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50. Todestag von Konrad Adenauer
"Eine prägende politische Gestalt der Bundesrepublik"

Am 19. April jährt sich der Todestag von Konrad Adenauer, dem ersten deutschen Bundeskanzler, zum 50. Mal. Er sei sicherlich eine schwierige Person gewesen, sagte der Bonner Historiker Volker Kronenberg im DLF. Aber Adenauer sei zugleich einer der ersten Politiker gewesen, der den Gedanken der europäischen Zusammenarbeit erkannt habe.

Volker Kronenberg im Gespräch mit Birgid Becker |
    Konrad Adenauer (CDU) an seinem Schreibtisch (undatiert). Er wurde am 15. September 1949 zum ersten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt und hatte das Amt bis zu seinem Rücktritt am 15. Oktober 1963 inne.
    Konrad Adenauer (CDU) an seinem Schreibtisch (undatiert). Er wurde am 15. September 1949 zum ersten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt und hatte das Amt bis zum Rücktritt am 15. Oktober 1963 inne. (dpa / Alfred Hennig)
    Birgid Becker: Am 19. April vor 50 Jahren starb Konrad Adenauer, der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik, der Gründungskanzler, der die Deutschen in die Demokratie führte, die Westbindung verankerte, die Aussöhnung mit Frankreich vorantrieb und überhaupt auch Jahrzehnte nach seinem Tod einen Spitzenplatz in Meinungsumfragen nach den bedeutendsten Deutschen behauptet, noch vor Goethe und vor Luther. Am Mittwoch will ihn die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende mit einer Rede würdigen, aber, auch das gehört zum Bild: Am Wochenende vor Ostern machte der "Spiegel" Dokumente öffentlich, die einen weniger grandiosen Adenauer nachzeichnen, einen, der Oppositionspolitiker bespitzeln ließ, einen, der sein Amt missbrauchte, und von Demokratie immer dann, wenn sie seinem Willen zuwiderlief, recht wenig hielt. Adenauer – über seine Licht- und Schattenseiten habe ich mit dem Bonner Historiker Volker Kronenberg gesprochen und ihn zunächst gefragt, wie er die "Spiegel"-Veröffentlichungen aufgenommen hat. Haben die sein Bild von Adenauer verändert oder sogar erschüttert?
    Volker Kronenberg: Erschüttert nicht. Nein, erschüttert kann nur der sein, der sich nicht intensiver mit dieser sehr komplexen Persönlichkeit tatsächlich, wie Sie es angedeutet haben, ja prägenden politischen Gestalt in der Gründungsphase der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt hat. Konrad Adenauer ist für den Kenner der deutschen Zeitgeschichte nie nur Lichtgestalt – welcher Politiker im Übrigen kann, der auch Verantwortung trägt, über einen so langen Zeitraum wie Adenauer das, 14 Jahre Kanzler, das getan hat, nur Lichtgestalt sein?
    Das soll nicht Verfehlungen oder gar mehr beschönigen, darum geht es nicht. Es geht darum, dass Konrad Adenauer doch für die meisten Beobachter und auch Weggefährten im Übrigen immer schon eine komplexe, zuweilen auch störrische, schwierige Persönlichkeit war. Aber er war zweifellos eben auch die führende Gründungsgestalt nicht nur der CDU, sondern der freiheitlichen Republik auf deutschem Boden, auf westdeutschem Boden.
    "Was für den Machtgewinn oder Machterhalt dienlich erschien, da war er nicht zimperlich"
    Becker: Was der "Spiegel" veröffentlicht hat, das sind Details aus bisher geheimen Akten von Bundesregierung und Bundesnachrichtendienst, die den Blick auf den Gründungskanzler zumindest verändern.
    Adenauer setzt demzufolge den Geheimdienst, die Vorgängerorganisation des BND, ein zur Bespitzelung des politischen Gegners, besonders im Visier Willy Brandt, der sollte nach Kritikwürdigem aus der Zeit von dessen Emigration gefahndet werden. Da wird die Frage gestellt, was sich über Brandts erste Ehefrau in Erfahrung bringen lässt. Juristisch nicht sauber und politisch auch nicht gerade ein Ruhmesblatt.
    Ist das mit störrisch und schwierig, wie Sie Adenauer genannt haben, ist das mit störrisch und schwierig hinreichend beschrieben?
