Mohammed el Habasch hat schon auf mich gewartet. Der hagere 85-Jährige sitzt gleich hinter der Tür. Wie es mir geht; will er wissen - und wie ich Gaza finde.
Ich lege mich nicht fest. Da lacht der alte Mann. Das kann er gut verstehen. Die Großfamilie el Habasch lebt in Nusseirat im Süden des Gazastreifens. Drei Generationen unter einem Dach auf mittlerweile vier Geschossen. Immer wenn es eng wurde in dem unverputzten Gebäude und das Geld reichte, kam noch eine Etage drauf. Mohammed el Habasch lebt hier seit 1961 und nach Nusseirat kam er schon 1948, während des ersten Krieges zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn. Mohammed el Habasch war 16 als seine Familie aus der Küstenstadt Ashkelon wenige Kilometer nach Süden floh - in den damals ägyptischen Gazastreifen.
"Wir kamen im Oktober nach Nusseirat. Wir hatten nichts, mussten im Freien schlafen. Es hat nur geregnet. Das Leben war hart. Wir hatten nichts Warmes zum Anziehen. Die Hoffnung zurückgehen zu können, haben wir nie aufgegeben. Im Radio kam die Nachricht, die Leute würden zurückkehren können. Auch die UNO hat das gesagt. Immer wieder. Aber die Zeit verging. Bis heute."
Festhalten an der Hoffnung, einmal zurückzukehren
Damals wurde Mohammed el Habasch zum Flüchtling. Das ist er bis heute geblieben und so sieht sich auch seine ganze Familie. Nusseirat im Gaza-Streifen als Zuhause zu akzeptieren, hieße den Anspruch auf die alte Heimat, aus der man flüchten musste, aufzugeben.
"Ich hänge immer noch an meiner Heimat. Ich habe gute Erinnerungen daran. Das Land gehört uns seit vielen tausend Jahren. Hier fühle ich mich nicht zuhause. Ich habe die Hoffnung auf eine Rückkehr nie aufgegeben aber das wird niemals friedlich gehen. Was mit Gewalt genommen wurde, kann man nur mit Gewalt zurückbekommen."
Ein Leben in Armut und Perspektivlosigkeit
Der alte Mann ist der einzige im Raum, der noch Erinnerungen an Ashkelon hat, alle Familienmitglieder aber bis hin zu Mohammeds Enkelkindern bezeichnen die Stadt im Süden Israels als ihre Heimat. Wenn der Großvater von den Ländereien spricht, die die Familie dort hatte und wie gut es ihr dort ging, leuchten seine Augen. Seine Familie kennt die Schilderungen, die ihm scharfen Kontrast zu dem Leben stehen, das sie im Gaza-Streifen führen. Flüchtling zu sein, bedeutet hier für die Meisten auch Jahrzehnte nach ihrer Ankunft noch Armut und Perspektivlosigkeit. Zu Wohlstand gebracht haben es die Flüchtlinge selten und die Familien sind überwiegend von internationaler Hilfe abhängig. Wirklich gut, sagt Mohammeds Frau Aysha, hatten wir es hier nie.
"Zunächst ging es uns hier sehr schlecht. Bis 1967. Unter der israelischen Besatzung ging es uns besser. Es gab Arbeit, wir hatten Geld und konnten uns etwas leisten. Aber nach der Intifada ging es wieder bergab."
Der Status Flüchtling als Instrument
Das Schicksal der Familie el Habasch kann beispielhaft für zahllose palästinensische Flüchtlingsfamilien stehen – nicht nur im Gaza-Streifen und unabhängig davon, ob sie nach dem ersten israelischen Unabhängigkeitskrieg von 1948 / 49 oder nach dem Sechstagekrieg 1967 ihre Heimat verlassen mussten. Die Erinnerungen an die alten Wohnorte und die Lebensbedingungen dort werden wachgehalten und glorifiziert. Der Status Flüchtling ist so zum Instrument geworden und die palästinensische Politik tut alles, um diesen Status aufrechtzuerhalten. Bis heute tragen die Vereinten Nationen die Verantwortung für die Flüchtlinge. Die Kinder der Familie el Habasch gehen in UN-Schulen und auch die Gesundheitsversorgung der vierzig-köpfigen Familie liegt in den Händen der UN. Ibrahim el Habasch ist einer von Mohammeds fünf Söhnen. Auf die Frage nach seiner Heimat zögert der 41-Jährige keine Sekunde: Ashkelon.
"Es liegt in den Händen Gottes. Wir geben nicht auf und irgendwann wird es soweit sein."