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50. Todestag des Theologen Friedrich Gogarten
Welt bleibt Welt, Gott bleibt Gott

Er war einer dieser ungewöhnlichen evangelischen Querdenker des 20. Jahrhunderts: der Theologe Friedrich Gogarten. Für ihn ist Säkularisierung nichts Böses, sondern ein Befreiungsprozess, bewirkt durch den christlichen Glauben.

Von Christian Pietscher |
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    Gehören Glaube und Säkularisierung zusammen, wie der evangelische Theologe Friedrich Gogarten lehrte? Auch in kommenden Generationen? (picture alliance | dpa)
    "Der christliche Glaube bedeutet eine epochale Wende in der Geschichte der Menschheit."
    "Seit 'dem Kommen Jesu' müssen Gott und Welt ganz neu verstanden werden."
    "Die Welt, erscheint sie uns auch noch so mythisch oder religiös, bleibt Welt. Und Gott bleibt Gott und lässt sich in der Welt nicht vermitteln."
    Das sind Kerngedanken des evangelischen Theologen Friedrich Gogarten.
    "Es ist so auszudrücken, dass die Welt und alles, was es in ihr gibt, nun nur noch Welt ist. Das will sagen, dass sie eine Welt ist, die in ihren eigenen Zusammenhängen und ohne Eingriffe aus einem jenseitigen Bereich Welt ist und die darum ihren Bestand als solche, nämlich, dass sie nicht zu einem Chaos wird, ausschließlich aus und in diesen Zusammenhängen und mit den in diesen wirksamen Kräften zu bewahren hat."
    Vor 50 Jahren, am 16. Oktober 1967, ist Friedrich Gogarten gestorben. Er verstand sich als Fürsprecher einer neuen, anderen protestantischen Religiosität. Von konfessionell geprägter Theologie und von Kirche hat er sich zeitlebens abgegrenzt.
    Als "farbiger Sonderfall" wird er zuweilen bezeichnet. Zugleich war Gogarten einer der bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts, befand sich auf Augenhöhe mit Karl Barth, Rudolf Bultmann und Paul Tillich. Nach dem Ersten Weltkrieg war er Mitbegründer der sogenannten Dialektischen Theologie.
    Säkularisierung als Befreiungsprozess
    Wenn Gogarten eine ungewöhnlich scharfe Trennlinie zwischen Welt und Gott zieht – wie in einem Vortrag von 1966 – klingt damit das zentrale Thema seiner Theologie an: die Säkularisierung.
    Säkularisierung bedeutet bei Gogarten etwas anderes als heute: Er meint einen Befreiungsprozess, bewirkt durch den christlichen Glauben. Und dieser Prozess schließt auch die menschliche Vernunft ein. Die Vernunft sei durch den Glauben "zu sich selbst befreit worden", sagt Friedrich Gogarten.
    "Wäre es anders, dann wäre die Vernunft des Menschen nicht das, was sie nun einmal ist, nämlich vernünftig. Eben dies – die Säkularisierung der Welt aus der Kraft der Vernunft ohne den Glauben – ist es, was im weiteren Verlauf der Geschichte mithilfe der in aller Freiheit entwickelten neuzeitlichen Wissenschaft, Kultur und Technik im großen und weltgeschichtlichen Maßstab geschehen ist."
    Die Vernunft ist mit der Säkularisierung überfordert
    So sehr Gogarten hervorhebt, dass die Säkularisierung allein durch die Vernunft erfolgt, so sehr warnt er vor einer Gefahr, die damit verbunden sei: Glaube und Vernunft, Religion und Säkularisierung kommen sich immer wieder ins Gehege. Die Vernunft ist also mit der Säkularisierung überfordert, was immer wieder im Säkularismus endet, den Gogarten deutlich von der Säkularisierung absetzt. Säkularismus ist für Gogarten ein Versagen der Vernunft, sagt Matthias Kroeger, Theologieprofessor in Hamburg und ein Schüler Gogartens:
    "Die Vernunft hat es sehr schwer, die Welt wahrzunehmen, weil überall Ideologien zuschlagen, seien es christliche Ideologien, seien es kommunistische, seien es nationalsozialistische – das sind alles Versuche, die Welt ohne Vernunft zu sehen. Darunter rechnet er auch die christlichen Ideologien, die Verkirchlichung der Wirklichkeit. Und deswegen sollen wir der Welt gegenüber frei und selbständig sein und nur aus der Begabung unserer Selbständigkeit und Autonomie durch Gott. Wir sind gerechtfertigt und deswegen gültig in unserem Leben, und deswegen brauchen wir nicht nach Ideologien zu jammern."