    Kronenberg: Frau Becker, ich habe diesen Artikel natürlich auch gelesen, studiert. Ich kann die juristischen Implikationen deswegen nicht beurteilen, weil ich über den Artikel hinaus diese Dokumente, auf die Sie ja zu Recht hinweisen, noch nicht zur Kenntnis genommen habe. Hier wird sicherlich in der Adenauer-Forschung und in der Zeitgeschichtsforschung eine notwendige Debatte geführt werden. Ich drücke mich so vorsichtig aus, weil ich tatsächlich eben das nicht beurteilen kann, gerade auch in der rechtlichen Dimension.
    Als Politikwissenschaftler ist es tatsächlich einer, der verweist auf das differenzierte Bild, das Konrad Adenauer immer schon einen sehr kritischen Blick, sei es auf Willy Brandt, die SPD hatte, was ihm, Adenauer, für seine Partei, auch für ihn persönlich, für den Machtgewinn oder Machterhalt dann dienlich erschien, da war er nicht zimperlich. Dieses Nicht-zimperlich-Sein, oder, sein großer Biograf Hans-Peter Schwarz, hat ja auch schon früh auf Schattenseiten, auf dunkle Seiten bei Adenauer hingewiesen. Das scheint sich hier zu bestätigen oder noch in einer neuen Dimension anzudeuten. Das ist alles völlig richtig. Wenn es um den 50. Todestag von Adenauer geht, so ist es natürlich für mich als Politikwissenschaftler das eine, über die Person, auch im Übrigen seinen Umgang mit der Presse – das geht ja weit über das hinaus, was sich mit dem Stichwort "Spiegel-Affäre" verbindet.
    Aber dann ist für mich natürlich doch auch sehr spannend – und Sie haben die große Rede von Angela Merkel angesprochen, die nun ansteht –, was hat denn Konrad Adenauer politisch für die Bundesrepublik getan. Wie ist es 50 Jahre nach seinem Tod darum bestellt, was ist sein politisches Erbe? Da bin ich, glaube ich, in erster Linie jetzt kompetent. Ich kann diese Archivfunde, die Veröffentlichungen, die jetzt vorliegen, noch nicht vollumfassend bewerten.
    "Die deutsch-französische Aussöhnung war Konrad Adenauer von Anfang an sehr wichtig"
    Becker: Dann gucken wir auf den Europäer Adenauer. Wenn Sie skizzieren, welche Idee den prägte, dann sind wir eigentlich entscheidend sofort bei der Zeit vor 1945, also Adenauers Europa, das doch stark fußt auf der Kriegserfahrung.
    Kronenberg: Das ist tatsächlich sozusagen das Urerlebnis, die Kriegserfahrung, die Weltkriegsepoche. Und wenn man über alles im Grunde sein Europa, sein außenpolitisches Engagement einen Begriff setzen will, ist es sicherlich der Begriff des "Nie-wieder". "Nie wieder Krieg" hieß für Adenauer, dass man aus dem Gegensatz zum Miteinander finden soll, Kooperation, ja mehr noch gar, nicht nur zwischenstaatlich, sondern dann auch Integration. Das sollte auch bedeuten, dass die Zeit der souveränen Nationalstaaten in Europa nach dieser Weltkriegsepoche vorbei war, und dass man ein Stück weit vom eigenen Souveränitätsanspruch abrücken sollte und dann im Grunde zusammenarbeiten soll.
    Und das richtete sich natürlich vor allen Dingen auf den in Anführungsstrichen natürlich sogenannten Erzfeind Frankreich. Die französisch-deutsche, deutsch-französische Aussöhnung war Konrad Adenauer von Anfang an sehr wichtig.
    Becker: Wie weit war denn in Adenauers Vorstellungswelt der Gedanke verankert, dass ein geeintes Europa auch eines sein würde, das den Nationalstaat nicht überwindet, aber zumindest die nationalstaatliche Gestaltungsmacht einschränkt? Hat er das schon denken können?
    Kronenberg: Das hat er denken können, und wir haben es sicherlich hier auch mit unterschiedlichen Facetten – 14 Jahre sind eine sehr lange Zeit – seiner Kanzlerschaft, und wir haben hier auch unterschiedliche Wege in dieser Zeit beobachten können. Es war durchaus für Konrad Adenauer und seine Regierung, gerade aber auch für Konrad Adenauer, durchaus vorstellbar, weiter zu gehen, also etwas wie eine politische Union mit Frankreich anstreben zu wollen.
