften Frieden, wirksame Entspannung und Freiheit für die Menschen.“

Streit um den richtigen Weg zur Freizügigkeit

Die Opposition fürchtete, dass Millionen Vertriebene endgültig auf ihre Heimat verzichten müssten. Mit den Ostverträgen würden die Grenzen Polens und der DDR zementiert, ohne dass die Bürger davon profitierten. Willy Brandt entgegnete, dass es nur durch bessere Beziehungen zwischen Ost und West werde es auch Erleichterungen für die Menschen geben könne:
"Zuerst müssen die Verträge in Kraft treten, und dann besteht die Chance, dass Zug um Zug die künstlichen Schranken in Europa und in Deutschland niedriger gesetzt werden können.“

Zum Abschluss bekräftigten der CDU-Abgeordnete Richard von Weizsäcker und der SPD-Fraktionsvorsitzende Herbert Wehner noch einmal die unterschiedlichen Positionen Für Weizsäcker gab es:
"kein entspanntes und normalisiertes Europa, ohne aber zugleich verbindliche Fortschritte für Freizügigkeit von Menschen, Ideen und Informationen zu erzielen.“

Am Ende stand ein Kompromiss

Wehner entgegnete, seine Partei glaube gewiss nicht, "dass die Verträge ein Schlüssel zur Lösung aller Fragen sind". Und doch wolle man das Abkommen,, "weil damit ein redlicher Ansatz gefunden werden kann.“ Die Zustimmung zu den Ostverträgen war Voraussetzung für Reise- und Besuchserleichterungen für Bundesbürger und West-Berliner, wie sie bereits im Viermächte- und Transitabkommen vereinbart, aber noch nicht in Kraft gesetzt worden waren.

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Gleichwohl blieb die Opposition bei ihrem Nein. Da die sozialliberale Koalition ihre Mehrheit im Bundestag verloren hatte, versuchten CDU/CSU am 24. April die Regierung mit einem konstruktiven Misstrauensvotum zu stürzen, scheiterten aber. Daraufhin bemühten sich Regierung und Opposition um einen Kompromiss: In einer „gemeinsamen Entschließung“ stellten sie fest, dass die Grenzen Deutschlands endgültig erst in einem Friedensvertrag festgeschrieben werden sollten. So erklärte Kurt Georg Kiesinger:
"Die CDU/CSU-Fraktion hat in einer der längsten und intensivsten Beratungen in ihrer Geschichte beschlossen, sich in ihrer großen Mehrheit bei der Abstimmung der Stimme zu enthalten.“

Am 17. Mai 1972 stimmte der Bundestag mit der Mehrheit der sozialliberalen Koalition den Ostverträgen zu, am 3. Juni traten der Warschauer und der Moskauer Vertrag in Kraft.