    1953 erscheint das vielleicht wichtigste Buch, das Friedrich Gogarten geschrieben hat: "Verhängnis und Hoffnung der Neuzeit" - mit dem Untertitel: "Die Säkularisierung als theologisches Problem". Mit diesem Werk macht sich Gogarten in der Nachkriegszeit einen Namen.
    "Damals war die Frage, wie konnte es dazu kommen, dass Deutschland so in dem Hitler-Rassismus versank. Wie war das möglich? Und da war eine der gängigen Auskünfte: Es ist nur möglich gewesen, weil die Säkularisierung stattgefunden hat. Die kirchliche und christliche Prägung unserer Kultur hat sich verloren. Das nannte man Säkularisierung. Und Gogarten hat die Gegenentdeckung gemacht, nämlich zu sagen, wenn wir wirklich Christen sind, dann muss die Welt für uns weltlich sein und nicht christlich geprägt. Die Welt ist weltlich. Und dies zu entdecken, dass die Schöpfung weltlich und irdisch ist, das ist die Bejahung unserer Realität." So der Theologe Matthias Kroeger.
    Glaube und Säkularisierung gehören zusammen
    Verweltlichung – darin sehen Kirchen und andere Religionsgemeinschaften eine Gefahr. Für Gogarten jedoch gehören Glaube und Säkularisierung zusammen. Er sieht sich damit auf einer Linie mit Jesus und mit dem Apostel Paulus. Und er beruft sich auf Martin Luther und seine Theologie, vor allem auf deren Kern, die Rechtfertigung allein aus Glauben. Gogarten findet, um seinen Säkularisierungsansatz zu untermauern, einen der zentralen biblischen Texte im Galaterbrief, sagt Matthias Kroeger:
    "Dort heißt es bei Paulus: Ein Erbe, der noch nicht mündig ist, der ist wie ein Knecht. Der hat nämlich nichts zu sagen in seinem Erbe. Und so sind auch wir Menschen meistens nur wie unmündige Erben. Wir sollen aber mündig gegenüber der Welt werden und selbständig. Und erst wenn wir das werden, dann sind wir in der Lage die Welt zu regieren und zu beherrschen und vernünftig zu gestalten."
    Der Schlüsselbegriff ist für Gogarten in diesem Zusammenhang der biblische Ausdruck der "Sohnschaft". Denn der Sohn ist im Unterschied zum Kind mündig und darum selbständig. Und damit ist er zu eigenverantwortlichem Handeln ermächtigt.
    "Und eben dies, dass der Mensch im Glauben die Vollmacht empfängt, aus eigener vernünftiger Erkenntnis zu urteilen, was er in der Welt zu tun hat und was nicht – das ist es, was sich mit der Säkularisierung der Welt ereignet."
    Friedrich Gogarten stammt aus einer Handwerkerfamilie. Geboren wird er am 13. Januar 1887 in Dortmund. In Westfalen geht er zur Schule, in München studiert er zunächst Kunstgeschichte und Germanistik. Nach einem Semester wechselt er zur Theologie. Er beginnt in Jena, geht dann an die Universitäten Berlin und Heidelberg, wo er die damals herausragenden Vertreter der Liberalen Theologie kennenlernt: Adolf von Harnack und Ernst Troeltsch. Und schließlich zieht es ihn für ein knappes Jahr nach Florenz – zu Arthur Bonus, einem ehemaligen Pfarrer und Schriftsteller. Er gilt als äußerst kirchenkritisch und als radikalster unter den liberalen Theologe seiner Zeit. 1914 wird Friedrich Gogarten zum Pfarrer ordiniert. In einer Landgemeinde in Thüringen beschäftigt er sich intensiv mit Martin Luther, um bei ihm – wie er sagt – "noch einmal Theologie zu studieren". 1918 heiratet Gogarten Margarete Kirchhoff. Sie bekommen vier Kinder.