    Das scheitert dann allerdings in den 50er-Jahren. Es war ja sogar die Vorstellung einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft, die wir jetzt auch wieder 1954, also '52, dann '54 scheitert das dann an der Nationalversammlung in Paris, aber die sogenannte EVG, die Europäische Verteidigungsgemeinschaft sah ja einen Kernbereich der Souveränität integriert, eben diese Verteidigungsfragen, worüber man ja heute immer noch nachdenkt und diskutiert. Da war Adenauer schon seiner Zeit voraus. Das ließ sich dann in Frankreich aus bestimmten innenpolitischen Gründen, Stichwort Indochina-Krieg und anderes mehr, dann die innerfranzösische Debatte, die davon Abstand nehmen ließ. Da war Adenauer sehr weit entfernt.
    Und der Weg, der dann in den 50er-Jahren beschritten wurde nach dem Scheitern der EVG, der Weg über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, die sogenannten Römischen Verträge, deren Jubiläum jetzt auch begangen wurde, war sozusagen der Ansatz, über die Wirtschaft, über die wirtschaftliche, die wirtschaftspolitische Integration auch zur Politik vorzustoßen. Es war sicherlich bei Konrad Adenauer auch die Vorstellung, so etwas zu schaffen wie die politisch vereinten Staaten von Europa. Aus unterschiedlichen Gründen ist es dazu nicht gekommen.
    "Es war ein Europa, das nur eingeschränkte Handlungsspielräume hatte"
    Becker: Großer Sprung in das Europa ((von)) heute, ohne die Briten, aber mit Polen und mit Ungarn, die mit der Idee der Wertegemeinschaft nicht viel zu schaffen haben, mit den kriselnden Südstaaten, mit der Unfähigkeit, sich dem Großproblem Migration und Flucht gemeinsam zu widmen – ist dieses Europa für die frühen Europäer à la Adenauer nicht eine riesengroße Enttäuschung? Oder wäre der frühe Europäer Adenauer nicht doch schwer beeindruckt gewesen über noch 28 Staaten mit einer partiell gemeinsamen Währung – also hätte er das alles nicht vielleicht doch für eine großartige Sache gehalten trotz allem?
    Kronenberg: Frau Becker, ich denke, schon. Es war, das dürfen wir nicht vergessen, insofern ist immer die Bezugnahme, auch wenn wir über aktuelle europapolitische Herausforderungen sprechen und nachdenken, ist immer der Rückgriff auf die Gründungsjahre, das Gründungsjahrzehnt sehr sinnvoll. Es war ein Europa der Sechs. Es war ein sehr Überschaubares, es war ein rein westeuropäisches, es war ein Europa, das nur eingeschränkte Handlungsspielräume hatte. Es war der Nukleus, der Kern sozusagen.
    Aber wenn man aus der damaligen Zeit in die Gegenwart schauen würde, dann würde man ja tatsächlich sehen, es ist aus der rein westeuropäischen eben auch eine mittelosteuropäische Dimension entstanden, und die Friedenssicherung verbindet sich ja gerade in diesem Integrationsprojekt über all die Jahrzehnte, und auch die deutsche Einheit – wenn wir immer von dieser Trias Freiheit, Frieden, Einheit sprechen – konnte realisiert werden. Dass Großbritannien im Übrigen ein schwieriger europäischer Partner war, das war Adenauer und vor allen Dingen de Gaulle natürlich in der Anfangsphase sehr bewusst.
    Es ist ja auch kein Wunder, dass es frühe Anläufe gab in den 60er-Jahren Großbritanniens, Mitglied zu werden, was am Veto de Gaulles gescheitert ist, weil der französische General und Staatspräsident sehr früh schon wusste, dass mit einer britischen Mitgliedschaft die Europäische Gemeinschaft, wie sie damals noch hieß, eben nie eine wirklich politisch vertiefte sein würde.
    Aber der Ansatz, dass man dann nach politischen Vorstößen, die nicht zum Ziel führten, über die Wirtschaft und dann später, in den Kohl-Zeiten, Maastricht, über die gemeinsame Währung versucht hatte, sozusagen auch politisch voranzukommen. Das lässt sich als Kontinuität sehen, und im Übrigen, Krisen haben die Geschichte des europäischen Integrationsprozesses, wenn man so will, gepflastert, aber Krisen auch tief im Sinne von Wendepunkten, dass man dann auch neue Wege gefunden hat. Und wenn eben heute die politisch Verantwortlichen in Europa eben sagen, wir müssen Konsequenzen ziehen aus der Unzufriedenheit, eben jetzt aus dem sogenannten Brexit, und müssen eben nachdenken, was ist der richtige Weg, dann ist das eben auch ein historischer Reflex. Es hat nie das europapolitische Drehbuch für die EWG, EG, EU gegeben, es war nie klar, wie denn die Finalität wirklich aussehen würde eines vereinten Europas. Wie am Anfang nicht, so auch heute nicht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.