Sigrid Fischer: In dieser Woche reden alle über ein Beatles-Album, was sag ich denn, das Beatlesalbum. Am 1. Juni 1967 ist es offiziell erschienen und damit feiert es heute also seinen 50. Geburtstag. Sergeant Pepper's Lonley Heartsclub Band. Wegbereiter, Meilenstein, revolutionär - das sind die Attribute für das erste Konzeptalbum der Popmusikgeschichte, wie es heißt. Peter Kemper, Musikkritiker, der unter anderem für die "FAZ" schreibt und auch im Hessischen Rundfunk kritisiert, der hat gerade ein Reclambändchen über dieses Album geschrieben. Zurecht als epochal bezeichnet, schreibt er da. Peter Kemper, Guten Tag.
Peter Kemper: Guten Tag, Hallo.
"Sie konnten sich im Prinzip alles erlauben"
Fischer: Über 30 Millionen mal verkauft, dieses Album markiert ja einen Wendepunkt in der Karriere der Beatles. Das Ende der Tourjahre, der Live-Konzerte, ein paar Skandale gab's. Ich frage mich: Hätten die zu dem Zeitpunkt nicht irgendein Album veröffentlichen können und es wäre ein Riesenerfolg geworden?
Kemper: Das glaube ich nicht. Die Beatles mussten sich zu dem Zeitpunkt regelrecht neu erfinden. Sie waren ein bisschen desorientiert nach dem Ende der Liveshows. Sie haben auch alle erst mal ein bisschen Urlaub gemacht von ihrem Superstar dasein. Und man hat dann in einem genialen Schachzug gesagt: Die Produktion im Studio, das ist unsere Performance. Das heißt, das Studio wurde mit Sergeant Pepper als Musikinstrument zum ersten mal emanzipiert. Damals, gerade auch in den Abbey-Road Studios, da gab es eine strenge Hierarchie zwischen den Produzenten, den Technikern und ganz am Ende kamen die Musiker. Das haben die Beatles komplett geändert. Sie sind damals mit einem maßlosen Selbstbewusstsein aufgetreten, weil sie konnten sich im Prinzip alles erlauben. Sie wussten: Was wir anfassen, was wir machen wird im Grunde ein Erfolg. Und sie haben die Studiohierarchie regelrecht umgekehrt. Das heißt, sie haben dem Produzenten George Martin gesagt: So möchten wir klingen.
Fischer: Aber der Produzent George Martin spielt ja bei diesem Album gerade eine ganz, ganz große Rolle. Das schreiben sie ja auch.
Kemper: Ja, natürlich. Er war der fünfte Beatle und er hat natürlich gerade was die Orchestrierung bestimmter Stücke angeht, nehmen wir mal "For the benefit of Mr Kite". Da hatte er natürlich diese geniale Idee mit diesen Dampforgeln und so weiter. Das heißt, er hat viele Sounds zu diesem Album beigesteuert aber trotzdem war er im Grunde Angestellter der Beatles und nicht umgekehrt.
"Sie haben sich den zirkulierenden Nachrichten ausgesetzt"
Fischer: Das Album macht ja wohl auch so ein starker Kunstwille aus. Der prägt dieses Album und so was kann natürlich auch etwas artifizielles haben, was angestrengtes. Ein US-Literaturkritiker damals, Richard Poirier, der fand, die Beatles hätten ihre künstlerische Unschuld verloren damit. Also weil das eben so sehr konzipiert war.
Kemper: Das kann man so sehen. Man kann sagen Pop oder auch der Beatles-Pop ist mit Sergeant Pepper erwachsen geworden. Ich finde nicht, dass es artifiziell ist, dieses Album. Es hat natürlich viele artifizielle Momente, das fängt schon bei der Covergestaltung an - von Peter Blake, diesem englischen Pop-Artisten und seiner Frau. Aber die Songs haben dann doch eine spielerische Leichtigkeit. Also wenn ich mir "Lucy in the Sky with diamonds" anhöre - das ist vom Text her auch so verrückt. Man muss sehen, dass mit Sergeant Pepper die Form oder Technik des Songs-Schreibens grundlegend verändert hat. Bis dato wurde Pop in erster Linie durch Liebeslieder definiert - selbst bei den Beatles. Auf Revolver, gut da waren schon Ansätze der Neuerfindung erkennbar, aber den entscheidenden Schritt sind sie mit Sergeant Pepper gegangen. Da haben sie sich zum ersten Mal - ich habs genannt - dem medialen Dauerrauschen ausgesetzt. Das heißt, die zentralen Songs dieses Albums, "A day in the life" beispielsweise, wurde durch Zeitungslektüre, wurde durch Filmerfahrung inspiriert. John Lennon "How I won the war" oder "Good Morning Good Morning" wurde durch einen Fernsehspot inspiriert. Das heißt, die Beatles haben sich nicht mehr auf irgendwelche Liebesbotschaften verständigt, sondern sie haben sich den zirkulierenden Nachrichten ausgesetzt und haben daraus assoziativ, fast im Sinne eines "Stream of Consciousness" - würde man in der Literatur sagen - ihre Texte gewonnen.