    "Krisis der Kultur"
    Es ist das Jahr 1920 – kurz nach dem Ersten Weltkrieg. Die Soldaten sind desillusioniert von den Schlachtfeldern zurückgekehrt. Männer, die voller Vertrauen auf Gott und Kaiser in den Krieg gezogen waren. Vor diesem Hintergrund entsteht nun die Dialektische Theologie. Sie grenzt sich deutlich ab sowohl von Liberaler Theologie als auch vom Kulturprotestantismus des 19. Jahrhunderts. Unter ihren Vertretern ergreift auch Friedrich Gogarten öffentlich das Wort – er spricht jetzt von der "Krisis der Kultur", wie Kroeger erläutert:
    "Die Selbstverständlichkeit, in der Gott und Vaterland zusammengehören, war zerbrochen. Und deswegen war die Nähe, die man bis dahin Gott gegenüber empfand, auch zerbrochen. Für Gogarten war die Entdeckung der Theologie, dass mit Gott etwas ganz Fremdes, uns gegenübertritt. Es ist eine fremde Erscheinung, nicht dieses gemütliche vergnügliche 'Mit-Gott-Sein'. Sondern es ist das Erleben des Schreckens und der Heiligkeit – Gogarten hat einmal gesagt: Das Durchstehen der Eisregionen, in denen die Gotteserfahrung vor sich geht. Das ist kein Vergnügen, sondern es ist eine Notwendigkeit."
    Damit knüpft Friedrich Gogarten in der Schockstarre nach dem Ersten Weltkrieg an eine Vorstellung Luthers an, der Gott als einen verborgenen Gott beschreibt. Dazu nochmals Kroeger:
    "Luthers großes Erbe an uns, dass wir lernen, wie un-selbstverständlich die Wirklichkeit Gottes ist. Und das ist der Grund, warum er sich vom konfessionellen Luthertum als lutherbegeisterter Anhänger distanziert hat. Er sagt, die Lutheraner wissen immer, wie Gott aussieht. Sie tun immer so, als ob das selbstverständlich wäre. Und deswegen sagen sie, Gott hat das Gesetz gegeben, Gott hat die Gnade gegeben. Es ist aber umgekehrt, sagt Gogarten: Wir müssen lernen in unserer Wirklichkeit der alltäglichen Welt zu finden, wie die Realität aussieht, was es heißt, dass uns mitten in der Welt ein Gebot begegnet: Du sollst lieben, du sollst helfen. Das wird nicht deswegen wahr, weil es in der Bibel steht, sondern es ist wahr, weil es uns begegnet."
    "Du wirst geliebt, weil du geliebt wirst"
    Matthias Kroeger, der bei Friedrich Gogarten in Göttingen studiert hat, erinnert sich, wie sein theologischer Lehrer immer wieder einen Briefwechsel aus dem 18. Jahrhundert erwähnte. Einen Briefwechsel zwischen der Schriftstellerin Elizabeth Barrett Barrett und ihrem späteren Mann Robert Browning:
    "Die Frau war gelähmt und konnte fast nicht gehen und war sehr beeinträchtigt und sagte zu ihrem Geliebten Robert Browning: 'Ich verstehe gar nicht, warum du mich liebst, ich bin doch ein kaputter Mensch.' Und er versuchte ihr immer klar zu machen: 'Du wirst geliebt, weil du geliebt wirst, nicht weil du toll bist, weil du tolle Qualitäten hast.' So sagt Gogarten, so müssen wir lernen in unserer Wirklichkeit wahrzunehmen, was es heißt, unser Leben ist uns geschenkt. Das ist es, was man religiös eine Gnade nennt. Wenn jemand einen Menschen hat, der ihn liebt, mit dem er in Liebe zusammen leben kann, dann ist das die Gnade."
