Sie war ein Superstar jener Zeit, in der sich deutsche Tonfilm mit Musicals, Singspielen, Operetten regelrecht an sich selbst berauschte. Und es schien, als habe Lilian Harvey mit ihrem größten Schlagererfolg auch ihre eigene, einzigartige Erscheinung im Kino der 1930er-Jahre besungen: "Das gibt‘s nur einmal, das kommt nicht wieder ..."
Immer wieder spielt Lilian Harvey das Mädchen von nebenan, das in glamourösen Gefilden landen wird. Mit ihren adrett gewellten Haaren und dem Kirschmund wirkt sie auf der Leinwand wie modelliert. Als "blonder Puppentraum" und "süßes Mädel" wird sie von der zeitgenössischen Kritik gefeiert. Doch Harvey ist viel mehr. Sie hat dieses ganz besondere Leuchten der frühen Filmstars. Eine quirlige Beweglichkeit und Leichtigkeit. Sie verströmt Klugheit. Und eine fröhliche Frivolität.
Mischung aus Selbstbewusstsein und Intelligenz
Schon in der 1930 gedrehten Tonfilmoperette "Die Drei von der Tankstelle", mit der sie schlagartig berühmt wurde. Heinz Rühmann, Oskar Karlweis, Willy Fritsch und dazwischen: die 24-jährige lebenshungrige Lilian Harvey. "Ich habe heute drei entzückende Jungs kennengelernt. Drei Freunde. Und trotzdem hat keiner eine Ahnung, dass ich auch die anderen beiden kenne."
Lilian Harveys schwungvolle Mischung aus Selbstbewusstsein und Intelligenz durchdringt auch ihre Filmdialoge. Der Flirt mit Willy Fritsch in "Die drei von der Tankstelle" ist ein kleines psychologisches Lehrstück inmitten von Regen, Blitz und Donner.
"Sagen Sie, Sie halten sich wohl für unwiderstehlich, was?"
"Nein, aber für klug genug, um zu erkennen, dass Sie nur darum so grob mit mir sind, weil Sie sich genieren, so nett zu mir zu sein, wie Sie gern möchten."
Vielsprachig erzogen in einem Schweizer Internat
Heute mag das Arbeitspensum kaum mehr vorstellbar sein, doch ihre Filme dreht Lilian Harvey in denselben Kulissen meist in drei Versionen, neben der deutschen Fassung parallel auf Englisch und Französisch. So wurde sie zum ersten europäischen Star. Wobei ihr ihre Herkunft half: Die Deutsch-Britin wurde 1906 geboren in London, vielsprachig erzogen in einem Schweizer Internat, ausgebildet an der Ballettschule der deutschen Staatsoper in Berlin. Sie konnte tanzen, seiltanzen, fechten, singen, spielen, steppen. Die Lieder, die sie in ihren Musikfilmen sang, wurden europaweit zu Schlagern: "Das gibt‘s nur einmal", "Ich tanze mit Dir in den Himmel hinein". Oder auch der Pasodoble "Lass‘ mich einmal deine Carmen sein".
1933 wird die polyglotte Lilian Harvey ihr Glück in Hollywood versuchen. Der Abschied vom Berliner Publikum, die schluchzende Schauspielerin, eingezwängt von Mikrophonen, Kameraleuten, Fans und Begleitern auf dem Bahnsteig ist herzergreifend. Harvey: "Ich hab nur eine Bitte: Dass Sie mir alle hier treu bleiben und mich nie vergessen."
Rückkehr nach Scheitern in Hollywood
Der Durchbruch in Hollywood gelingt nicht. Lilian Harvey kehrt 1935 nach Berlin zurück. Sie dreht weiter Filme - doch die Produktionsgesellschaft UFA wird von den Nationalsozialisten übernommen. Harvey empfängt in ihrem Berliner Haus unbeirrt jüdische Kollegen und gerät ins Visier der Gestapo. Sie emigriert, zunächst nach Frankreich - und ist nach dem deutschen Einmarsch dort nicht mehr sicher.
Lilian Harvey: "Ich bin 1941 nach Amerika gegangen, und ich habe großes Glück gehabt, dass der amerikanische Konsul mir ein Clipper-Ticket besorgt hat. 36 Stunden, nachdem ich das Haus verlassen hatte, kam man, um mich fürs Konzentrationslager zu holen."
Staatsbürgerschaft durch Nazis aberkannt
Die Nazis erkennen Lilian Harvey ihre Staatsbürgerschaft ab, beschlagnahmen ihren Besitz. Erst in den fünfziger Jahren wird sie nach Deutschland zurückkehren. Dort bleiben ihr nur noch: Auftritte in Provinztheatern und Tourneen, auf denen sie ihre alten Schlager singt. Was sie mit ihrem gewohnten Staroptimismus überspielt.
Harvey "Es ist doch eigentlich gigantisch und fantastisch, wenn man sich überlegt: ich war so viele Jahre fort, und dass die Leute mich nicht vergessen haben. Ist das nicht schön?"
"Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück…"
Das bisschen Glück machte sich rar für Lilian Harvey, den "blonden Traum". Ihre Kolleginnen Marika Rökk und Zarah Leander, die sich mit den Nationalsozialisten arrangiert hatten, konnten nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Karrieren fortsetzen. Lilian Harvey hingegen bezahlte ihren Mut und ihre Standhaftigkeit mit dem Bruch der Karriere. Die letzten Jahre ihres Lebens verbrachte sie in einer Villa im südfranzösischen Juan-les-Pins. Zurückgezogen, wie man so sagt. Am 27. Juli 1968 starb sie in ihrem Haus, mit nur 62 Jahren.