Fischer: Es gibt tausende Geschichten rund um dieses Album. Sie haben jetzt ein Buch drüber geschrieben. Konnten Sie überhaupt noch irgendetwas entdecken was sie jetzt nicht wussten, also bei der Nachforschung. Weil man erzählt sich eben vieles darüber.
Kemper: Ja, natürlich. Ich habe da schon einiges bei gelernt. Wir haben eben schon über diese Coverkunst gesprochen, das sind schon interessante Geschichten. Also beispielsweise wollte Lennon mit seiner Lust an der Provokation auch gerne Jesus und Hitler auf den Plattencover haben bei dieser Vollversammlung der prominenten Köpfe. Das hat ihm natürlich die Plattenfirma EMI dann gleich untersagt. George Harrison wollte gerne Mahatma Gandhi haben, haben sie ihm auch untersagt, weil wir wollen keinen Stress mit Indien haben. Also rund um dieses Cover was eben auch zum ersten Mal das Album als ein Gesamtkunstwerk erschienen lies hat es auch ein bisschen Stress gegeben.
"Sergeant Pepper's Erfolg hat ihn in Depressionen gestürzt"
Fischer: Jetzt gibt es ja auch die Legende, dass Beach Boys Chef Brian Wilson in tiefe Depressionen verfallen sein soll als Sergeant Pepper's rauskam, weil die Beatles das vorwegnahmen, was er mit diesem geplanten Smile-Album vor hatte, das dann aber erst Jahrzehnte später erschienen ist. Ist da was dran oder ist das auch Legendenbildung.
Kemper: Nein, da ist was dran. Das Album von den Beach Boys, was ja vor Sergeant Pepper erschienen ist, war sozusagen die Blaupause. McCartney hat Pet Sounds von den Beach Boys als das beste Pop-Album aller Zeiten bezeichnet. Die Beatles wollten unbedingt einen Schritt weiter gehen. Das ist ihnen glaube ich auch gelungen. Vor allen Dingen auch, was die Ausnutzung der Studiotechnik angeht. Brian Wilson war sowieso psychisch labil, weil innerhalb der Band er im Grunde ein ganz eigener Kopf war. Die anderen wollten gerne so ihre Surf-Hymnen weiter machen. Er wollte im Grunde die Pop-Musik neu erfinden. Und in der Tat hat ihn der Erfolg von Sergeant Pepper in Depressionen gestürzt. Und auf Grund seiner psychischen Labilität ist er dann regelrecht psychisch erkrankt. Er war dann ja auch lange Jahre in Behandlung. Und dieses Gigantomanische Smile-Projekt: Da hat er zum Beispiel das ganze Studio mit einem halben Meter Sand ausfüllen lassen, um darin barfuß zu laufen und dem eine ganz besondere Klang-Charakteristik zu geben. Also irre Geschichten die sich um dieses Smile-Projekt auch ranken, was ja unvollendet ist. Das was wir als Smile kennen ist ja nur aus Fragmenten zusammengesetzt worden. Das Smile-Projekt ist ja nie fertig geworden.
Fischer: Jetzt gibt es von Sergeant Pepper's so eine Jubiläumsausgabe. Was bringt denn die, außer noch mal Geld in die Kasse von Paul McCartney?
Kemper: Die ist nicht uninteressant sage ich mal für Beatles-Fans. Jetzt hat der Sohn von George Martin sich hingesetzt und die Stereomischung, die eigentlich viel bekannter ist, also die Monomischung noch mal neugemacht. Und es ist ihm in der Tat gelungen: Die Musik rückt - das ist mein Eindruck - ein Stück näher an der Hörer ran. Ganz merkwürdig. Das Album klingt ein bisschen knackiger, Bass und Schlagzeug sind ein bisschen präsenter. Das hat ein bisschen mehr Bums das Ganze. Zu dieser neuen Abmischung gibt es über 30 unveröffentlichte Takes, die zeigen wie Sergeant Pepper als work in progress sich entwickelt hat. Und es gibt einen sehr interessanten Film, der bisher nur einmal in der BBC gelaufen ist: The Making of Sergeant Pepper. Da wird dann auch demonstriert wie man im Studio gearbeitet hat.
"Es war das letzte Mal, dass sie als Gemeinschaft agiert haben"
Fischer: Peter Kemper, und wenn wir dann nächstes Jahr 40 Jahre das weiße Album feiern: Reden wir dann nicht in den gleichen hohen Tönen und Begeisterungstönen wie jetzt eigentlich?
Kemper: Das glaube ich nicht, weil das weiße Album ist schon der Anfang vom Ende. Bei Sergeant Pepper war es das letzt Mal, dass sie wirklich als Band und auch als Gemeinschaft agiert haben. Der Produktionsprozess war wirklich ein gemeinschaftlicher, wo alle vier Ideen beigesteuert haben. Das war bei dem weißen Album nicht mehr der Fall. Insofern kann man schon sagen, dass Sergeant Pepper eigentlich den Zenit der Beatles markiert.
Fischer: Sergeant Pepper, so heißt auch das Reclambändchen von Peter Kemper über das Jahrhundertalbum, ach Jahrtausendalbum der Beatles. Vielen Dank.
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