    Das ganz reale, säkulare Leben ist - nach Gogarten - der Ort, wo Menschen beides erleben: die Gnade und das Gesetz als Aufforderung, etwas zu tun.
    "Gogarten sagt", so Matthias Kroeger, "wir müssen erst lernen: Ah, es gibt so etwas wie das geschenkte Leben, unverdient geschenkt. Und es gibt so etwas, dass einem in einer Notsituation ein Gebot, ein Gesetz, du sollst hier helfen, begegnet. Und wenn wir das begreifen, dann haben wir kapiert: Aha, da gibt es eine Realität, die uns beschenkt in der Liebe, die wir miteinander erleben. Und es gibt Situationen, in denen uns ein Gebot gegenübertritt. Und das ist die Erfahrung des Göttlichen, die uns da begegnet."
    Gogarten und die Weltliteratur
    Der Theologe Friedrich Gogarten hält darum wenig von den dogmatischen Vorgaben der Kirchen. Stattdessen schätzt er ganz bestimmte Autoren der Weltliteratur: Angefangen bei den antiken griechischen Tragödien-Dichtern Sophokles und Aischylos über die Dramatiker Shakespeare und Dostojewski bis hin zum Theologen Martin Luther.
    "Gogarten wollte keine Dogmatik, er wollte jemanden haben in Luther, in Dostojewski und diesen anderen Autoren, die ihm den Blick auf die Wirklichkeit, wie sie wirklich in der Tiefe ihrer selbst ist, eröffnen."
    Zwischen 1928 und 1933 hat der Blick auf die Wirklichkeit Konsequenzen, die aus heutiger Sicht schwer nachzuvollziehen sind. Matthias Kroeger, Professor für Theologie-Geschichte, beschreibt Gogartens Denkrichtung so:
    "In diesen Jahren zerfällt unser Volk. Und es erscheint uns das Gebot: Ordnung und Disziplin und Gemeinsamkeit wieder zu lernen. Das ist das, was religiös heute nötig ist und was uns in der politischen Wirklichkeit begegnet. Und deswegen hat er gesagt, wir müssen in dem, was wir politisch lernen, auch unsere Gotteserfahrung suchen. Das hieß nicht, wir müssen Hitler glauben, sondern die Notwendigkeit unserer völkischen Situation begreifen und sehen, dass das die Unbedingtheit der Gotteserfahrung ist, die hier zu uns spricht."
    Gogarten im Nationalsozialismus
    Kirchliche Gruppierungen, in denen sich der Widerstand gegen Hitler formiert, bleiben Gogarten fremd. Er lehnt auch die Bekennende Kirche ab - mit Karl Barth als ihrer wichtigsten theologischen Stimme. Er kann und will sich ihr nicht anschließen. Stattdessen erklärt Friedrich Gogarten im August 1933 seinen Beitritt zu den 'Deutschen Christen' – einer Gruppierung, die die evangelische Kirche nationalsozialistisch umgestalten will.
    "Gogarten ist damals nur eingetreten, weil er wollte, dass die Kirche ihre Realität, ihre Wirklichkeitsbeziehung in der politischen Welt sucht und nicht irgendwo in einer Bibel oder in Bekenntnisschriften. Wir sollen Gott finden in unserer politischen Wirklichkeit. Und dem schienen die Deutschen Christen näher zu sein als die kirchlichen Leute. Deswegen hat er die Bedingungen gestellt, dass er mitbestimmen kann, wie die Deutschen Christen aussehen, und dass er eine Erklärung abgeben kann, wie er diese Sache versteht. Zu beidem ist es dann nicht gekommen."
    Und so erklärt Friedrich Gogarten wenige Monate später seinen Austritt. Er bedauert es zutiefst, sich den Deutschen Christen angeschlossen zu haben.
    "Also es ist eine falsche taktische Einschätzung, dass man mit einer richtigen Einsicht auf einer falschen Seite sich engagieren kann. Gogarten hat mir später öfter – als wir über diese Dinge sprachen – gesagt: 'Sie müssen mich nehmen, wie ich nun mal bin. Ich bin ein unpolitischer Mensch.'"
