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Vor 50 Jahren in Hamburg
Der RAF-Anschlag auf das Springer-Hochhaus

Fast drei Jahrzehnte lang forderte die „Rote Armee Fraktion“ ab 1970 die Bundesrepublik mit ihrem Terror heraus. Am 19. Mai 1972 wurde das Pressehaus des Springer-Verlags in Hamburg Ziel eines RAF-Bombenattentats. Es fiel weniger verheerend aus als geplant.

Von Wolfgang Stenke |
Polizeiwagen vor dem Gebäude des Springer-Verlages in Hamburg am 19.. Mai 1972. Durch mehrere Bombenexplosionen in dem Hauptgebäude des Verlages wurden 17 Mitarbeiter verletzt.
Polizeiwagen vor dem Gebäude des Springer-Verlages in Hamburg am Morgen nach dem von der RAF verübten Bombenanschlag vom 19. Mai 1972 (picture-alliance/ dpa)
"Dieses 13-geschössige Hochhaus des Springerverlages liegt mitten in der Hamburger City und im Mitteltrakt des achtgeschössigen Hauptgebäudes hat sich heute gegen 15 Uhr eine Explosion ereignet.“

Am Freitag, dem 19. Mai 1972 stand der Ü-Wagen des Norddeutschen Rundfunks am Pressehaus des Axel Springer Verlages, wo die Wochenendausgaben des Zeitungskonzerns produziert werden sollten: "Bild", "Welt", "Hamburger Abendblatt".
"Genau um 15.50 Uhr erfolgten zwei Explosionen im Abstand von einer Minute und zwar im dritten und im sechsten Stockwerk, wahrscheinlich in einem Toilettenraum."

Nur zwei von fünf Rohrbomben detonieren

Nur wenige Minuten zuvor hatte es eine telefonische Warnung gegeben, ein zweiter Anruf folgte nach der ersten Explosion. In dem Hochhauskomplex arbeiteten etwa 2.500 Menschen. 36, vor allem Korrektoren und Schriftsetzer, wurden durch die beiden Detonationen verletzt, einige davon schwer. Zum Glück explodierten nur zwei der insgesamt fünf versteckten Rohrbomben. Eine Evakuierung des Gebäudes war wegen der kurzen Vorwarnzeit nicht möglich. Wer war für den Anschlag verantwortlich? Im NDR wird gemutmaßt, wer für den Anschlag verantwortlich war.
"Man spricht hier unter Journalisten von einem weißen Alfa Romeo, der in dieser Gegend gesehen werden soll und der jetzt von der Polizei gesucht wird. Auch das Hamburger Polizeidezernat K4 ist hier am Ort und K4, das ist die Polizeidienststelle, die mit der Aufklärung der Vorgänge um die Baader-Meinhof-Gruppe beschäftigt ist.“

Wer und was hinter dem "Kommando 2. Juni" steckt

Der weiße Alfa deutete auf die Vorliebe der Terroristen für schnelle Autos hin. 1970 hatte sich die Gruppe als Kopie der lateinamerikanischen Stadtguerrilla gebildet und sich den Namen „Rote Armee Fraktion“ gegeben. Noch in der Nacht nach dem Anschlag erhielt der NDR ein Schreiben, in dem sich ein „Kommando 2. Juni“ der Tat bezichtigte. Dieser Name verwies auf den Studenten Benno Ohnesorg, den der West-Berliner Polizist Karl-Heinz Kurras am 2. Juni 1967 während der Anti-Schah-Demonstrationen durch einen gezielten Schuss getötet hatte. Drei Tage nach dem Attentat auf das Springer-Hochhaus hieß es dann in einem weiteren Brief:
"Springer ging lieber das Risiko ein, dass seine Arbeiter und Angestellten durch Bomben verletzt werden, als das Risiko, ein paar Stunden Arbeitszeit, also Profit, durch Fehlalarm zu verlieren."

Woher der Hass auf den Springer-Konzern?

Es war der fünfte von insgesamt sechs Anschlägen, die die „Rote Armee Fraktion“ (RAF) 1972 in ihrer sogenannten Maioffensive verübte. Tödliche Bomben dieser selbsternannten antiimperialistischen Avantgarde trafen vier GIs in den US-Hauptquartieren Frankfurt und Heidelberg. Mit dem Hamburger Attentat wollte die RAF ein Signal setzen: die Zerstörung der publizistischen Macht des Springer-Konzerns, der 1968 in „Bild“ und „BZ“ heftige Kampagnen gegen die rebellierenden linken Westberliner Studenten geführt hatte. Die Schüsse auf Rudi Dutschke am Gründonnerstag 1968 waren eine Folge dieser Kampagnen – befand auch Liedermacher Wolf Biermann in "Drei Kugeln auf Rudi Dutschke":

„Die Kugel Nummer Eins kam / Aus Springers Zeitungswald / Ihr habt dem Mann die Groschen / Auch noch dafür bezahlt. Ach Deutschland, Deine Mörder, es ist das alte Lied.“

Interne Zweifel am Springer-Anschlag

Bis in die liberale Mitte der Gesellschaft reichte damals die Solidarisierung mit den Protesten der Achtundsechziger. Doch 1972 ging das Kalkül der Terroristen nicht auf - selbst im inneren Zirkel der RAF gab es Zweifel am Sinn des Anschlags auf Springers Pressehaus, traf er doch Lohnabhängige: "Wir sind zutiefst betroffen darüber, dass Arbeiter und Angestellte verletzt wurden.“
Im Juni und Juli des Jahres wurden die führenden Köpfe der Gruppe – darunter Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof - verhaftet. Noch aus dem Gefängnis heraus instruierten sie die zweite Generation der RAF, die den mörderischen Terror auch nach den Selbstmorden von Stammheim fortführte. Die Blutspur, die dann noch eine dritte RAF-Generation zog, reichte bis in die 90er-Jahre. Der Staat reagierte mit Verschärfungen des Strafrechts. Erst nach 37 Ermordeten und 27 Toten aus den eigenen Reihen erklärten die Reste der RAF am 20. April 1998 in einem Schreiben an die Nachrichtenagentur Reuters ihre Auflösung – ohne ein Wort des Bedauerns für die Opfer:
"Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte. Ab jetzt sind wir ehemalige Militante der RAF.“