    Von 1935 bis zu seinem Tod im Jahr 1967 lebt Friedrich Gogarten in Göttingen. In dieser Zeit schreibt er seine großen theologischen Werke. Darin geht es immer wieder um die Säkularisierung, die sich in allen möglichen Bereichen des Lebens vollzieht. Und um die große Herausforderung, dass aus ihr kein Säkularismus werden soll.
    Das gilt auch für die Interpretation der Bibel. Die historisch-kritische Forschung bezeichnet Gogarten als "die radikale Säkularisierung der neutestamentlichen Überlieferung" - wenn sie denn streng säkular bleibt und von "jeder geschichts- und religionsphilosophischen Deutung" absieht.
    Entmythologisierung
    Die von Rudolf Bultmann betriebene Entmythologisierung kann er darum im Grundsatz befürworten. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sein Marburger Kollege mit dem Aufsatz "Neues Testament und Mythologie" eine heftige Debatte in der Öffentlichkeit losgetreten. Bultmann schrieb:
    "Welterfahrung und Weltbemächtigung sind in Wissenschaft und Technik so weit entwickelt, dass kein Mensch im Ernst am neutestamentlichen Weltbild festhalten kann und festhält. Welchen Sinn hat es, heute zu bekennen: 'niedergefahren zur Hölle' oder 'aufgefahren gen Himmel', wenn der Bekennende das diesen zugrunde liegende Weltbild von den drei Stockwerken nicht teilt?"
    Der evangelische Theologe Rudolf Bultmann, dessen Entmythologisierung des Neuen Testaments für rege Diskussionen sorgte, aufgenommen am 19. August 1974 in Marburg. (Bild: dpa)
    Rudolf Bultmann, "Entmythologisierer" des Neuen Testaments (dpa)
    Rudolf Bultmann räumt wie kaum ein evangelischer Theologe vor ihm unmissverständlich auf mit neutestamentlichen Vorstellungen und Begriffen. Mit der Entmythologisierung sind die Geschichten von der Höllen- und Himmelfahrt Christi "erledigt" - wie er es ausdrückt.
    Mit dieser Radikalkur will Bultmann jedoch keineswegs den christlichen Glauben zerstören. Im Gegenteil, ihm geht es darum, zu entdecken, welches Existenzverständnis sich in den neutestamentlichen Geschichten verbirgt und ob es für uns heute relevant ist. Trotzdem wird Bultmann als Zerstörer des Glaubens beschimpft.
    Ganz anders Friedrich Gogarten. Er gibt Bultmann Schützenhilfe: Dessen Entmythologisierungsprogramm habe eine Debatte entfacht, die geführt werden müsse. Mit seinem Verständnis von Entmythologisierung ist Gogarten dann noch einen Schritt weiter gegangen als Rudolf Bultmann. Der Theologie- und Kirchenhistoriker Matthias Kroeger über Gogarten:
    "Er sagte, wir können diese alten Redeweisen und Muster wie von einer mythischen Welt, von einem Gott, der im Jenseits wohnt, und von einem, der seinen Sohn aus dem Jenseits schickt – so können wir nicht mehr reden. Und deswegen muss die Revision der biblischen Gedanken stattfinden. Aber wir müssen auch die Metaphysik in der reformatorischen Theologie überwinden, und müssen sie vergeschichtlichen. Das heißt auch: Die reformatorische Theologie Luthers kann so nicht bleiben. Wenn man sie wirklich verstehen will, dann muss man über sie hinausgehen."
    Friedrich Gogarten tut dies, indem er den Begriff der "Personalität" verwendet. Er ist für ihn der Schlüssel für eine theologisch angemessene Interpretation.
    "Die Bilder von Liebe und Menschenbeziehungen sind die Bilder, mit denen wir heute übersetzen können und müssen, was Luther gemeint hat." So Matthias Kroeger. Und in Gogartens Worten:
    "Wir sprechen damit von nichts anderem als von dem, was sich ereignet, wenn und wo immer geliebt wird."
    Gogarten will auch altkirchliche und biblische Texte in diesem Sinn neu interpretiert wissen – etwa das zentrale Gebot Jesu, Gott von ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit aller Kraft zu lieben.